Gute Stimmung an der Wall Street:Zu früh gefreut

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Großbanken in den USA und Europa machen wieder Gewinne. Ist die Krise etwa schon vorbei? Bank-Experten kennen mindestens drei Gründe, die dagegen sprechen.

Catherine Hoffmann

Die Wall Street ist guter Dinge. Nach zwei Jahren schwerster Stürme im Finanzsystem und Hunderten von Milliarden Dollar Abschreibungen melden die großen amerikanischen und europäischen Banken wieder Gewinne. Die Aktienkurse der Geldhäuser schießen kräftig in die Höhe. Gleich mehrere amerikanische Finanzinstitute wollen die ungeliebten Staatshilfen möglichst schnell zurückzahlen. Schon jubeln die ersten Finanzmagazine: "Die Bankenkrise könnte bald Geschichte sein." Ist es wirklich schon so weit? Bankanalysten und Ökonomen zweifeln daran.

Goldmann Sachs und andere Banken überraschten im April an der Wall Street mit Gewinnen. Doch Experten glauben, dass den Banken noch schwere Zeiten bevorstehen. (Foto: Foto: ddp)

Das Aufatmen an der Börse begann Anfang April, als einige US-Häuser überraschend gute Ergebnisse für das erste Quartal vorlegten. Goldman Sachs, JP Morgan, Deutsche Bank und andere verbuchten kräftige Gewinne nach vielen verlustreichen Monaten. Die Investmentbanken profitierten von der Kapitalnot von Staaten und Unternehmen, die mit Hilfe der Banken verstärkt festverzinsliche Wertpapiere auf den Markt warfen.

Gutes Klima für US-Banken

Wer in diesem Geschäft schwach ist - wie beispielsweise Commerzbank und Postbank - hatte nicht viel zu lachen. Denn das klassische Privatkunden- und Kreditgeschäft liegt darnieder, weil verunsicherte Sparer ihr Vermögen auf dem Festgeldkonto parken oder Gold kaufen - daran verdient die Bank nicht viel.

Zu den Ausnahmeergebnissen der Banken trugen nicht zuletzt die Milliardenhilfen der Regierungen und die Null- bis Niedrigzinspolitik der Notenbanken bei, die obendrein noch Staatsanleihen und notleidende Wertpapiere aufkaufen.

"Klar, dass die US-Banken in einem solchen Klima gutes Geld machen", schreibt Niels Jensen, Partner der Londoner Investmentgesellschaft Absolute Return, in einem Newsletter an seine Kunden - und zieht Vergleiche zur Autoindustrie. Es sei so, als ob die Regierung die Herstellungskosten für Autos auf null senke und dann, mit dem Geld der Steuerzahler, Millionen von Autos kaufe. "Selbst Detroit würde zu solchen Konditionen Geld verdienen", spottet Jensen.

Ärger über Verschleierungstaktik

Hinzu kommen neue Bilanzierungsregeln für Banken, die es ermöglichen, ganz legal die Bilanzen zu schönen. Europas größte Bank HSBC etwa hat in den ersten Monaten des Jahres gut verdient - aber nur dank einer Neubewertung ihrer Schulden. Ohne 6,6 Milliarden Dollar Buchgewinne wäre das Ergebnis gesunken.

Oder die Deutsche Bank: Sie hat vor allem im zweiten Halbjahr 2008 und in geringerem Ausmaß im ersten Quartal Positionen in Höhe von 38,1 Milliarden Euro vom Anlage- ins Kreditbuch verschoben. Dort müssen sie nicht mehr mit dem Marktwert bilanziert werden, sondern stehen zum Buchwert in der Bilanz. So vermied die Bank im ersten Quartal Abschreibungen von 1,4 Milliarden Euro. Stattdessen bildete die Deutsche Bank lediglich 200 Millionen Euro Kreditrisikovorsorge - und erzielte einen Milliardengewinn.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Das mühsame Abarbeiten der Exzesse.

"Solche Rechenbeispiele kann man für jede Bank durchexerzieren", sagt Konrad Becker, Analyst bei Merck Finck & Co. Profianleger ärgern sich über die Verschleierungstaktik. "Die guten Ergebnisse aus dem ersten Quartal sind nicht nachhaltig", sagt der Kölner Vermögensverwalter Bert Flossbach. "Qualitätsprobleme im Anlagebuch kann man auf Dauer nicht durch Freiräume bei der Bilanzierung lösen."

Um die Qualität vieler Wertpapiere ist es noch immer schlecht bestellt. "Die Banken haben noch erhebliches Verlustpotential, weil viele Papiere zu Märchenpreisen in den Bilanzen stehen, die sich nicht realisieren lassen", sagt Hans-Peter Burghof, Professor für Bankwirtschaft an der Universität Hohenheim.

"Es braucht mehr als 18 Monate"

Weltweit haben die Institute bislang Anlagen im Wert von 1500 Milliarden Dollar abgeschrieben. Das, so fürchtet der Internationale Währungsfonds (IWF), war aber erst der Anfang: Weitere 1500 Milliarden Dollar sollen in diesem und dem kommenden Jahr abgeschrieben werden. Bislang haben sich die düsteren Prognosen des IWF zur Finanzkrise nicht nur erfüllt - es kam stets noch schlimmer.

Die Bilanzsumme der Banken wird also weiter schrumpfen. "Die Probleme sind noch nicht gelöst", glaubt auch Jensen. "Es braucht mehr als 18 Monate, um die Exzesse von 25 Jahren abzuarbeiten." Die Schulden des US-Finanzsektors betragen Schätzungen zufolge noch immer 117 Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts, im Jahr 1982, als der jüngste große Aufschwung an den Börsen startete, waren es lediglich 22 Prozent. "Das Kreditgeschäft wurde enorm aufgebläht", sagt Markus Beck, Analyst der Landesbank Baden-Württemberg. "Jetzt schrumpfen sich die Institute gesund, verkürzen ihre Bilanzen und vergeben weniger Kredite. Der Anpassungsprozess dürfte noch viele Jahre dauern."

Die nächste Verlustwelle rollt bereits heran. Die Rezession in Amerika und Europa zwingt mehr und mehr Unternehmen in den Konkurs, Millionen von Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz. Das macht noch mehr Abschreibungen nötig. Nach den Subprime-Hypotheken geraten zunehmend auch gewöhnliche Baudarlehen, Finanzierungen von Gewerbeimmobilien, Unternehmens- und Konsumkredite ins Taumeln. Sie machen einen viel größeren Teil des Kreditbuchs der Banken aus als die Subprime-Papiere.

Ein Teufelskreis

Und die Ausfallraten haben gerade erst begonnen zu steigen, das allerdings steil. "Das brutale Schrumpfen des Kreditbuches kommt erst noch", sagt Fondsmanager Flossbach. Und Becker warnt: "Die Kreditrisikovorsorge wird zunehmen. Deshalb kommen im Laufe des Jahres große Belastungen auf die Banken zu, es wird keine Entspannung geben."

Zugleich werden die Ratingagenturen ihre Bonitätsnoten für viele Unternehmen deutlich verschlechtern. Für die Banken steigt dadurch der Kapitalbedarf exponentiell, denn schlechte Papiere müssen mit mehr Eigenkapital abgesichert werden als gute - ein Teufelskreis.

Die alten Probleme mit den toxischen Papieren bleiben den Banken also erhalten, zumindest bis es eine Bad Bank gibt, die sie deponiert. Hinzu kommen neue Schwierigkeiten durch den Wirtschaftsabschwung, der Unternehmens- und Konsumkredite gefährdet. Die nächste Welle aber trifft auf extrem geschwächte Institute, die seit zwei Jahren unter der Finanzkrise leiden.

"Die Bankenkrise ist noch nicht vorbei", glaubt deshalb Professor Burghof. "Allerdings haben wir die systemischen Risiken weitgehend im Griff - wenn auch auf Kosten der Staatshaushalte und des Steuerzahlers." Anleger allerdings, die heute auf Bankaktien wetten, brauchen wohl gewaltige Reserven an Optimismus, wollen sie ihre gute Laune nicht verlieren.

© SZ vom 20./21.05.2009/lauc/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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