Land in der Krise:In Italien ist die Stimmung auf einem Tiefpunkt

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Solange Italien so tief in der Krise ist, darf Europa das Land aus eigenem Interesse nicht aufgeben. (Foto: dpa)

Halb Europa atmete auf, als in Rom eine neue Regierung ohne Rechtsaußen die Geschäfte übernahm. Doch die Erwartungen wurden enttäuscht.

Kommentar von Ulrike Sauer, Rom

Wir beißen nicht an, versichern die Sardinen. Innerhalb einer Woche hat die spontane Bewegung "le sardine" das antipopulistische Gewissen Italiens geweckt und eine breite Mobilisierung gegen Matteo Salvinis Rechtsnationalismus angeschoben. Wo immer der Lega-Chef auftritt, erwartet ihn nun eine Gegenkundgebung.

Das ist ein Lichtblick in einem Land, in dem viele Menschen angebissen haben. In Rom zappelt selbst auch die Regierung an der Angel des Populismus. Der Koalition aus den populistischen Cinque Stelle, denen gerade das Volk wegläuft, und dem sozialdemokratischen Juniorpartner PD, dessen Linie kaum erkennbar ist, fehlt es seit dem Start vor 80 Tagen an einer Richtung.

Man raufte sich widerwillig zusammen, um den Käufern römischer Staatsanleihen die Angst vor einem Harakiri Italiens in der Finanz- und Europapolitik zu nehmen. Die angekündigte Wende in der Wirtschaftspolitik blieb aber aus. Weil das Buhlen um Konsens wichtiger ist als das Erfüllen ihres Auftrags, verfolgt die Regierung einen erratischen Zick-zack-Kurs. Sie treibt das Land immer tiefer in die Krise.

Halb Europa atmete auf, als die neue Regierung startete. Doch dann ging es weiter bergab

Halb Europa atmete auf, als Anfang September in Rom eine neue Regierung ohne Rechtsaußen Salvini die Geschäfte übernahm. Die Erwartungen wurden enttäuscht. In der vergangenen Woche erlebte der alte und neue Premier Giuseppe Conte die schwärzesten Tage seiner zweiten Amtsperiode. Die Stimmung in den Unternehmen fiel auf den Tiefpunkt.

In der südlichen Hafenstadt Tarent eskalierte die Schlacht mit Arcelor Mittal um das größte Stahlwerk Europas. Der Weltmarktführer hatte angekündigt, Italien zu verlassen, und die Abschaltung der Hochöfen eingeleitet. Der Konzern warf der Regierung Wortbruch vor, weil sie die im Pachtvertrag zugesicherte Immunität für Verstöße gegen das Umweltrecht kassiert hatte. Der Rechtsschutz sollte gelten, bis die teure Modernisierung der Dreckschleuder abgeschlossen ist. In einer Stadt mit 40 Prozent Arbeitslosigkeit bangen nun 15 000 Familien um ihre finanzielle Existenz. Italien droht als Europas zweitgrößtem Hersteller von Industriegütern der Verlust seiner Rohstahlproduktion.

Das Fiasko ist ein Spiegel der Verantwortungslosigkeit, mit der Populisten Macht ausüben. Im Frühjahr hatte die alte Regierung den Arcelor-Managern auf Betreiben der Cinque Stelle den Rechtsschutz entzogen. Im Sommer stellte sie ihn wieder her. Im Herbst schaffte das Parlament den Schutzschild zum zweiten Mal ab. Nun ist Conte zum vierten Rückzieher in acht Monaten bereit.

Daraufhin willigte der indische Eigentümer Lakshmi Mittal am Freitagabend ein, Verhandlungen mit der Regierung über einen Weiterbetrieb aufzunehmen. Der Preis dafür dürfte hoch sein. Mitten in der weltweiten Stahlkrise wird Mittal Italien die Kosten für eine Drosselung der Produktion aufdrücken. Noch höher ist der Schaden, den die Regierung dem Wirtschaftsstandort Italien zufügt.

Haushaltsplan steht, aber die Abgeordneten traten eine Lawine von Änderungsanträgen los

Kann man in so ein Land investieren? Bei Alitalia scheiterte der siebte Anlauf zur Rettung. Am Donnerstag kapitulierte der staatliche Bahnkonzern, der seit September 2018 im Regierungsauftrag eine Lösung sucht. Am Tag zuvor hatten erst Lufthansa und dann Benettons Infrastrukturkonzern Atlantia einen Einstieg abgelehnt. "Es muss einen Ausweg geben", sagt Conte stoisch. Vor 15 Monaten hatte seine Regierung Lufthansa den Weg versperrt. Man wollte damit einen unausweichlichen Stellenabbau verhindern. Heute ist offensichtlich: Es gibt keine andere Überlebenschance für Alitalia.

Nicht einmal das Wohlwollen der europäischen Partner nützt dem bedrängten Premier. Die EU-Kommission billigte am Mittwoch Italiens Haushaltspläne für 2020. Die römischen Abgeordneten aber traten eine Lawine von 4500 Änderungsanträgen los. Ein Drittel kommt aus der Koalition. Obendrein legt sich Cinque-Stelle-Chef Luigi Di Maio bei der Verabschiedung der Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus quer.

Angesichts der Implosion seiner Partei von Panik ergriffen, behauptet der Außenminister genau wie Salvini plötzlich, die Änderungen am Rettungsschirm würden Italien schaden. Dabei war es ihre gemeinsame Regierung, die der Reform zugestimmt hatte. Hält Di Maio den Boykott aufrecht, muss Conte auf dem Europarat im Dezember Italiens Veto einlegen. Im Interesse des Schuldenlandes ist der Rückfall in die antieuropäische Propaganda nicht.

Das alles ist deprimierend. Doch solange Italien so tief in der Krise ist, darf Europa das Land aus eigenem Interesse nicht aufgeben.

© SZ vom 25.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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