Alle drei Monate fliegen sieben Menschen an die amerikanische Küste und steigen in einen verbunkerten Serverraum. Iris- und Handscanner stellen sicher, dass nur die Auserwählten die vergitterten Räume betreten können. Die sieben bringen je einen Schlüssel mit, der jeweils einen Safe öffnet. Darin liegt eine Zugangskarte wie für Hotelzimmer. Die sieben Zugangskarten zusammen erstellen einen sogenannten Masterschlüssel.
Dieser Masterschlüssel gehört der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers, kurz Icann. Sie erstellt und überprüft alle drei Monate eine Art Telefonbuch für das Internet. Das Netz ist ohne dieses Telefonbuch für Menschen nicht mehr bedienbar. Sie würden sich verlaufen. Um zur Internetseite der Süddeutschen Zeitung zu kommen, müsste man 195.50.176.88 eingeben.
Icann passt auf, dass Name und Zahl zusammenpassen. Sonst könnten Kriminelle etwa Bankkunden auf eine gefälschte Seite locken, um die Kontozugangsdaten zu stehlen. Wer kann schon erkennen, ob hinter 195.140.100.117 eine Bank oder ein Hacker steht?
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Die Icann verteilt auch diese Nummern, die IP-Adressen. Das macht sie zu einem der wichtigsten Entscheider im Netz und hat ihr den Spitznamen Internetregierung eingebracht. Sie hat nur, wie alle großen und wichtigen Dinge im Internet, ein Problem: Sie sitzt in den USA. Seit Edward Snowden ist klar, dass die amerikanischen Geheimdienste potentiell alle Daten abgreifen können, die durch Leitungen in den USA fließen. Mal legal, mal illegal — nur die Technik setzt Grenzen. Die Überwachung betrifft praktisch jeden Internetnutzer, weil die großen Internetdienste wie Facebook oder Google ihre Daten auf Servern in den USA lagern.
Seit 1998 hat Icann einen Exklusivvertrag mit der US-Regierung. In den nächsten Monaten soll ein neues Modell entwickelt werden. Ab Oktober 2015 könnte die Icann dann eine multilaterale Organisation werden, eine Internet-UNO. Das ist eine kleine Revolution für das in den USA geborene Internet. Und eine dringend nötige: Denn auch wenn die großen Spieler im Netz oft amerikanisch sind, wohnt die große Mehrheit der Nutzer, für das Internet Lebenswelt und Arbeitsalltag ist, in anderen Ländern. Das muss sich in der Architektur des Internets niederschlagen.
Hochsicherheits-Zermonie live im Netz
Icann könnte so zum Vorreiter werden, wie das Internet reguliert werden sollte. Schon jetzt gehören Staatsangehörige aus Ländern aller Kontinente, auch Russen und Chinesen, zu den Auserwählten, die Icann-Schlüssel oder Ersatzzugänge besitzen. Die als gemeinnützige Firma aufgestellte Organisation setzt bei der Entwicklung der technischen Protokolle, die Computer mit dem Internet verbinden, auf viel Transparenz. Die Arbeit erinnert an die sogenannte Open-Source-Idee. Dabei ist der Quellcode eines Computerprogramms, die Betriebsanleitung, öffentlich und damit für jeden Hobbyinformatiker einsehbar. So können die Internetnutzer im Zweifel selbst schauen, ob in den Funktionsweisen des Internets versteckte Hintertüren eingebaut sind, durch die Geheimdienste eindringen und Bürgerrechte verletzen können. Denn nicht die Internetnutzer sollten gläsern sein, sondern die Internetregierung.
Um eine Transparenz zu symbolisieren, überträgt Icann schon jetzt die Hochsicherheits-Zeremonie live im Internet. Wer zuschauen will, sollte aber keinen Thriller erwartet. Den Guardian erinnert das Treffen zwar wegen des Irisscanners und anderem technischen Schnickschnack ein bisschen an den Film "Matrix". Ansonsten sei das Treffen aber profan und menschlich wie das Büroleben in "Stromberg".