Handel:0,6 Prozent

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* unter anderem Lidl und Kaufland. SZ-Grafik; Quelle: Unternehmen, Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsinstitute (Foto: SZ-Grafik)

Das ist der Marktanteil von Kaiser's Tengelmann. An der Macht der großen Konzerne ändert er nichts.

Von Michael Kläsgen, München

Die Aufregung ist groß. Aber an den Kräfteverhältnissen im Lebensmittelhandel ändert die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf so gut wie nichts. Das liegt an einer simplen Zahl, und die lautet 0,6 Prozent. So gering ist der Marktanteil von Kaiser's Tengelmann bundesweit. In Berlin und München könnte man den Eindruck haben, Tengelmann sei omnipräsent. Dort sieht man vergleichsweise viele der verbliebenen 430 Supermärkte. Aber der Eindruck täuscht über die Bedeutungslosigkeit von Tengelmann im deutschen Lebensmittelhandel hinweg. Bundesweit spielt Kaiser's kaum mehr eine Rolle. Mit seinen 0,6 Prozent Marktanteil hat das Unternehmen auch keine Einkaufsmacht. Es kann Lieferanten kaum Preise diktieren. Tengelmann trägt höchstens noch zur Vielfalt bei.

Edeka hat seinen Vorsprung ausgebaut - mit Genehmigung des Bundeskartellamts

Wenn Edeka sich diese 0,6 Prozent nun vorerst nicht einverleiben darf, tangiert das die Macht der Gruppe aus Hamburg in keiner Weise. Der genossenschaftlich organisierte Unternehmensverbund, geführt von Markus Mosa, ist so oder so das Schwergewicht unter den Lebensmittelkonzernen. Edekas Marktanteil belief sich 2015 auf 25,3 Prozent. Die Gruppe beschäftigt 330 000 Mitarbeiter und erzielte 2015 einen Umsatz von mehr als 53 Milliarden Euro. Während der Riese Edeka wächst und wächst, schrumpft der Zwerg Tengelmann. 2015 waren es noch knapp 16 000 Mitarbeiter. Der Umsatz lag bei 1,78 Milliarden Euro. Seit mehr als zehn Jahren schreibt Tengelmann mit seinen Supermärkten rote Zahlen. Seit zwei Jahren investiert der Konzern kein Geld mehr in die Märkte. Einerseits ist da also der gewollte und proklamierte Niedergang Tengelmanns, andererseits der Aufstieg Edekas.

Der begann schon vor Jahren. Seit 2000 hat Edeka seine Erlöse mehr als verdoppelt, und zwar auch durch Übernahmen - genehmigt jeweils vom Bundeskartellamt. Zu den spektakulärsten Aufkäufen gehörte 2007 der Kauf der Discount-Märkte Plus (siehe "Die Chronologie eines Dramas"). Die Konzentration im deutschen Lebensmittelhandel schritt in diesen Jahren mit großen Schritten voran.

Heute dominieren einige wenige Konzerne den Markt: Edeka, Rewe, die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) und Aldi. Sie spielen gegenüber Produzenten und Lieferanten ihre Marktmacht aus und drücken die Preise. Die Milchpreise, von denen die Bauern kaum mehr leben können, sind das aktuellste Beispiel. Auch Fleisch wäre in Deutschland ohne die großen Vier wohl nicht so günstig. Die Leidtragenden dieser Entwicklung sind aber nicht nur die Landwirte und Lieferanten. Kosten werden auch bei den Beschäftigten gespart. Kaum eine Branche zählt so viele schlecht bezahlte Jobs wie der Einzelhandel.

Hier kommt ein paradoxes Moment ins Spiel. Der Verbraucher weiß oder ahnt das. Die Preise für Nahrungsmittel sind ihm aber besonders wichtig. Sie sind für Lebensmittel in Deutschland so niedrig wie in wenigen anderen industrialisierten Ländern. Es ist wie im Teufelskreis. Die niedrigen Preise bedingen die Konzentration in der Branche, eine gewisse Größe ermöglicht aber erst, niedrige Preise zu bieten. Wohl nirgends kämpfen die Handelskonzerne so unnachgiebig um die Preise wie in Deutschland. Aldi galt lange als derjenige, der sie vorgibt. Dann kam Lidl. Inzwischen treibt der Discounter Aldi vor sich her. Aldi Süd nahm daraufhin Markenartikel wie zuvor Lidl ins Sortiment, und zwar solche, die es auch bei Edeka und Rewe gibt. Senkt heute der eine etwa den Preis für einen Schokoriegel, ziehen alle nach.

Die 0,6 Prozent mehr oder weniger ändern an diesen Mechanismen kaum etwas. Das Entstehen von marktbeherrschenden Konzernen hätte das Bundeskartellamt vielleicht vor Jahren unterbinden können. Jetzt scheint es zu spät dafür zu sein.

Wenn Kaiser's an Rewe verkauft würde, wie Konzern-Chef Alain Caparros es seit zwei Jahren immer wieder fordert, müssten Kartellrechtler die gleichen Fragen stellen wie im Fall Edeka. Rewe hat daher leicht reden, zu beteuern Kaiser's ohne Wenn und Aber und mit allen Mitarbeitern zu übernehmen. Caparros weiß, dass es dazu kaum kommen wird. Das gesamte Verfahren müsste neu aufgerollt werden, das Kartellamt zustimmen, die Monopolkommission befragt und vielleicht gar der Wirtschaftsminister angerufen werden. Zudem will Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub, aus welchen Gründen auch immer, nicht an Rewe verkaufen.

Rewe ist auch darüber verbittert, dass Edeka in den vergangenen Jahren so schnell wuchs. In München und Berlin gerieten die Kölner weiter ins Hintertreffen, wenn es zu der Fusion kommen sollte. So wetteifert Rewe mehr darin, den Deal zwischen Edeka und Tengelmann zu torpedieren, als dass der Konzern ernsthaft daran interessiert wäre, die verlustbringenden Kaiser's-Märkte aufzupäppeln.

Der Richterspruch bringt insofern nicht die Kräfteverhältnisse im Lebensmittelhandel durcheinander. Er begründet aber eine bizarre Allianz. Edeka muss jetzt mit Verdi gemeinsame Sache machen. Ausgerechnet. Sonst meiden Edeka und seine selbständigen Kaufleute Gewerkschaften tunlichst. Nun aber wollen beide, der Konzern und die Gewerkschaft, möglichst schnell doch noch eine Einigung in den stockenden Verhandlungen herbeiführen, um die Fusion irgendwie zu retten.

Vielleicht kommt aber auch alles ganz anders, und Tengelmann-Chef Haub beschließt, die verbliebenen 430 Märkte einzeln oder regional gebündelt zu verkaufen. Nach dem langen Warten wäre das für die Mitarbeiter keine gute Nachricht. Das Machtgefüge in der Branche aber bliebe, wie es ist.

© SZ vom 14.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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