Hardware zum Habenwollen:Microsoft ist wieder cool - und weiter in der Krise

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Panos Panay, der Vize-Chef der Surface-Produktserie, präsentiert das neue Microsoft Surface Pro 4. (Foto: AP)
  • Microsoft hat überraschend innovative Hardware präsentiert und seinen Ruf als Langweiler gründlich widerlegt.
  • Das war bitter nötig: Der Konzern ist noch immer in der Krise und hat bei Smartphones und im Cloud-Geschäft den Anschluss verpasst.
  • Der neue Chef Satya Nadella muss Microsoft grundlegend umbauen.

Kommentar von Helmut Martin-Jung

Da staunten sogar eingefleischte Apple-Fans: Dass der gerne als dröge beschriebene Microsoft-Konzern aus dem verregneten Redmond am Dienstagabend in New York eine Präsentation zustande brachte, die nicht bloß der perfekten Inszenierung wegen an die liturgieartigen special events des Konkurrenten aus Kalifornien heranreichte. Das war das eine. Das andere, wichtigere aber war dies: Microsoft schaffte es, mit Produkten zu überzeugen, streckenweise sogar zu begeistern.

Auch wenn man das Marketing-Getöse ausblendet, bleiben am Ende noch immer Geräte, die in ihren jeweiligen Kategorien sehr, sehr ernsthafte Konkurrenten für diejenigen von Apple sind. Einen superschnellen Laptop, der gut aussieht, bei dem sich der Bildschirm als Tablet verwenden und mit einem schlauen Stift bedienen lässt. So etwas hat Apple gar nicht zu bieten. Bei den Tablets hinkt Apple ja schon länger Microsoft hinterher, zumindest, wenn es weniger um hübsches Äußeres denn um Produktivität geht. Und mit der Virtual-Reality-Brille HoloLens hat Microsoft sogar ein Projekt im Portfolio, das man tatsächlich als cool bezeichnen kann.

Surface
:Diese neuen Produkte hat Microsoft vorgestellt

Die Firma stellt den ersten eigenen Laptop vor, dazu ein neues Tablet, neue Smartphones und smarte Uhren. Selbst Apple-Fans sind begeistert.

Also alles gut beim angeschlagenen Riesen Microsoft? Von wegen.

Die gelungene Hardware-Präsentation war ein Befreiungsschlag, und zwar einer, auf den Investoren wie Kunden lange hatten warten müssen. So überzeugend das neue Tablet Surface Pro 4 und der neue Laptop auch sind, in der mengenmäßig wesentlich bedeutenderen Kategorie der Smartphones wird Microsoft auch nach dem Coup von New York nur eine Randerscheinung bleiben.

Bei den Smartphones hinkt Microsoft hinterher

Denn weder brachten die vorgestellten Handys wirklich überzeugende neue Fähigkeiten mit - was, zugegeben, derzeit auch schwierig ist -, noch wird das für viele Microsoft-Geräte vereinheitlichte Betriebssystem Windows 10 die Nutzer nun in Scharen zu Windows-Handys greifen lassen. Dieser Zug ist schon vor längerer Zeit abgefahren, Microsoft tut sich trotz großer Anstrengungen sehr schwer damit, das heute so wichtige Futter für die smarten Telefone zu liefern: Apps. Apps für Windows-Handys werden oft zuletzt bereitgestellt, wenn sich überhaupt jemand die Mühe macht.

Wäre es anders, müsste Microsoft nicht seine wichtigsten Programme als Apps für Apple-Geräte und für solche mit Googles Betriebssystem Android anbieten. Dass der neue Konzernchef Satya Nadella diesen auch im eigenen Haus nur schwer vermittelbaren Schritt gehen musste, zeigt die Schwäche von Microsoft bei Smartphones. Die gewaltige Entlassungswelle, die vor allem Mitarbeiter der von Nokia übernommenen Handysparte traf, ist ein weiteres starkes Indiz.

Die alte Bulldozer-Strategie funktioniert nicht mehr

Aber nicht nur diese eklatante Schwäche ist eine offene Flanke beim größten Software-Konzern der Welt. Auch der Trend zur Cloud - also zu Programmen, die in Rechenzentren laufen und dort Daten ablegen - hat ein ziemlich radikales Umsteuern des bisherigen Geschäftsmodells nötig gemacht. Gut für den Konzern, dass der neue Chef Nadella davon eine Menge versteht, und dass er auch begriffen hat: Die alte Bulldozer-Strategie funktioniert nicht mehr.

Nadella verfährt daher eher nach der Strategie: Umarme, was du nicht verdrängen oder schlucken kannst. Also schließt er Kooperationsabkommen mit Salesforce, der explosionsartig wachsenden Firma für Unternehmenssoftware aus der Cloud. Oder er verstärkt die Bemühungen seines Unternehmens, am eigentlich konkurrierenden Betriebssystem Linux mitzuwirken - zwei Beispiele von vielen.

Der Kurswechsel war schmerzhaft, aber überlebenswichtig

Für den Supertanker Microsoft, der lange, zu lange, einfach weitergedampft war, ist der abrupte Kurswechsel, den Nadella nun vornehmen muss, sehr schmerzhaft. Entlassungen, Umorganisationen, Wechsel in der Führungsmannschaft haben den Konzern aufgewühlt. Insofern war das Event von New York auch ein wichtiges Signal nach innen: Wir können es noch.

Doch in der schnelllebigen Technologiebranche ist ein solcher Erfolg auch schnell wieder vergessen. Will Microsoft weiter relevant bleiben, müssen die neuen (und richtigen) strategischen Ziele weiter konsequent verfolgt werden. Der versprochene Zugewinn, den der Einsatz von Windows 10 auf nahezu allen Microsoft-Geräten bringen soll, muss auch wirklich eingelöst werden. Die erfolgreichen Bemühungen in Richtung Cloud müssen noch verstärkt werden, zumal jetzt nach dem EuGH-Urteil zum Datenschutz, durch das sicher auch viele europäische Unternehmen eine Chance wittern werden, die Konkurrenz aus den USA zu übertrumpfen.

© SZ vom 08.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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