Frauen in der IT-Branche:"Ihr seid keine Freaks"

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Enorme Gehässigkeit gegenüber Frauen beobachtet Rebecca Parsons, die renommierte Technikchefin des US-Beratungsunternehmens Thought Works. (Foto: oh)

Rebecca Parsons, die Technikchefin der Beratungsfirma "Thought Works", kämpft für mehr Frauen in der IT-Branche.

Von Helmut Martin-Jung, München

Sie könnte auch einfach nur ihren Job machen. Rebecca Parsons, promovierte Informatikerin, sei die "Mischung aus einer Fachfrau mit tiefen IT-Kenntnissen und einer Führungspersönlichkeit", lobt sie ein früherer Kollege. Sie blickt auf mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Software-Branche zurück. Vor 18 Jahren ging sie zu der Beratungsfirma Thought Works, heute ist sie deren Technikchefin.

Doch viele wie sie gibt es noch immer nicht. Deshalb spricht sie das Thema "Frauen in der Techbranche" immer wieder an, auch weil sie es für ein sehr grundsätzliches hält. "Studien mit Blindtests haben gezeigt, dass auch Frauen mehr Männer einstellen als Frauen", sagt sie, "und sie bezahlen Frauen auch weniger - das ist ein Problem der Menschen, nicht der Männer."

Das Wichtigste ist Frauen in der Firma zu halten

Frauen bekleideten häufiger Jobs mit niedrigerem Lohn, "und wenn Frauen einmal in einen Bereich eindringen, in dem hohe Löhne gezahlt wurden, dann sinken die Löhne im Durchschnitt". Es gebe eben immer noch etablierte Erwartungen an die Geschlechter. "Was ich aber nicht verstehe: es hat sich eine enorme Gehässigkeit entwickelt." Als vor einigen Jahren Frauen mehr Jobs in der Computer-Spielebranche forderten, sei die Gegenreaktion teilweise richtig bösartig gewesen.

Männer fänden, es sei nicht fair, bei zwei gleich guten Bewerbern, einem Mann und einer Frau, die Frau zu nehmen, weil sie eine Frau ist, sagt sie. "Aber wenn bei zwei gleich guten männlichen Bewerbern der eine das richtige Fußballteam mag oder rote Haare hat - ist das fair?" Männer könnten sich aber damit abfinden, wenn ein Mann aus zufälligen Gründen einem anderen vorgezogen wird als wenn eine Frau einem Mann gegenüber bevorzugt wird, um das Gleichgewicht der Geschlechter zu fördern. "Ich habe keine Ahnung, wo das herkommt, außer von einer ängstlichen Einstellung." Sie fühlten sich angegriffen und wollten ihr Territorium verteidigen. "So denken viele Männer."

Bei ihrer Firma Thought Works versuche man schon bei der Rekrutierung, die Anzeigen so zu formulieren, dass sich auch Frauen angesprochen fühlten. Aber das Wichtigere sei, die Frauen auch im Unternehmen zu halten, sagt Parsons. "Wie ist es, hier zu arbeiten?" Werden Frauen vor Belästigung geschützt? Haben sie gleiche Aufstiegschancen?

Es sei schließlich wichtig, gemischte Teams zu haben, sagt Parsons: "Firmen werden dadurch profitabler, vor allem in Zeiten des Umbruchs." Außerdem seien schließlich auch die Hälfte der Verbraucher Frauen. "Das ist wichtig zum Beispiel fürs Design." Ein Mann habe ihr einmal gesagt: "Du hast ja keine Ahnung, wie elend es ist, in einem rein männlichen Team zu arbeiten." Und warum auch sollten Frauen davon abgehalten werden etwas zu tun, wenn es ihre Leidenschaft ist? "Ihr seid keine Freaks", appelliert Parsons an Frauen, die sich für männlich dominierte Tätigkeiten wie Programmieren interessieren.

Zu tun gibt es schließlich genug, denn, sagt Parsons, gerade ereigne sich etwas, das man tektonische Verschiebung nennen kann, ein gewaltiger Wandel innerhalb der IT. Die IT war früher eine Dienstleistung im Hintergrund, nun rückt sie in den Vordergrund. Es geht darum, mit dem Kunden direkt in Verbindung zu treten: "Fast jede Firma ist heute eine IT-Firma."

Schon diesen Schritt zu gehen, geistig und dann auch in der Konsequenz fürs Unternehmen, fällt vielen schwer. Hinzu kommt: "Es wird immer schwieriger zu erraten, woher der nächste Wechsel kommt", sagt Parsons. Die Unternehmenssoftware müsse daher einem evolutionären Ansatz folgen, nicht als fertiges, in sich geschlossenes System daherkommen. Und diese Agilität braucht es auch bei den Mitarbeitern.

Zur Agilität gehört, etwas auszuprobieren, das kann nicht jedes Mal funktionieren. Aber "in manchen Unternehmen ist es tödlich zu scheitern", sagt Parsons. Während man im Silicon Valley oder auch in China furchtlos Dinge ausprobiere, traue man sich Indien kaum etwas. In Deutschland, das ist ihr Eindruck, liegt man etwas zwischen den Extremen, es gebe allerdings schon hohe Erwartungen, dass ein Experiment auch gelinge.

Eines also ist für sie klar: Schlechte Software ist deswegen schlecht, weil sie sich nicht schnell genug an neue Anforderungen anpasst. Weil man nicht vorhersehen kann, in welche Richtung sich die Dinge entwickeln, müsse auch die Software sich leicht adaptieren lassen. Immerhin setze sich in vielen Unternehmen allmählich die Einsicht durch, dass die IT kein bloßer Kostenfaktor ist, den es eben braucht, sagt Parsons. Die IT, die Art, wie sie aufgestellt ist, wie wandlungsfähig sie ist, "trägt entscheidend zum Erfolg des Unternehmens bei, erzeugt Umsatz".

© SZ vom 21.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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