Interview: GM-Gewerkschafter Skidmore:"Es ist einfach Bullshit"

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Verbitterung über Obama: Don Skidmore, Betriebsratschef eines GM-Werkes, über Solidarität und Gewerkschaftshass in den USA.

Moritz Koch

Don Skidmore gibt sich gern als ganzen Kerl, bullig und entschlossen. Er trägt den Kinnbart eines Altrockers und auf seinem kräftigen Unterarm hat er sich den amerikanischen Bundesadler tätowieren lassen, darunter steht: "Buy America. Buy Union." Skidmore ist Gewerkschafter durch und durch. Sein ganzes Leben hat er für General Motors gearbeitet und am Montag hat er bitterlich geweint. Als GM Konkurs anmeldete, brach seine Welt zusammen. Das Getriebe-Werk in Ypsilanti, Michigan, in dem er die Autoarbeiter seit einem Jahr anführt, wird geschlossen. Mit sueddeutsche.de sprach der Betriebsratschef über Solidarität und Gewerkschaftshass in den USA. Und seine Verbitterung über Barack Obama.

Don Skidmore (re.) zusammen mit dem UAW-Kollegen Ken Figley (Foto: Foto: oH)

sueddeutsche.de: Mit der Wahl von Barack Obama sollte die Renaissance der amerikanischen Gewerkschaften beginnen. Jetzt ist General Motors bankrott und ausgerechnet der demokratische Präsident zwingt die einst so mächtige Autogewerkschaft UAW zu enormen Zugeständnissen.

Skidmore: Ich bin darüber sehr verbittert. Wir haben viel von dem aufgegeben, was wir uns erkämpft haben. Mir passt nicht, dass Obama jetzt sagt, die Arbeiter müssten noch mehr Opfer bringen. Im Wahlkampf war davon nicht die Rede. Da hat er von hoch bezahlten Arbeitsplätzen in der Autoindustrie gesprochen und wie wichtig die für unser Land sind. Ziemlich heuchlerisch wirkt das im Nachhinein. Trotzdem: Ich unterstütze Obama weiter. Ich war mein ganzes Leben Demokrat und werde es bleiben.

sueddeutsche.de: Hat die UAW-Spitze in den Verhandlungen versagt? War sie zu nachgiebig?

Skidmore: Das glaube ich nicht. Sie hat die Ansprüche von 400.000 Betriebsrentnern verteidigt. Sie hat gerettet, was noch zu retten war. Und ob Sie es glauben oder nicht: Unsere Konzessionen haben den Ruf der Gewerkschaftsbewegung verbessert. Bisher war es doch so in Amerika: Das Land hat auf uns Gewerkschafter herabgeschaut. Wir waren immer die Typen, die zu gut bezahlt sind, die faul sind und schlechte Arbeit machen. Unser Ruf war fürchterlich. Es gibt in Amerika ja einen richtigen Gewerkschaftshass. Aber nun, da wir im Rampenlicht stehen, sehen die Leute, wer wir wirklich sind. Ich bekomme Anrufe aus dem ganzen Land von Menschen, die uns loben.

sueddeutsche.de: Weil Sie sich bei der Sanierung von GM mehr bewegt haben als die Gläubiger?

Skidmore: Exakt. Und weil wir der Nation gezeigt haben, dass wir unsere Leute nicht im Stich lassen. In einer Liquidation hätten die Pensionäre alles verloren. Ihre Rente, ihre Krankenversicherung, alles wofür sie ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben. Das durften wir nicht zulassen. In Krisenzeiten muss man zusammenhalten. Jeder muss Opfer bringen. Wir Arbeiter wissen das und waren bereit dazu.

sueddeutsche.de: Sehen Sie eine Zukunft für Ihre jungen Kollegen bei GM?

Skidmore: Ganz sicher. General Motors wird wieder aufstehen. Und auch die UAW. Gemeinsam kommen wir da raus. Den Gläubigern wird es nicht gelingen, GM in die Abwicklung zu treiben. Aber erst einmal stehen harte Zeiten bevor, besonders für uns hier in Ypsilanti. Mitte nächsten Jahres ist Schluss in unserer Fabrik. 1100 Leute arbeiten hier. 300 finden vielleicht einen neuen Job bei GM. Für die anderen wird es schwer. Die Lage in Michigan ist schlimm. Schlimmer als je zuvor in meinem Leben. Doch was soll's: Wir müssen kämpfen. Vielleicht gibt es ja noch Hoffnung. Der Kongress steht hinter uns und am Dienstag habe ich mich mit der Arbeitministerin Hilda Solis getroffen und ihr gesagt, dass GM einen Fehler macht, wenn es unsere Fabrik schließt. Wir sind billiger und besser als andere Werke. Leider ist es nichts neues, dass GM eine schlechte wirtschaftliche Entscheidung trifft. Darum sind sie ja bankrott.

sueddeutsche.de: Die meisten Ökonomen sagen, GM ist pleite, weil die Löhne und Sozialleistungen zu hoch sind.

Skidmore: Bullshit. Ich hasse es, es so zu sagen, aber es ist einfach Bullshit. Wissen Sie, wie hoch der Anteil der Arbeitskosten an einem Auto ist? Sieben Prozent. Wir sind im Spiel der Manager nur eine kleine Kostenstelle. Es gibt bei GM 131 Vizepräsidenten. Bei der UAW gibt es einen. Dem geschassten GM-Chef Rick Wagoner werden 23 Millionen Dollar hinterher geworfen. Meine Männer hier werden mit 15 oder 20 Tausend Dollar abgespeist. Es sind nicht die Arbeiter, das Problem von GM liegt anderswo.

sueddeutsche.de: Mehr als ein Dutzend Fabriken will GM dichtmachen. Befürchten Sie, dass die Werke ins Ausland verlagert werden?

Skidmore: Ja. GM baut Buicks in China, auch in Mexiko werden unsere Autos produziert. Und das ist nur der Anfang, wenn wir uns nicht wehren. Obama muss kapieren, dass die USA ihre industrielle Basis auslagern. Unsere Handelspolitik ist eine Katastrophe.

sueddeutsche.de: Washington wird demnächst 60 Prozent an GM gehören. Soll die Regierung den Konzern lenken?

Skidmore: Nein, der Staat soll sich raushalten und GM so schnell wie möglich wieder zu einem privaten Unternehmen machen. Washington kann uns mit anderen Initiativen helfen. Und der Kongress hat ja schon ein wichtiges Gesetz auf dem Weg gebracht. Es soll es Arbeitern erleichtern, Gewerkschaften zu formen. Damit besteht endlich Hoffnung, dass die UAW auch in den Südstaaten Fuß fasst, wo die Fabriken der asiatischen und europäischen Autohersteller stehen.

sueddeutsche.de: Auch die UWA wird Miteigentümer von GM. Bei Chrysler sind sie sogar Mehrheitseigner. Wird das die Identität der Gewerkschaft verändern?

Skidmore: Das frage ich mich auch, ich kenne die Antwort nicht. In jedem Fall gibt es einen Interessenskonflikt, wenn uns das Unternehmen gehört, mit denen wir Löhne und Sozialpläne aushandeln. Wir werden sehen.

sueddeutsche.de: Einige Kommentatoren sagen der Gewerkschaft schwere Konflikte voraus. Die Pensionäre wollen vor allem einen hohen Aktienkurs, weil ihre Krankenversicherung aus den GM-Anteilen der Gewerkschaft bezahlt wird. Die Arbeiter dagegen wollen möglichst hohe Löhne. Das passt nicht zusammen.

Skidmore: Jetzt über Konflikte zu schwadronieren ist schwachsinnig. Die Krise hat ja gerade gezeigt, wie solidarisch wir sind. Wir Arbeiter haben Opfer erbracht, große Opfer. Wir haben das Sparkonzept von Gewerkschaftsführung und GM-Management ratifiziert, damit unseren Lebensstandard reduziert, um den der Rentner zu sichern.

sueddeutsche.de: Sie sagten bereits, dass Ihre Fabrik geschlossen wird. Wie geht es für Sie weiter?

Skidmore: Ich bin 51 und kann in Frührente gehen. Und in den nächsten Monaten kaufe ich mir einen nagelneuen Wagen. Natürlich von GM. Wir machen immer noch die besten Autos der Welt.

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