Schmetterling ist ein schwieriges Wort. Zumindest für Menschen, deren Sprache nach einem Schlaganfall gestört ist oder die gar nicht mehr schreiben, verstehen, hören und lesen können. Schmetterling ist ein langes Wort, schon das macht es so schwierig: drei Silben, nur drei Vokale, viele Konsonanten. "Hose ist ein leichtes Wort", sagt Hanna Jakob: "Weißbier geht so." Mona Späth tippt auf ihr Tablet. Auf dem Bildschirm erscheint das Foto eines gefüllten Weißbierglases. Daneben, in einem kleinen Video, ist der Mund einer Frau zu sehen. Sie sagt mit einer deutlichen Bewegung der Lippen "Weißbier". "Das ist unsere App für Patienten, mit der sie Worte üben können", sagt Späth. Die beiden Frauen sind Sprachtherapeutinnen und Gründerinnen des Münchner Start-ups Neolexon. Sie wollen die Sprachtherapie digitalisieren. "Es gibt bislang nur wenige digitale Angebote", sagt Jakob.
Jakob und Späth haben an der Ludwig-Maximilians-Universität in München studiert, dort promovieren sie auch gerade am Institut für Phonetik und Sprachverarbeitung. Späth, 29, hat während ihres Studiums in einer Logopädie-Praxis gearbeitet, Jakob, 30, in einem Krankhaus. In der Praxis haben beide festgestellt, wie analog die Therapie noch ist. "Wenn ich Patienten zuhause oder im Pflegeheim besuchte, war ich mit einem Rucksack mit Kärtchen, Spielen, Fotos und Kopien unterwegs", erzählt Späth. Im Urlaub fassten sie 2013 den Entschluss, eine Firma zu gründen.
"Wir waren ziemlich naiv", sagt Jakob. Die Frauen wissen, wie eine gute Therapie aussieht, wie sie Menschen mit einer Aphasie helfen können, wieder lesen, sprechen, verstehen und schreiben zu lernen. Aphasie ist eine erworbene Sprachstörung infolge einer Erkrankung des zentralen Nervensystems. Rund 80 Prozent aller Aphasien sind nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) Folge eines Schlaganfalls. Laut DGN erleiden in Deutschland jährlich etwa 260 000 Menschen einen Schlaganfall. Es gibt verschiedene Ausprägungen der Sprachstörung bis hin zum völligen Verlust des Wortschatzes. Die Sprache wieder zu erlernen, ist ein langer Prozess. Er kann sich über Monate und Jahre hinziehen.
Therapeuten brauchen viel Geduld. Gründer auch. "Wir hatten von allem keine Ahnung", sagt Jakob: "Wir wussten, wie man Forschungsgelder beantragt. Mit einer Gründung hat man als Sprachtherapeut aber nichts zu tun."
Noch gehört die Firma den Gründern. Darüber sind sie ganz froh. Niemand redet ihnen rein
Anfang 2014 suchten sie Rat im Gründungsbüro der LMU. Haben Sie ITler, der Ihnen die App programmiert? Haben Sie Geld? Solche Fragen stellte der Berater. "Das war eine harte Prüfung", sagt Jakob. Aber am Ende haben die beiden überzeugt. Der Berater habe gemerkt, dass sie beide voll hinter ihrer Gründung stehen. Es war nicht ganz einfach, Informatiker zu finden. Späth und Jakob besuchten ein paar Dutzend Pitches für Gründer, um auf sich aufmerksam zu machen. Gemeinsam mit den Informatikern Swaroop Nunna und Jakob Pfab haben sie im vergangenen Herbst Neolexon gegründet, eine Schöpfung aus den Worten "neo" für neu und Lexikon. Die App ist seit Anfang 2017 online. Es gibt eine für Sprachtherapeuten und Logopäden, in der sie Patientenprofile erstellen können mit einem auf den Patienten abgestimmten Wortschatz, und eine App für Patienten. Mittlerweile umfasst der Schatz knapp 8000 Worte, er wächst beständig. Auf den Tablets lassen sich auch die Erfolge verfolgen.
"Wir wollen den Therapeuten nicht ersetzen, sondern unterstützen, denn der Erfolg einer Therapie hängt stark von der Häufigkeit der Übungen ab", versichert Jakob: "Die persönliche Zuwendung des Therapeuten und Gespräche kann die Software nicht ersetzen."
"Wir haben bereits einige tausend registrierte Nutzer", sagt Jakob. Noch sind die Apps kostenlos. Ab Herbst sollen Therapeuten dafür zahlen. "Wir machen gerade das Pricing", sagt Jakob. Begriffe aus der Betriebswirtschaft gehören mittlerweile zum festen Wortschatz der Gründerinnen. Sie hoffen, dass die Krankenkassen die Kosten für die Patienten-App übernehmen. Die Gründerinnen wurden in viele Förderprogramme aufgenommen, zum Beispiel in das Exist-Programm des Bundeswirtschaftsministeriums und in den Accelerator der Techniker Krankenkasse. Seit Dezember sind sie im Gründerinnen-Programm der Hypo-Vereinsbank. Noch gehört die Firma den vier Gründern, darüber sind alle ganz froh. "Da konnte uns niemand reinreden", sagt Jakob. Das muss nicht so bleiben. Neolexon soll wachsen. Späth und Jakob wollen auf Dauer Sprachtherapeuten und Unternehmerinnen sein.