Reisemobile:Corona hilft den Herstellern von Wohnmobilen

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Wollen gemeinsam noch stärker werden: Martin Brandt (links), Geschäftsführer des Reisemobil- und Wohnwagenherstellers Hymer, und Bob Martin, Chef der amerikanischen Branchenfirma Thor. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Die Erwin Hymer Group wurde 2019 von Thor übernommen. Die Verbindung des Familienunternehmens mit dem US-Konzern funktioniert gut.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

Es ist ein ungewöhnliches transatlantisches Bündnis. Der US-Marktführer Thor Industries übernahm im Februar 2019 den europäischen Marktführer Erwin Hymer Group, gemeinsam sind sie weltweit die Nummer Eins unter den Herstellern von Wohnmobilen und -Anhängern. Ein an der Wall Street notierter Konzern versucht also sein Glück mit einem Familien-Unternehmen aus dem oberschwäbischen Kneippkurort Bad Waldsee.

Kann das überhaupt gutgehen? "Die Zusammenarbeit läuft hervorragend", sagt Martin Brandt, der Chef der Erwin Hymer Group (EHG), eineinhalb Jahre nach dem Aufkauf. Seine Mitarbeiter hatten zunächst Angst, der neue Eigentümer könnte das Prinzip Hire and Fire nach Bad Waldsee bringen. Aber diese Befürchtungen sind bislang nicht eingetroffen. "Wir sind kein Konzern, der ein Unternehmen kauft, um die Leute rauszuwerfen", beteuert Thor-Boss Bob Martin. "Wir machen keinen Druck, sondern hören zu und lernen", sagt der 50-Jährige. "Unser Ziel ist es, gemeinsam noch stärker zu werden."

Das gelang bisher. Nicht zuletzt, weil die Freizeitfahrzeug-Branche enorm von der Corona-Krise profitiert. Denn wegen der weltweiten Reise-Restriktionen steigen viele Urlauber vom Flugzeug ins Wohnmobil um. Sie verstärken damit den Boom, den das Campen bereits vor Corona ohnehin erlebt hatte.

Dieser Run auf Reisemobile, Wohnwagen und Camper-Vans findet dies- und jenseits des Atlantiks statt, wie Martin Brandt berichtet: "Die gegenwärtige Krise wird den Trend zum bewussten und entschleunigten weiter verstärken." Der 60-Jährige spricht vom "Slow Travel" als "Reiseform der Zukunft", auch weil immer mehr junge Leute und Familien diese Art des individuellen Flexi-Urlaubs wählen. In den USA gehen die Käufer noch einen Schritt weiter, erzählt Bob Martin: "Sie fahren kreuz und quer durch das Land und arbeiten im Caravan, das ist bei uns der große Renner." Camper-Lifestyle made in USA.

Die frisch Vermählten zwei Martins arbeiten wahrlich auf einer Insel der Seligen. Nach Angaben des Caravaning Industrie Verbands Deutschland (CIVD) schossen die Neuzulassungen von Freizeitfahrzeugen im ersten Halbjahr auf knapp 55 000 Fahrzeuge hoch. Das ist etwa vier Prozent mehr als im Vorjahr und "Rekordwert". Welch einen Rausch die Branche erlebt, zeigt folgende Zahl: 2016 wurden in Deutschland im gesamten Jahr nicht mehr Freizeitmobile verkauft als in den vergangenen sechs Monaten. Und jetzt bringt auch noch die Mehrwertsteuer-Senkung zusätzlichen Schwung in den Markt. Im Juli lagen die Reisemobil-Zulassungen um 95 Prozent über dem Vorjahresmonat. Bei den Wohnwagen-Zulassungen waren es immerhin 54 Prozent. In anderen europäischen Ländern sind die Zahlen laut CVID ähnlich oder sogar noch höher.

Die Nachfrage ist so groß, dass sie fast schon wieder problematisch ist. Denn die Erwin Hymer Group, zu der Marken wie Bürstner, Eriba oder Dethleffs gehören, kommt mit der Produktion kaum hinterher. "Unsere Werke sind bis mindestens Ende des Jahres ausgelastet und arbeiten an den Kapazitätsgrenzen", sagt EHG-Chef Brandt. Falls der Zuspruch so weiter geht, erwägt er zusätzliche Einstellungen im Herbst. Bislang hatte das Unternehmen aus der oberschwäbischen Provinz eher Schwierigkeiten, neue Fachkräfte zu finden. Demnächst könnte sich das ändern: Viele Autobauer und Zulieferer bauen Arbeitsplätze ab, bei ihnen schlägt die Corona-Krise voll durch.

Seinen 50. Geburtstag feierte der Boss aus den USA auf dem Oktoberfest - in Lederhosen

EHG-Chef Brandt ist davon indirekt mitbetroffen. Er baut die Wohnmobile auf Fahrgestelle von Mercedes oder Fiat auf. Der dringend benötigte Chassis-Nachschub blieb wegen Problemen in den Lieferketten aber zwischenzeitlich aus. Inzwischen läuft es wieder besser, "ist aber immer noch ein Thema", sagt Brandt.

Ähnlich gut laufen die Geschäfte für Thor in den USA. Seit dem Tiefpunkt in der Corona-Krise hat sich der Aktienkurs etwa verdreifacht, er liegt derzeit zehn Prozent über dem Vor-Corona-Niveau.

Zusätzliches Wachstum will Thor-Chef Martin nun erreichen, indem er seine amerikanischen Fahrzeuge in Europa anbietet. Allen voran die auffälligen, chromfarben blitzenden und kugelrunden Anhänger der Marke Airstream. "So bald wie möglich" wolle er diese Vehikel in Europa "produzieren und verkaufen", kündigt er an. Wo die Produktion angesiedelt wird, sei noch offen. Andersherum plant Martin, die hochwertigen Produkte seiner Tochter EHG in den Staaten anzubieten. Der erste Test hierzu sei schon mal gelungen, berichtet Martin: "Wir haben unseren US-Händlern die Fahrzeuge gezeigt. Sie wollten sie sogleich haben und weiterverkaufen." Sie seien begeistert gewesen von der "deutschen hochqualitativen und präzisen Verarbeitung". Sie hätten sich nur noch ein paar Zusatz-Dinge gewünscht wie Generator, Mikrowelle und Haarföhn, fertig sei "das perfekte Angebot".

Wenn Corona nicht dazwischen gekommen wäre, hätte er auch schon im Oktober ein EHG-Werk in den USA eröffnet, beteuert Martin. Er wünscht sich solch eine Musterfabrik mit deutschen Fachkräften, "auch um uns die Prozesse anzuschauen und davon zu lernen". Überhaupt sei er als Nachfahre deutscher Einwanderer ein großer Fan der deutschen Kultur.

Inzwischen war er etwa 15 Mal in Deutschland, seinen 50. Geburtstag feierte er in Lederhosen auf dem Oktoberfest. Mit Martin Brandt, weiteren Managern und deren Partnern. "Meine Frau hat jetzt mehrere Dirndln", sagt Bob Martin stolz. Aber Martin will in Deutschland nicht nur die Tradition pflegen, sondern auch Zukunft gestalten. Er denkt da an autonom fahrende Wohnmobile: "Sich abends ins Fahrzeug legen und am nächsten Morgen in einer neuen Stadt aufwachen, das ist der Traum von vielen." Er geht davon aus, dass diese Technik zuerst in Pkws auf den Markt komme. Erst danach kämen Reisefahrzeuge. Sein Ziel sei es, zusammen mit seinen Partnern Mercedes und Ford "die Ersten" zu sein, die selbstfahrende Reisefahrzeuge anbieten. "Daran arbeiten wir."

© SZ vom 20.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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