Einzelhandel:Herties Erbe

Lesezeit: 3 min

Die Familie Tietz war einst der größte Warenhausbetreiber Europas und revolutionierte den Handel - davon ist wenig übrig.

Steffen Uhlmann

Es sollte alles schön werden: Mit Feuerwerk und Hubschraubereinsatz hatte Guy Naggar, Chef und Mitgründer der Beteiligungsgesellschaft Dawnay Day, im März vergangenen Jahres die Wiederauferstehung der legendären Warenhauskette Hertie in Berlin gefeiert.

Der französische Investor und Chef der britischen Investorengruppe Dawnay Day, Guy Naggar (Foto: Foto: ddp)

" Hertie ist zurück", verkündete er unter Donnergetöse. "80 Prozent der Deutschen kennen diese Marke und verbinden mit ihr positive Werte." Nur ein gutes Jahr später ist der Traum von Guy Naggar geplatzt.

Die Anfänge der Warenhauskette mit dem berühmten Namen waren weit bescheidener als der Auftritt des Herrn Naggar. Im ostthüringischen Gera gründete 1882 Oskar Tietz mit dem Geld seines Onkels Hermann Tietz einen kleinen, aber feinen Laden, der mit Garnen, Knöpfen, Posamenten, Weißware und Wolle handelte.

Zum Startkapital des Neffen gehörte freilich auch das Credo des Onkels, der schon damals höchste Ansprüche an einen Händler und seine Waren stellte: "Qualität bedeutet, dass der Kunde und nicht die Ware zurückkommt." Neffe und Onkel haben sich immer daran gehalten und der Erfolg blieb nicht aus.

In schneller Folge wurden weitere Läden eröffnet, um die Jahrhundertwende gibt es bereits 15 Filialen - gleich "nebenan" in Weimar, aber auch in Karlsruhe, München, Straßburg, Stuttgart, Plauen, Hamburg und Berlin.

Vor allem Berlin, die Reichshauptstadt, wird mehr und mehr zum Ziel für die jüdische Händlerfamilie Tietz - hier beginnt mit dem Bau der ersten großen Warenhäuser auch eine neue Kultur des Handels.

Wechselhafte Jahre

1900 eröffnet Hermann Tietz in der Leipziger Straße einen großzügigen Bau mit eigener Kellerei, der alles bisher an Einkaufspracht bekannte in den Schatten stellt. Zwar erhält Tietz drei Jahre später harte Konkurrenz, als Georg Wertheim "gleich um die Ecke" das in Architektur und Ausstattung ebenbürtige Kaufhaus "Wertheim am Leipziger Platz" eröffnet, das aber stachelt seinen Expansionsdrang in Berlin nur noch weiter an.

1904 öffnet das "Warenhaus Tietz" am Alexanderplatz, zwei Jahre später ein weiteres Haus an der Tauentzienstraße.

Es folgen wechselhafte Jahre für das Tietz-Handelsimperium, denn die Konkurrenz ist groß in der Stadt. Da ist zum Beispiel Adolf Jandorf. Der Kommerzienrat, der in Berlin bereits vier große Kaufhäuser betreibt, eröffnet 1907 ebenfalls in der Tauentzienstraße das bald berühmte "Kaufhaus des Westens" (KaDeWe), das mit seinen 20.000 Quadratmetern Handelsfläche und 2400 Angestellten zur Attraktion in der Stadt wird.

Hermann Tietz selbst hat diesen Wettbewerb nicht mehr miterlebt. 1907 stirbt er, sein Neffe Oskar führt das Unternehmen alleine weiter. Zehn Jahre später treten seine beiden Söhne Georg und Martin Tietz in die Firma ein.

Mit dem Erwerb der sechs Kaufhäuser von Adolf Jandorf, darunter auch dem KaDeWe, steigt der Tietz-Konzern mit einem Umsatz von 300 Millionen Mark 1927 zum größten europäischen Warenhauskonzern in Familienbesitz auf. Fast 18000 Menschen arbeiten für das Unternehmen.

Fünf Jahre später, zum fünfzigjährigen Firmenjubiläum sind es schon mehr als 20.000 Beschäftigte, die für das in Deutscher Warenhaus-Konzern umbenannte Tietz-Imperium arbeiten. Doch die Weltwirtschaftskrise setzt dem Unternehmen zu, die Umsätze gehen um die Hälfte zurück. Die Bilanzen weisen Verluste aus. Hinzu kommt die aufkommende Hetze der Nationalsozialisten gegen die Warenhäuser in jüdischem Besitz.

Banken drohen

Die Tietz-Gruppe steht vor dem Konkurs, nachdem die Banken im März 1933 mit der Kündigung ihrer Kredite drohen. Kurz darauf verlangen sie, das Unternehmen zu liquidieren oder unter einem anderen Eigentümer zu sanieren. Politischer und ökonomischer Druck wachsen.

Tietz bleibt keine Wahl mehr. Ein Bankenkonsortium gründet, abgeleitet aus den Namensbestandteilen des Gründers HERmann und TIEtz, die Hertie Kaufhaus Beteiligungs GmbH, bewilligt einen Kredit von 11 Millionen Reichsmark und beansprucht dafür eine 60-prozentige Beteiligung an dem Unternehmen.

Aus Tietz wird Hertie, aus dem Warenhaus seines Cousins Leonhard Tietz Kaufhof - unter dem Regime der Nationalsozialisten und mit Hilfe der Banken wird das Schicksal der jüdischen Unternehmerfamilie besiegelt. Die Familie entkommt über Holland nach Palästina.

An die Spitze von Hertie aber rückt der Bankier Georg Karg, der bereits 1914 als Geschäftsführer eines der Warenhäuser von Adolf Jandorf tätig gewesen war. Karg erwirbt zwischen 1934 und 1939 sämtliche Geschäftsanteile der Hertie-Kette, von deren zehn Berliner Häusern nach Kriegsende nur noch drei bestehen.

Von Hamburg aus betreibt Karg ab 1948 den Wiederaufbau des Konzerns. Er verfolgt eine ehrgeizige Expansionsstrategie, die unter anderem auch den Erwerb der Mehrheitsanteile an Wertheim, die Gründung der Handelskette Bilka oder die Übernahme der Frankfurter Hansa AG beinhaltet. Zudem werden neue Hertie-Häuser in Berlin und Wuppertal eröffnet.

Als Georg Karg 1972 stirbt, übernimmt sein Sohn Hans-Georg einen Konzern mit einem Umsatz von mehr als drei Milliarden DM und gut 100 Filialen. 1994 geht Hertie im Karstadt-Konzern auf und der Markenname verschwindet zwischenzeitlich aus der Öffentlichkeit. Bis Guy Naggar kam - und scheiterte.

© SZ vom 01.08.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: