Jahreswirtschaftsbericht:Gabriel, der Macher

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Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat gute Nachrichten für die Deutschen: Die Wirtschaft wird in diesem und dem kommenden Jahr kräftig wachsen. (Foto: dpa)

Energiewende, Bankenregulierung, soziale Marktwirtschaft - alles kein Problem. Erst seit kurzem im Amt, entwickelt Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ungewohnten Ehrgeiz.

Von Michael Bauchmüller und Thomas Öchsner, Berlin

In einem lichtdurchfluteten Foyer des Bundeswirtschaftsministeriums hängen sie, die Verflossenen. Berühmtheiten wie Ludwig Erhard, der Mann mit der Zigarre, der von 1949 bis 1963 das Ressort führte und als Verkörperung des deutschen Wirtschaftswunders gilt. Oder weniger Bekannte wie Helmut Hausmann (FDP) oder Michael Glos (CSU), alle in Schwarz-weiß. Auch Philipp Rösler ist dort zu entdecken, noch so ein Minister, der demnächst dem Vergessen anheimfallen könnte. Die Ahnengalerie im Bundeswirtschaftsministerium lässt ahnen, wie sehr das Haus an Einfluss verloren hat.

Und jetzt Sigmar Gabriel. Gerade mal acht Wochen ist er im Amt, und er entwickelt einen neuen, für ihn ungewöhnlichen Ehrgeiz. Machen - und schweigen. Mit der Energiewende hat er sich das größte Projekt dieser Regierung ergattert. War der SPD-Chef und Wahlkämpfer Sigmar Gabriel in der Vergangenheit stets für eine steile These gut, versucht er nun, die erste große Reform dieser Reform möglichst geräuschlos über die Bühne gehen zu lassen; nicht ganz einfach bei einem Projekt, das Milliarden umverteilt - erst Recht mit einem Ministerium, in dem erstmals Wirtschafts- und Umweltleute vereint sind, um die Reform zusammenzuschustern.

Wie gut das bislang gelingt, zeigt ein 187-seitiges Konvolut, das am Mittwoch aus dem Ministerium heraussickert: der erste Entwurf für ein neues Ökostrom-Gesetz, vom Kabinett zu verabschieden bis zum 9. April - weniger Förderung für Ökostrom, höhere Lasten für die Industrie, langfristig ein neues Fördersystem. Gelingt Gabriel die Reform bis zum Sommer, wäre das eine Meisterleistung. Misslingt das, sieht er alt aus.

Am späten Dienstagabend, Gabriel hat schon eine Porsche-Fabrik eingeweiht und mit Industrie- und Gewerkschaftsvertretern über sein Reformpaket diskutiert, steht der Minister vor der Ökostrom-Lobby. Mehr als 1000 Leute, ein Neujahrsempfang. Er sei, sagt er, nicht gekommen, um Nettigkeiten zu erzählen. "Ja, Sie werden sich auf andere Bedingungen einstellen müssen", ruft Gabriel den Unternehmern im Publikum zu. "Das ist aber etwas normales in einer Marktwirtschaft." Gefühlte 25 Mal spricht der Minister von der "Volkswirtschaft", die dieses und jenes verkraften können müsse. Das Amt verändert das Vokabular. Der Chef verändert aber auch das, was aus dem Amt kommt.

Schon vor einem Monat kündigte der Vizekanzler in einem Schreiben an seine Ressortkollegen an, dass er das "alte Denken" überwinden wolle. Staat oder Markt - das ist für Gabriel eine "Politik der falschen Alternativen", ein ideologisch hoch aufgeladenen Grundsatzstreit, der "mit dem Selbstverständnis sozialer Marktwirtschaft" wenig zu tun hat. Der SPD-Chef will die Wirtschaftspolitik stattdessen neu definieren, einen Ausgleich finden zwischen Wirtschaft und Staat, dem freien Spiel der Kräfte und den Regeln, den die Regierung den Unternehmen auferlegt.

Das jüngste Beispiel ist der Jahreswirtschaftsbericht. Normalerweise wird er Ende Januar vorgelegt. Gabriel ließ die Beamten des lange von der FDP geführten Ministeriums nachbessern. Jetzt trägt das Ergebnis, das er dem Kabinett präsentiert hat, eindeutig seine Handschrift.

Im Jahreswirtschaftsbericht gibt es neue, klare Ansagen: "Die realwirtschaftliche Dienstleistungsfunktion des Finanzsektors muss Vorrang vor spekulativen Geschäften haben." Und weiter: "Kein Finanzmarkt, kein Finanzprodukt und kein Finanzakteur darf in Zukunft ohne angemessene Regelung bleiben." Er habe, sagt Gabriel nach seinem Antrittsbesuch im Wirtschaftsausschuss, die Sorge, "dass immer wieder Blasen an den Finanzmärkten entstehen können, die dazu führen, dass Banken in Schieflagen geraten".

Rösler war stets darum bemüht, die Wirklichkeit möglichst positiv darzustellen. Sein Nachfolger benennt Defizite bei der Bildung, kritisiert die zu geringen Investitionen in die Infrastruktur. Gabriel fordert eine "Neue Gründerzeit" für Deutschland. Und er schlägt beim Arbeitsmarkt kritischere Töne an: Der niedrig entlohne Sektor habe sich "seit den 90er Jahren in problematischer Weise ausgeweitet", steht in der Regierungsanalyse.

Der Ausgleich auf dem Arbeitsmarkt sieht für ihn so aus: Der Mindestlohn von 8,50 Euro soll kommen, aber so, "dass möglichst keine Arbeitsplätze verloren gehen". Leiharbeit und Werkverträgen dürfen bleiben, den Missbrauch gilt es zu bekämpfen. Außerdem müssten Lohnhöhe und Produktivität korrespondieren, heißt es in dem Bericht. Manche Beobachter lasen daraus heraus, Gabriel fordere wie teilweise seine liberalen Vorgänger zur Bescheidenheit auf.

Der Wirtschaftsminister versteht dies allerdings ganz und gar nicht so. Er habe, sagt er, mit 19 auf einem IG-Metall-Lehrgang gelernt, dass dies die klassische gewerkschaftliche Lohnforderung sei, zu der noch eine Umverteilungskomponente hinzukomme. Von 2000 bis 2009 wurde dies jedoch kaum ausgeschöpft. Erst seit 2010 geht es mit den Löhnen in Deutschland wieder bergauf. Das hält Gabriel für absolut richtig. Und wenn die Prognosen stimmen, könnte es im laufenden Jahr sogar zu dem größten Anstieg der Reallöhne seit 2010 kommen.

© SZ vom 13.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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