Impfzertifikate:Was hinter der Idee für die Immunkarte steckt

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Die Immunkarte wird inzwischen in bundesweit 9500 Apotheken verkauft. (Foto: imago)

Bisher zeigen die Menschen ihren Impfstatus meist mit dem gelben Pass oder per App. Praktisch ist das nicht immer. Nun werden Start-ups kreativ.

Von Benjamin Emonts

Kürzlich beim Bäcker. Eine ältere Frau, die Kaffee trinken will, wird höflich nach ihrem Impfnachweis gefragt. Statt eines Smartphones zückt die Frau jedoch eine blaue Scheckkarte, zusammen mit ihrem Ausweis. Der QR-Code auf der Karte wird vom Verkäufer gescannt und mit den Personalien auf dem Ausweis verglichen. "Danke, passt!", sagt er kurz. Bisher zeigten die Menschen ihren Impfstatus meist auf einem Handy, während sie mit der anderen Hand ihren Ausweis hervorkramten. Aber eine Scheckkarte?

Gut möglich, dass man sich an diesen Anblick gewöhnen wird. Die Corona-Scheckkarten werden serienmäßig verkauft. Der Apotheker Tamim Al-Marie hatte Anfang des Jahres das richtige Gespür, als er sein Unternehmen gründete, das die Karten anbietet. Für 9,90 Euro das Stück lässt sein Start-up "APO Pharma Immun" die QR-Codes der persönlichen Impfzertifikate auf Plastikkarten drucken und zu seinen Kunden verschicken. Von diesen "Immunkarten", wie das Produkt offiziell heißt, sind in Deutschland bereits drei Millionen im Umlauf. Aus Al-Maries Idee ist binnen Monaten ein florierendes Millionengeschäft entstanden. Ein Geschäft, dass andere Start-ups inzwischen nachahmen.

Al-Marie, 26, wirkt entsprechend gut gelaunt, als er die Erfolgsgeschichte an seinem Laptop erzählt. Er trägt ein weißes T-Shirt unter schwarzem Sakko, legerer Jungunternehmer-Stil. "Dass sich das Produkt bundesweit so schnell verbreitet, hätten wir uns nicht träumen lassen. Ab Oktober wurden wir zeitweise überrollt", sagt er und grinst. Erst kurz vor der Gründung hatte Al-Marie, dessen Vater in den Achtzigern aus Syrien in die DDR eingewandert ist, ein Pharmazie-Studium in seiner Heimatstadt Halle abgeschlossen und seine Approbation als Apotheker erhalten. "Ich kann mit Stolz sagen, dass meine erste Firma nach wenigen Monaten profitabel geworden ist. Das ist für Start-ups ja nicht gerade die Regel."

Der Apotheker Tamim Al-Marie. (Foto: oh)

Al-Marie hatte die richtige Idee zur richtigen Zeit. Bereits Ende Januar, als die Impfkampagne in Deutschland schleppend anlief, hatte er kommen sehen, dass Impfnachweise bald eine zentrale Rolle im Alltag spielen würden. "Es war abzusehen, dass es einen Unterschied machen wird, ob man geimpft ist oder nicht - genau darauf haben wir gesetzt", sagt der Apotheker. Danach kam eins zum andern. Die EU führte einen digitalen Impfpass ein und die Bundesländer verhängten Einlassbeschränkungen für nicht Geimpfte. Ohne Impfnachweis geht heute fast nichts mehr im öffentlichen Leben. Man braucht ihn für Restaurants, Kaufhäuser und vielerorts auch für öffentliche Verkehrsmittel.

Um den Impfstatus nachzuweisen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum einen den gelben Impfpass. Er ist als Nachweis aber oft nicht mehr zulässig, weil die Büchlein so häufig gefälscht wurden. Erforderlich ist stattdessen ein QR-Code, den man gleich bei der Impfung oder später in der Apotheke erhält. Diese Codes lassen sich mit Apps wie dem "Covid-Pass" oder der "Corona-Warn-App" speichern und am Smartphone vorzeigen. Auch mit Fotos, Screenshots oder Papierausdrucken des Codes lässt sich der Impfstatus nachweisen.

Die Scheckkarten sind inzwischen eine gefragte Alternative. Sie werden im gesamten EU-Raum akzeptiert. Beliebt sind die Karten besonders bei älteren Menschen, die gar kein Smartphone besitzen oder mit Apps nichts anfangen können. Außerdem dienen sie als Ersatz, wenn das Handy zuhause liegen geblieben ist oder der Akku leer ist. Vielen erscheint es komfortabel, die Karte neben dem Ausweis griffbereit im Portemonnaie zu haben.

Das Start-up sitzt in einer alten Baumwollspinnerei

Die Bestellungen erhält Al-Maries Firma über den eigenen Online-Shop, wo man den QR-Code samt Lieferadresse hochladen muss, und zu einem Großteil über teilnehmende Apotheken. Sie bekommen von dem Start-up eine eigens programmierte App, mit der sie die QR-Codes der Kunden einscannen und samt Lieferadresse an den Server des Start-ups übermitteln. Von dort kommen die Daten anschließend in die Druckerei. Die fertigen Karten werden innerhalb von sieben Werktagen zum Kunden nach Hause geschickt. Dessen Daten, sprich Name, Geburtsdatum, Impfdatum, Adresse und Mailkontakt speichert das Start-up auf einem Server in Frankfurt. "Sobald die Pandemie vorbei ist, werden sie wieder gelöscht", verspricht Al-Marie.

Eine staatliche Genehmigung musste sich das Start-up nicht holen, da es sich um ein privates Angebot handelt. Dennoch hat Al-Marie sein Projekt dem Bundesamt für Gesundheit mehrfach vorgestellt, ohne eine Antwort erhalten zu haben. "Wir gehen deshalb fest davon aus, dass es nicht falsch ist, was wir da machen", sagt er. Auf Nachfrage der SZ will sich das Bundesamt für Gesundheit zu "Angeboten von Einzelanbietern" nicht äußern. Doch immerhin so viel: "Der digitale Impfnachweis ist kryptographisch vor Veränderungen geschützt", sagt ein Sprecher. "Insofern ist auch das Vorzeigen eines Ausdrucks mit dem entsprechenden QR-Code möglich."

Die große Leistung seines Unternehmens sieht Al-Marie nicht in seiner Idee ("Wir haben das Rad nicht neu erfunden"), sondern in der schnellen Verbreitung des Produkts. Neben Werbung war dabei der enge Kontakt zu Apotheken entscheidend. Die Immunkarte wird heute in 9500 Filialen angeboten, mehr als die Hälfte aller Apotheken in Deutschland. In Hochzeiten erhält das Start-up täglich 100 000 Bestellungen. "Wir schieben durchaus die ein oder andere Nachtschicht", sagt Al Marie. Die gesamte Abwicklung managt ein Team aus 15 jungen Menschen, darunter Apotheker, Programmierer und Studenten, die halbtags oder als Praktikanten arbeiten. Die Firma sitzt in einer ehemaligen Baumwollspinnerei in Leipzig.

Andere wollen auf den Zug aufspringen

Bei der Frage nach den Margen hält sich Al-Marie bedeckt, doch es bleibt gewiss etwas übrig. Allein die bisher verkauften drei Millionen Karten brachten dem Unternehmen einen Umsatz von fast 30 Millionen Euro. Das reine Drucken der Karten ist nicht allzu teuer, wie ein Blick ins Internet zeigt. Bestellt man eine Charge von 10 000 Karten, so verlangen Anbieter zwölf Cent pro Karte. Dazu kommen allerdings Kosten für Porto, personalisierte Anschreiben und das Konfektionieren. Die Apotheken erhalten von Al-Maries Firma 3,57 Euro pro Karte.

Ein Geschäft mit den Karten wittern nun auch andere Unternehmen. Manche Apotheken drucken die Karten selbst aus und im Internet bieten Privatpersonen entsprechende Dienste an. Daneben gibt es drei, vier größere Anbieter. Sie nennen sich etwa "Immun ID", "Covid-Card" oder "CovCard". Letzteres ist ein Start-up, das vier Unternehmer aus München gegründet haben. Sie bieten ihre Karten in verschiedenen Farben an und liefern dazu zwei Sticker mit dem QR-Code, die man auf dem Personalausweis oder der Rückseite des Smartphones anbringen kann.

Die nahe Zukunft und das grassierende Virus dürften dem Unternehmen von Al-Marie auch mittelfristig gute Umsätze garantieren. Mit dem derzeitigen System des Robert-Koch-Instituts wird für jede Impfung ein neuer QR-Code erstellt. Wer also geboostert wurde, braucht eine neue Karte. Die Aufträge werden folglich nicht ausgehen. Mit den Erlösen seines Geschäfts will Al-Marie schon bald neue Projekte starten. "Es ist kein Geld, mit dem ich in den Urlaub fahren werde."

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