Insolvenzen:Eine Pleite, viele Pleiten

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Hertie, Wehmeyer und Sinn-Leffers waren nur der Anfang: Experten glauben, dass es bald wieder mehr Insolvenzen geben könnte. Besonders gefährdet ist der Einzelhandel.

Stefan Weber

Das Insolvenzrisiko in Deutschland steigt wieder. Nachdem mit Wehmeyer, Hertie und Sinn-Leffers in den vergangenen Wochen gleich drei größere Handelsunternehmen in Zahlungsnöte geraten sind, rechnen Kreditversicherer und Wirtschaftsauskunfteien in den nächsten Monaten mit weiteren, auch größeren Pleiten.

Hertie ist nur ein Beispiel von vielen: Das Insolvenzrisiko in Deutschland steigt wieder. (Foto: Foto: ddp)

Deutlich gestiegene Preise für Rohstoffe und Energie, die Krise an den Finanzmärkten sowie der starke Euro verdüstern die konjunkturellen Perspektiven und bringen damit immer mehr Firmen in Existenznöte. Der weltweit größte Kreditversicherer Euler Hermes erwartet spätestens 2009 einen erneuten Anstieg der Insolvenzen in Deutschland auf mehr als 29.000 Fälle. Seit mehr als fünf Jahren sinkt die Zahl der Firmenpleiten.

2007 mussten 29.150 Unternehmen wegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung den Weg zum Amtsgericht antreten. Das waren etwa 10.000 Insolvenzen weniger als im Rekordjahr 2003. Auch in den ersten sechs Monaten 2008 hielt dieser Trend. Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform registrierte in dieser Zeit 14.400 Firmenpleiten, ein Minus von fünf Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Doch nun droht sich das Blatt zu wenden. "Die Gefahr, insolvent zu werden, ist für viele Unternehmen in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen", sagt Michael Karrenberg, Leiter Risiko-Management Deutschland, Mittel- und Osteuropa beim weltweit zweitgrößten Kreditversicherer Atradius. Nach der Pleite der Modekette Wehmeyer hatte Atradius Mitte Juli den Textilhandel auf die Liste der stark risikobehafteten Branche gesetzt. Kurze Zeit später gerieten mit der textillastigen Hertie-Gruppe sowie dem Bekleidungshändler Sinn-Leffers zwei weitere Filialisten in Schieflage.

Kredite als "Zeitbombe"

Nun stellt Atradius auch die Branche der Automobilzulieferer unter besondere Beobachtung, wie Karrenberg im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung ankündigte. Er warnt jedoch vor einer pauschalen Risikoeinschätzung dieser Branche. "Infolge der gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise stehen vor allem metallverarbeitende Firmen unter Druck. Ihre Kosten haben sich dramatisch erhöht. Aber aufgrund der Absatzflaute der Autohersteller ist fraglich, ob sie diese Belastungen an ihre Kunden weitergeben können."

In diesem Umfeld rechnet Karrenberg damit, dass in den nächsten Monaten auch manchem größeren Unternehmen die Luft ausgeht. Automobilzulieferer im Eigentum von Finanzinvestoren seien dabei stärker gefährdet, weil es angesichts der Finanzkrise schwierig sei, Geld zu bekommen.

Die sich voraussichtlich weiter verteuernden Kredite sind nach Einschätzung von Creditreform eine "Zeitbombe": "Das engt den finanziellen Spielraum vieler Unternehmen ein und bringt insbesondere kapitalschwache Firmen in Nöte", meint Michael Bretz, Leiter der Volkswirtschaftlichen Abteilung. Creditreform zufolge ist jedes dritte kleine und mittelgroße Unternehmen in Deutschland unterkapitalisiert; das heißt, der Anteil des Eigenkapitals an der Bilanzsumme beträgt weniger als zehn Prozent.

Die Liquiditätssituation in manchen Firmen ist auch zunehmend angespannt, weil Kunden ihre Rechnungen immer später begleichen. Nach Beobachtung von Creditreform vergehen derzeit im Durchschnitt 14,4 Tage, bis eine bereits überfällige Rechnung bezahlt wird. "Damit haben die Zahlungsverzögerungen erstmals seit eineinhalb Jahren wieder deutlich zugenommen", stellt Betz fest.

Risiko Einzelhandel

Dem Kreditversicherer Euler Hermes bereitet auch die zunehmende Zahl der Pleiten im Ausland Sorgen. Allein in Amerika müssten in diesem Jahr 35 Prozent mehr Unternehmen Insolvenz anmelden als 2007. Durch diese Entwicklung seien vor allem Mittelständler, die ihren Export zuletzt stark ausgeweitet hätten, von Zahlungsausfällen bedroht.

Das größte Insolvenzrisiko sehen Fachleute weiter im Einzelhandel. Grund seien vor allem die gestiegenen Energiepreise, die den finanziellen Spielraum der Verbraucher stark einschränkten. Erst im vergangenen Monat hatte der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels Abstriche bei seiner Umsatzprognose für 2008 gemacht.

Atradius-Manager Karrenberg sieht auch Transportunternehmen zunehmend in Bedrängnis: Viele Transporteure, die auf der Straße unterwegs seien, könnten die höheren Spritpreise nicht in vollem Umfang an ihre Auftraggeber weitergeben. In einem ähnlichen Kosten-Dilemma befänden sich Baufirmen. Insbesondere Fassadenbauer hätten hier unter den gestiegenen Rohstoffpreisen zu leiden.

© SZ vom 18.08.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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