Gutachten:Mehrwertsteuerreform belastet Geringverdiener

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Kassenzettel mit regulärem und reduziertem Mehrwertsteuersatz: Eine Abschaffung des letzteren würde Geringverdiener besonders treffen. (Foto: dpa)

Wer hierzulande einkauft, muss unterschiedlich hohe Abgaben zahlen. Experten haben nun im Auftrag des Finanzministeriums ausgerechnet, wie eine Mehrwertsteuerreform für den Staat mehr Wachstum erzeugen könnte - zulasten der Geringverdiener.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Man weiß nicht, ob es der Esel im Stall von Bethlehem war, der Wolfgang Schäuble zu Weihnachten des Jahres 2011 auf den Gedanken brachte, dass die Sache mit der geplanten Mehrwertsteuerreform noch ein böses Ende nehmen könnte. So abstrus das geltende Recht mit der Unterscheidung zwischen nassem und trockenem Moos, toten und lebenden Eseln auch sein mochte, so sehr lief die regierende schwarz-gelbe Koalition aus Sicht des Bundesfinanzministers Gefahr, die Dinge noch zu verschlimmbessern. Statt also einen Gesetzentwurf vorzulegen, tat Schäuble etwas, was Politiker in einem solchen Fall gerne tun: Er gab ein Gutachten in Auftrag. Jetzt endlich, gut zwei Jahre und eine Koalition später, liegt die Expertise auf dem Tisch - und der Süddeutschen Zeitung vor.

In der Studie befassen sich die bekannten Ökonomen Wolfgang Wiegard und Christoph Böhringer gemeinsam mit Experten des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) allerdings weniger mit den Kuriositäten des geltenden Rechts. Vielmehr haben sie untersucht, wie sich unterschiedliche Reformkonzepte auf die Staatskasse und die Portemonnaies der Bürger auswirken würden. Zusammenfassend lässt sich sagen: Vier der fünf untersuchten Varianten wären für Bund und Länder ein gutes Geschäft. Dagegen würden die Steuerzahler, allen voran die Geringverdiener, zusätzlich belastet.

Lukrativ für den Staat, belastend für Geringverdiener

Derzeit werden Güter und Dienstleistungen in Deutschland in der Regel entweder mit 19 oder mit sieben Prozent Mehrwertsteuer belegt. Dass es neben dem Regeltarif einen ermäßigten Satz gibt, hat sozialpolitische Gründe: Auch Geringverdiener sollen sich Nahrungsmittel leisten, mit dem Bus fahren und Zeitung lesen können. So plausibel das klingt, so schwierig ist die Abgrenzung. Beispiel Pommes-Bude: Wer die Currywurst im Stehen verzehrt, ernährt sich und zahlt nur sieben Prozent Steuern. Setzt sich der Kunde dagegen an einen Tisch, absolviert er steuerrechtlich gesehen einen Restaurantbesuch - und muss 19 Prozent berappen.

Die einzige Reform, die solcherlei Kuriositäten sofort beseitigen würde, wäre die Abschaffung des ermäßigten Steuersatzes. Sie wäre aus Sicht des Staates auch die lukrativste, denn sie würde laut Gutachten zusätzlich zu den heutigen Umsatzsteuereinnahmen von fast 200 Milliarden Euro im Jahr weitere knapp 27 Milliarden Euro in die Kassen von Bund und Ländern spülen. Die Sache hätte jedoch einen gravierenden Haken: Nicht nur, dass die 27 Milliarden Euro von den Bürgern aufgebracht werden müssten. Die Neuregelung träfe ausgerechnet die unteren Gehaltsgruppen besonders hart.

Generell ist es so, dass Geringverdiener einen viel größeren Teil ihres Nettoeinkommens in den Konsum stecken müssen als Spitzenverdiener. Betrachtet man das unterste und das oberste Zehntel der Haushalte, ergeben sich Quoten von 15,7 und 7,4 Prozent. Würde der ermäßigte Mehrwertsteuersatz zugunsten eines neuen Einheitssatzes von 19 Prozent abgeschafft, würde sich die Belastung im ersten Fall um drei Punkte auf 18,7 Prozent erhöhen, im zweiten hingegen nur um gut einen Punkt auf 8,5 Prozent.

An dieser Tendenz änderte sich grundsätzlich auch nichts, wenn der Staat auf die 27 Milliarden Euro verzichtete und als Gegenleistung für die Abschaffung des reduzierten Satzes den neuen Einheitssatz von 19 auf 16,7 Prozent senken würde. Weil gerade Einkommensschwache überproportional viel Geld für bisher begünstigte Waren ausgeben müssen, erhöhte sich ihre Umsatzsteuerlast auch in diesem Fall von heute 15,7 auf 16,4 Prozent. Die Belastung der einkommensstärksten Gruppe bliebe dagegen mit 7,5 Prozent fast unverändert.

Die Gutachter haben über diese beiden Varianten hinaus noch Zahlen für drei weitere Szenarien errechnet. Im ersten Fall würde der ermäßigte Steuersatz nur noch für Nahrungsmittel gelten. Der Staat käme dann statt auf 27 Milliarden nur noch auf Mehreinnahmen von zehn Milliarden Euro. Bliebe der reduzierte Satz zudem auch für Presseartikel wie Bücher und Zeitschriften erhalten, verringerten sich die Mehrerlöse weiter auf 8,4 Milliarden Euro. Würde der ermäßigte Satz schließlich abgeschafft und statt durch den "krummen" Einheitstarif 16,7 Prozent durch die glatte Zahl 17 Prozent ersetzt, kämen Bund und Länder auf zusätzlich 5,4 Milliarden Euro. Analog zu den sinkenden Mehreinnahmen des Staates fiele in allen drei Szenarien auch die Belastung der Bürger geringer aus.

Schäubles "Privatmeinung"

Volkswirtschaftlich betrachtet hätte der Studie zufolge sowohl eine komplette als auch eine teilweise Abschaffung des ermäßigten Satzes bei jeweils aufkommensneutraler Senkung des Regeltarifs positive Wachstumseffekte. Bliebe der reduzierte Steuersatz allerdings für Nahrungsmittel und Presseartikel bestehen, seien diese Effekte nur noch gering. Dennoch plädierte der Grünen-Finanzexperte Thomas Gambke just für diese Reformvariante. Er verwies auf die im Gutachten genannten staatlichen Mehrerlöse in Höhe von 8,4 Milliarden Euro, die für dringend benötigte Investitionen in die Bildung sowie in Straßen, Schienen und Brücken verwendet werden könnten. Auch sei es grundsätzlich richtig, ungerechtfertigte Steuersubventionen für einzelne Gruppen - etwa Hoteliers, Seilbahnbetreiber und Schnittblumenhändler - abzuschaffen. "Den Mut, die Diäten der Bundestagsabgeordneten zu erhöhen, hatte die große Koalition. Bei der Umsatzsteuer aber kneift sie", sagte Gambke der SZ.

Auf Wolfgang Schäuble allerdings sollte der Grünen-Mann nicht zählen, der Finanzminister nämlich hatte sich bereits Anfang 2012 von der Idee einer Reform verabschiedet: Eine Neuregelung ergebe letztlich nur Sinn, so Schäuble damals in einer als "Privatmeinung" verbrämten Erklärung, wenn aus zwei Steuersätzen einer werde - dafür aber sehe er keine Mehrheit. Und die sieht der Minister bis heute nicht.

© SZ vom 01.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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