Großbritannien:Steuerschlupfloch auf der Insel

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Mitten in den Brexit-Verhandlungen nimmt die Europäische Union ein britisches Gesetz ins Visier. Die Wettbewerbshüter verdächtigen die Regierung, Konzernen unzulässige Steuervorteile zu gewähren.

Von Björn Finke und Alexander Mühlauer, Brüssel/London

Wenn es ums Geld geht, waren Brüssel und London noch nie besonders gut aufeinander zu sprechen. Schon gar nicht jetzt. Die Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens stecken in der Sackgasse, weil die britische Regierung bisher nicht zusagen will, welche finanziellen Verpflichtungen sie nach dem Brexit übernimmt. So lange das so bleibt, verweigert sich die EU dem Wunsch der Briten, über ein Handelsabkommen zu reden. In dieser angespannten Lage bereitet nun eine Ankündigung der EU-Kommission noch mehr Ärger: Die Wettbewerbshüter der Behörde verdächtigen Großbritannien, Konzernen unzulässige Steuervorteile zu gewähren.

Es gebe Zweifel, ob eine 2013 eingeführte Steuerregel mit EU-Recht vereinbar sei, teilte EU-Kommissarin Margrethe Vestager am Donnerstag mit. Die Dänin hat darum eine eingehende Prüfung gestartet. "Solange das Vereinigte Königreich Mitglied der EU ist, hat es alle Rechte und Pflichten eines Mitgliedstaats", kommentierte ein Kommissionssprecher die Entscheidung. "Das EU-Wettbewerbsrecht einschließlich des EU-Beihilferechts gilt uneingeschränkt." Und zwar bis zum EU-Austritt im März 2019.

Die Londoner Regierung widerspricht den Bedenken aus Brüssel. "Wir glauben nicht, dass die Regeln unvereinbar sind mit EU-Recht", sagte eine Regierungssprecherin. Welche Unternehmen von dem Schlupfloch profitiert haben sollen, konnte die EU-Kommission nicht sagen. Und wie lange die Untersuchung dauern wird, ist offen. Es ist also möglich, dass es bis zum Tag des Austritts kein Ergebnis geben wird. Allerdings dürfte das Königreich auch nach März 2019 an EU-Rechtsprechung gebunden sein.

Schließlich will die britische Regierung erreichen, dass mit dem Austritt eine zweijährige Übergangsphase beginnt, während der sich für die Unternehmen erst einmal nicht viel ändert. Darauf würde sich Brüssel aber nur einlassen, wenn die Briten nach wie vor Regelungen und Urteile der EU akzeptieren.

Die Untersuchung der Kommission dreht sich um eine Ausnahmeregel bei der Besteuerung von ausländischen Tochterfirmen. Verlagern britische Konzerne Gewinne zu Tochterfirmen in Ländern mit niedrigen Steuersätzen, kann der Fiskus im Königreich, Her Majesty's Revenue and Customs, für diese Profite trotzdem Steuern verlangen. Diese sogenannten Controlled-foreign-company-Regeln führte London 1984 ein, um Steuerflucht zu bekämpfen. Doch George Osborne, Schatzkanzler von 2010 bis 2016, reformierte die Vorschriften, um sie einfacher zu machen.

Die Änderungen traten 2013 in Kraft, und nach Schätzungen des Finanzministeriums führten sie dazu, dass dem Staat zwischen 2013 und 2016 insgesamt 805 Millionen Pfund an Steuereinnahmen entgingen. Teil dieses Reformpakets war eine Ausnahmeregel: Gewährt die Tochterfirma, die ein britischer Konzern in einem Steuerparadies unterhält, einer Tochterfirma in einem anderen Staat einen Kredit, kann der Fiskus Zinszahlungen für diesen internen Kredit nicht als Teil des Konzerngewinns besteuern. Die EU-Kommission prüft nun, ob diese Ausnahmeregelung eine verbotene Steuersubvention darstellt.

Osborne wollte mit der Reform das Königreich attraktiver für Konzerne machen. Deshalb senkte er auch die Steuern auf Gewinne von 28 auf 20 Prozent. Sein Nachfolger Philip Hammond drohte Anfang des Jahres, Großbritannien könnte Unternehmensteuern als Druckmittel bei den Brexit-Verhandlungen einsetzen: Schließe die EU keinen Handelsvertrag ab, könnte London die Steuern drastisch senken, sagte er. Das würde die Nachteile für britische Unternehmen ausgleichen - und neue Firmen anlocken.

© SZ vom 27.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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