In der Konsequenz erlebt Griechenland eine Depression, die vergleichbar ist mit der in Deutschland während der Regierung des Reichskanzlers Heinrich Brüning von 1930 bis 1932. Viele Deutsche fühlen eine besondere Abneigung gegenüber der derzeitigen Syriza-Regierung, die mit dem (mittlerweile gebrochenen) Versprechen an die Macht kam, die Sparpolitik zu beenden. Tatsache ist jedoch, dass vier Regierungen aus allen politischen Lagern innerhalb des von den Gläubigern auferlegten Rahmens operieren mussten: George Papandreou (Mitte-Links), Lucas Papademos (Technokrat), Antonis Samaras (Mitte-Rechts) und Alexis Tsipras (Links).
Alle diese Regierungen sind gescheitert. Vielleicht kam die Samaras-Regierung einem Erfolg am nächsten, aber sie konnte die strenge Sparpolitik, zu der sie gezwungen war, politisch nicht überleben. Die Kreditgeber haben Samaras auch nicht besonders geholfen, obwohl gerade diese Regierung vermutlich eher dem Geschmack der Geldgeber entsprach.
Aus meiner eigenen Erfahrung habe ich gelernt: Um eine tiefe Wirtschaftskrise zu bewältigen, muss der Kreditgeber klug reagieren. Er muss von einem schlecht verwalteten Schuldnerland Reformen fordern, aber er darf den Schuldner auch nicht in den Abgrund treiben. Wenn die Gläubiger überziehen, dann zerbricht im verschuldeten Staat die Gesellschaft. Im Deutschland der Zwischenkriegszeit hat dies Adolf Hitler an die Macht gebracht.
Die Erfolgsformel lautet daher: energische Reformen plus Schuldenerlass. Der Kreditgeber sollte zum Schuldner sagen: "Du darfst nicht über deinen Verhältnissen leben. Du musst dich anpassen. Du musst neue Exporte generieren. Wir, die Kreditgeber, werden dir jedoch helfen. Wir werden deine Schulden so reduzieren, dass Fortschritte nicht nur uns, sondern hauptsächlich dir und deiner Zukunft dienen." Im Falle Griechenlands würde ein kluger Kreditgeber fragen: Wie können wir helfen, die Kreditvergabe wiederzubeleben? Wie können wir helfen, die Exporte anzukurbeln? Was muss getan werden, um schnelles Wachstum von kleinen und mittleren Unternehmen zu fördern?
Deutschland hat es leider versäumt, die klugen Fragen zu stellen. Stattdessen haben sich die Deutschen zunehmend darüber beklagt, dass die Griechen angeblich ein faules, korruptes und nicht lernfähiges Volk sind. Die Auseinandersetzung ist auf beiden Seiten schmutzig und persönlich geworden. Ernsthafte ökonomische Analysen hat man in den Wind geschlagen.
Weise zu sein, heißt, großzügig zu sein
Kanzlerin Merkel sagt, das Vertrauen in Athen sei verloren gegangen. Folgt man dieser Sichtweise, dann liegt der Fehler allein auf griechischer Seite. Realität ist, dass die Gläubiger die Krise nie genau studiert haben. Sie versagten darin, den Griechen einen realistischen Ausweg anzubieten - vielleicht aus Angst, dass Italien, Portugal und Spanien irgendwann ebenfalls um Schuldennachlass bitten könnten. Aus welchen Gründen auch immer, Deutschland hat Griechenland schlecht behandelt, es hat nicht die notwendige Empathie gezeigt, nicht die notwendige Analyse angewandt und auch nicht den notwendigen Schuldenschnitt angeboten.
Gläubiger sind manchmal weise, manchmal unglaublich dumm. Die USA, Großbritannien und Frankreich waren unglaublich dumm, als sie Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg exzessive Reparationen aufbürdeten. In den 1940er- und 1950er-Jahren waren die USA dagegen sehr weise, sie haben Deutschland mit dem Marshall-Plan geholfen und 1953 die Schulden teilweise erlassen. In den 1980er- Jahren waren die USA ein schlechter Gläubiger, als sie von Lateinamerika und Afrika exzessive Schuldenzahlungen verlangten. 1989 waren sie sehr klug, als sie Polen einen Schuldenerlass gewährten (auch Deutschland machte mit, wenn auch widerwillig). 1992 waren die USA dann sehr dumm, als sie von Russland verlangten, Schulden aus der Sowjet-Ära strikt zu bedienen, was die Saat gesetzt hat für die schwierige Beziehung mit Russland heute.
Deutschland hat keine große Erfahrung als Gläubigernation. Seine Forderungen haben Griechenland an den Rand des Kollapses gebracht; dieser könnte desaströse Konsequenzen haben nicht nur für Griechenland, sondern auch für Europa und für das Ansehen von Deutschland. Ein dramatisches Beispiel für die Strafaktionen Deutschlands ist die Schließung der griechischen Banken - dies geschah aufgrund des deutschen Drucks auf die Europäische Zentralbank, die Kredite an den griechischen Bankensektor einzuschränken.
Dies ist die Zeit, weise zu sein - und nicht hart. Deutschland sollte sich fragen, wie es Griechenland helfen kann, wieder zu hoffen. Weise zu sein, bedeutet nicht, weich zu sein. Weise und großzügig zu sein, würde Deutschlands Möglichkeiten vergrößern, Frieden und Wohlstand in Europa zu bewahren. Dies ist Deutschlands Verantwortung. Und dies liegt in seinem vitalen nationalen Interesse.
Jeffrey Sachs, 60, ist Direktor des Earth Institute an der Columbia-Universität New York. Er ist zudem Sonderberater des UN-Generalsekretärs für die Millienium-Entwicklungsziele.