Japan:Alte Lasten

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Japans Wirtschaft hat Probleme. Die Stimmung ist mies. Ökonomen hadern mit Premierminister Shinzo Abe.

Von Thomas Hahn, Tokio

Robert Feldman ist ein begabter Schwärmer. Der Japan-Experte und Chefökonom des Finanzdienstleisters Morgan Stanley hat neulich bei einem Vortrag in Tokio derart hingebungsvoll über die Chancen der Zukunft gesprochen, dass man meinen konnte, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts seien ein japanischer Wettbewerbsvorteil. Er sprach von billiger Solarenergie, smarten Häusern, Landwirtschaft per Fernsteuerung. "Es gibt wundervolle Technologien, die viele Möglichkeiten bieten" - auch als Erfolgsmarkt für Japans Firmen. Dann hob Feldman mahnend den Finger. "Deregulierung" sei wichtig dafür. Weniger Gesetze, mehr Schöpferfreiheit. Für das Wachstum von morgen.

Wie geht es weiter mit der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt? Diese Frage treibt nicht nur Robert Feldman um am Ende dieses Jahres. 2020 will der Inselstaat in Tokio als futuristischer Gastgeber der Olympischen und Paralympischen Spiele vor aller Welt glänzen. Aber 2019 war schwierig: Die Exportnation spürt die Folgen des Handelskrieges zwischen China und den USA, die internationale Nachfrage ist lau. Schwere Unwetter belasteten das Land. Der Fachkräftemangel wegen des demografischen Wandels zeigt sich immer klarer. Die Regierung des rechtskonservativen Premierministers Shinzo Abe hat Anfang Oktober die Konsumsteuer von acht auf zehn Prozent erhöht, um die Renten für die alternde Gesellschaft bezahlen zu können, die Konsumbürger reagieren.

Schlechte Aussichten, miese Stimmung: ein Fußgänger im Regen in Tokios Innenstadt. (Foto: Eugene Hoshiko/AP)

Die jüngsten Wirtschaftsdaten zeigen, dass Japans Firmen im November um 0,9 Prozent weniger Output hatten als im Oktober, der schon denkwürdig schwach war; um 4,5 Prozent rückläufig im Vergleich zum September. "Es gibt weniger Leute in der Einkaufstraße seit Anfang des Jahres im Vergleich zum vergangenen Jahr, und auch nach der Steuererhöhung", zitiert die Japan Times den Ladenbesitzer Shudai Hasegawa aus Tokio-Shinagawa.

Japan sucht nach seiner Rolle beim Aufbruch in die Zukunft. Und mancher ist sich nicht sicher, ob das Land dazu noch den richtigen Regierungschef hat. Seit 2012 ist Abe Premierminister und pflegt sein Programm namens Abenomics, das mit Wirtschaftsförderung, lockerer Geldpolitik und Strukturreformen die Deflation stoppen sollte. Tiefgreifende Strukturreformen hat es bisher nicht gegeben, aber Japans Wirtschaft ist mit Abe tatsächlich sachte gewachsen. Ökonomen loben seinen Kurs, der den Unternehmen mehr Spielraum gebracht hat. Und die Regierung lobt sich natürlich auch: "Japans Wirtschaft erholt sich in moderatem Tempo", sagt Yasutaka Muto, Ökonom aus dem Kabinettsbüro, er verweist auf höhere Löhne, mehr regionale Investitionen, mehr Tourismus, mehr Handelschancen durch neue Abkommen etwa mit der EU oder den USA.

Trotzdem könnte die Stimmung besser sein. Eine Reuters-Umfrage ergab, dass die meisten Unternehmen Abe nur noch bis zum Ende seiner aktuellen Amtszeit 2021 als Premierminister sehen wollen. Wegen seiner Seilschaften hat er immer wieder innenpolitische Affären am Hals, gerade auch wieder. Und seine Wirtschaftspolitik finden selbst wohlwollende Geister wie Robert Feldman mittlerweile allenfalls solide. Auch Masaaki Kanno, Chef-Ökonom der Sony Financial Holding, sagt: "Das Politikmodell der Regierung ist gut genug, um Japans Wachstumsrate bei etwa ein Prozent zu halten." Er nennt das "nachhaltig". Aber: "Die Regierung scheitert daran, eine nachhaltige Langzeit-Politik auszuarbeiten", sagt Kanno, "die Deregulierung unter Abenomics war gut, aber sie reicht nicht, um die Produktivität weiter zu steigern." Feldman stimmt zu.

"Mit Blick auf Japans Zukunft gibt es gerade viel negative Energie."

Shinzo Abe versucht derweil, die Wirtschaft mit einer mächtigen Finanzspritze rege zu halten. Ein Förderpaket mit 13,2 Billionen Yen (108,5 Milliarden Euro) Steuergeld hat er zuletzt durch das Parlament gebracht. Die Risiken der Weltwirtschaft und die Taifun-Schäden seien der Grund für dieses Paket, sagt Muto. Außerdem will Japan nicht beim 5G-Ausbau trödeln, den die Nachbarn Südkorea und China auch mit Macht vorantreiben. Kritiker sagen, das Paket sei schön und gut, aber es werde nicht reichen, um den flauen Konsum anzukurbeln. Auch von den teuren Olympischen und Paralympischen Spielen erwarten sie sich nur Kurzzeiteffekte.

"Stimmt, mit Blick auf Japans Zukunft gibt es gerade viel negative Energie", sagt der Wirtschaftssoziologe Hiroshi Ono, "aber welchem Land geht es gerade richtig gut in diesen unseren Zeiten?" Er mag die Nörgelei nicht. Er findet Japans Situation gerade ziemlich spannend. Wegen des demografischen Wandels verändert sich zum Beispiel der Arbeitsmarkt. Alte Prinzipien werden von neuen überholt. Der Frauenanteil steigt, die ersten Ausländer aus dem neuen Einwanderungsprogramm sind da. Roboter bekommen neue Einsatzmöglichkeiten, Ideen für effizienteres Arbeiten werden gebraucht.

Eine neue Moral könnte sich durchsetzen in der japanischen Wirtschaftsnation, mehr Vielfalt. Und am Ende schauen sich andere Länder vielleicht sogar etwas ab vom Fortschritt in Nippon. "Japan ist die am schnellsten alternde Gesellschaft der Welt. Aber andere Länder werden schnell folgen." Hiroshi Ono findet: "Etwas mehr positives Denken könnte uns mehr helfen als ein Wirtschaftsförderpaket."

© SZ vom 28.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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