Immobilien:Bereit für den "Brexodus"

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Nach dem Votum der Briten könnten Banken viele Tausend Arbeitsplätze aus London in andere europäische Städte verlagern: nach Dublin, Frankfurt oder Paris. Der Wettbewerb der Standorte ist längst entbrannt.

Von Benedikt Müller, Meike Schreiber, München/Frankfurt

Noch hält Christian Lanfers Telefon still. "Seit Freitag gab es noch keine ernst zu nehmenden Anfragen, die auf den Brexit zurückzuführen sind", sagt der Makler, der bei Jones Lang Lasalle das Vermietungsgeschäft in Frankfurt leitet. Nachdem sich die Mehrheit der Briten dafür ausgesprochen hat, die EU zu verlassen, ist Lanfers Branche jedoch in vorsichtiger Aufregung: Werden die Banken jetzt einen Teil ihres Geschäfts von London nach Frankfurt verlagern? "Als Makler würde es mich natürlich freuen", sagt Lanfer. Doch noch, berichten die großen Büro-Vermittler am Main, seien keine konkreten Anfragen eingegangen.

Jahrelang kannten die Preise für Immobilien in London nur eine Richtung: nach oben

Was Frankfurter Makler erfreut, war ein Schock für die Kollegen an der Themse. Bereits seit der Ankündigung des Brexit-Referendums haben britische Makler nach Angaben ihres Verbands RICS deutlich weniger Immobilien an den Mann gebracht: Investoren wollten abwarten, wie die Briten entscheiden. Nun droht vor allem der Finanzplatz London an Bedeutung zu verlieren. Denn bislang konnten sich beispielsweise amerikanische Banken darauf verlassen, dass ihre Geschäfte automatisch in der gesamten EU anerkannt sind, wenn sie nur eine Niederlassung in London haben. Dieser Standortvorteil droht nun wegzubrechen - je nachdem, was Großbritannien und die EU aushandeln. Bis das feststeht, dürften Handel und Vermietung von Immobilien stocken. Wenn die Banken tatsächlich viele Tausend Arbeitsplätze von der Themse in andere europäische Städte verlagern, droht nicht nur neuen Bürotürmen in London der Leerstand. Auch auf dem Wohnungsmarkt würden auf einen Schlag viele Gutverdiener als Käufer wegfallen. Das britische Finanzministerium hatte vor dem Referendum gewarnt, im Falle eines Brexit könnten Londoner Immobilien zehn bis 18 Prozent an Wert verlieren. Nun mehren sich die Anzeichen, dass der heiß gelaufene Wohnungsmarkt an der Themse tatsächlich abkühlt. Wie die Fi nancial Times berichtet, stellen Investoren geplante Bauprojekte in London infrage; Kaufinteressenten schieben ihre Entscheidungen auf. Die Fondsmanager von Henderson Global Investors sahen sich bereits gezwungen, den Preis ihres britischen Immobilienfonds um fünf Prozent zu senken.

Nun scheint ein jahrelanger Boom zu Ende zu gehen. Seit der Finanzkrise haben sich Wohnungen in London jedes Jahr um acht bis 13 Prozent verteuert. Immer mehr Londoner beklagen, dass sie sich ihre Stadt nicht mehr leisten könnten. Dank der Magerzinsen haben internationale Anleger, allen voran aus China und den Golfstaaten, Milliarden in den Markt investiert. Immobilien in London galten als sicherer Hafen, auch aus Mangel an Alternativen. Nun droht diese Preisblase zu platzen. Bereits seit dem Frühjahr hatte sich angedeutet, dass die Preise für Neubauwohnungen in London in diesem Jahr fallen werden - zum ersten Mal seit vielen Jahren. Eine höhere Grunderwerbsteuer war ein Auslöser, nun kommt noch das Nein zur EU dazu.

Doch was in London wegbricht, wird sich in anderen Städten ansiedeln. "Der Austritt Großbritanniens stellt den deutschen Immobilienmarkt vor eine große Herausforderung", sagt Andreas Mattner, Präsident des Zentralen Immobilien-Ausschusses. "Internationale Investoren könnten sich nun verstärkt auch an den deutschen Standorten nach neuen Möglichkeiten umsehen." So hofft der deutlich kleinere Finanzplatz Frankfurt, einen Teil des Geschäfts von der Themse abzubekommen. Selbst wenn nur zwei Prozent der Londoner Finanzbeschäftigten nach Frankfurt umziehen würden, rechnet der Makler-Konzern Colliers vor, stiege die Anzahl der Bankmitarbeiter am Main um elf Prozent.

Der Markt für Gewerbe-Immobilien in Frankfurt würde diese Nachfrage wohl verkraften. In keiner deutschen Stadt steht so viel Bürofläche leer wie in Frankfurt. Die Branche berichtet von mehr als einer Million Quadratmeter - Platz genug für 50 000 zusätzliche Banker-Arbeitsplätze.

Knapp ist dagegen das Angebot an Miet- und Eigentumswohnungen. Bereits jetzt ist Frankfurt sehr dicht bebaut. Als die Europäische Zentralbank vor eineinhalb Jahren 1000 neue Bankaufseher aus vielen verschiedenen europäischen Ländern einstellte, konnte das der Wohnungsmarkt noch verkraften. Doch nun hofft der Finanzplatz auf das Zehnfache dessen. Stadtviertel wie das Ostend, die bisher noch nicht als so schick gelten, könnten weiter aufleben; es droht aber auch eine weitere Verdrängung von Einheimischen. Bereits jetzt sind die Wohnungsmieten mit Ausnahme von München in keiner deutschen Stadt so hoch wie in Frankfurt. Frankfurter Familien konkurrieren zudem heftig um Plätze in Kindertagesstätten und Gymnasien. Für die Stadt wie für die Immobilienwirtschaft würde der "Brexodus" zur Herausforderung. Allerdings steht noch lang nicht fest, ob Frankfurt wirklich der Gewinner wäre. "Das ist alles noch nicht absehbar", sagt auch Makler Lanfer. Schließlich wirbt auch Paris für die Ansiedlung von Bankern an der Seine. Dublin wiederum könnte davon profitieren, dass dort ebenfalls Englisch gesprochen wird - und das Regelwerk für Banken dem in Großbritannien ähnelt. Der Standort-Wettbewerb ist längst entbrannt.

© SZ vom 29.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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