Gleichberechtigungsdebatte:Der Kulturkampf reicht über das Silicon Valley hinaus

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Das Google-Büro in Cambridge, Massachusetts (Foto: REUTERS)

Der Autor ist entlassen, die Debatte geht weiter: In der Reaktion auf das "Google-Manifest" zeigen sich die beiden großen Pole der amerikanischen Gegenwart.

Von Johannes Kuhn

Nach der Kontroverse um das "Google-Memo" haben sich die Fronten nach erwartbarem Muster entwickelt. Der gefeuerte Autor James Damore firmiert inzwischen unter dem Twitter-Namen @Fired4Truth ("gefeuert wegen der Wahrheit"), posiert mit einem "Goolag"-Shirt und trat sogleich bei zwei Youtubern auf, die für ihre harte Kritik am Feminismus bekannt sind.

Dass der 28-Jährige inzwischen der Liebling der neuen Rechten geworden ist, bestätigt all diejenigen, die ihn von Anfang an in die strapazierte Schublade des "unzufriedenen weißen Mannes" stecken wollten.

Google wiederum sieht sich vor allem konservativer Kritik ausgesetzt - die Bewertung biologischer Unterschiede zwischen Mann und Frau ist dabei in den Hintergrund gerückt; stattdessen ist Damores prompter Rauswurf das Aufregerthema, hatte er doch selbst der Firma vorgeworfen, unliebsame Meinungen zu unterdrücken.

"Zensur der Meinungsfreiheit", rufen Kritiker lautstark, auch wenn in diesem Kontext ein solches Recht für Mitarbeiter von Privatfirmen gar nicht existiert. Doch auch liberale Medien wie der Economist wundern sich, warum Google sich einerseits als rational und datengespeist präsentiert, aber dem Manifest keine wissenschaftliche Auseinandersetzung angedeihen ließ.

Die Natur der Unterschiede

Das wissenschaftliche Fundament des zehnseitigen Memos wurde bereits von unterschiedlichsten anderen Seiten ausgiebig analysiert. Neben einer allzu freien Verwendung von statistischen Durchschnittswerten rückt vor allem die Argumentation in die Kritik, biologisch festgelegte Geschlechtsunterschiede seien hauptsächlich für die ungleiche Verteilung in Technologie-Jobs verantwortlich (nebenbei wird auch über die Natur dieser Unterschiede gestritten).

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Er war wegen eines Schreibens gefeuert worden, in dem er Frauen die biologische Befähigung für technische Berufe abspricht.

Gewichtige kulturelle und soziale Faktoren lassen sich bereits aus historischen Daten ableiten: 1984 lag der Anteil von Informatik-Studentinnen in den USA bei 37 Prozent - das war damals höher als in Physik und Medizin. Doch während in anderen technischen Berufen diese Quote seitdem beharrlich stieg, sank sie in der Informatik auf unter 20 Prozent.

Eine biologische Erklärung hierfür gibt es nicht. Die Theorie lautet stattdessen, dass die Computerindustrie in den Achtzigern damit begann, ihre Werbekampagnen auf junge Männer zuzuschneiden: Eltern kauften also ihren Söhnen Computer, ihren Töchtern nicht. Die Grundlage für die fortgesetzte Vermännlichung der Informatik.

Dass sich dieser Trend zumindest im universitären Bereich umkehren lässt, zeigen die Erfolge der Fakultätspräsidentin Maria Klawe. Sie konnte an einem kalifornischen College den Frauenanteil im Hauptfach Informatik innerhalb der vergangenen zehn Jahre von 10 Prozent auf 50 Prozent steigern.

Um was geht es? Beide Seiten haben Antworten

Eine ihrer vielen Maßnahmen bestand darin, männliche Studenten in den Einführungskursen zu bremsen, wenn diese Debatten dominieren und mit ihrem Vorwissen glänzen wollten. Die Professoren wurden angeleitet, die Studenten für Engagement und Wissen zu loben, aber zugleich darum zu bitten, die Debatte später in einem Zweiergespräch fortzusetzen. Studentinnen empfanden dadurch den Einführungskurs nicht mehr als frustrierende Parade von Wissensunterschieden, sondern nahmen einen positiven Eindruck vom Fach mit.

Auch Damore legte in seinem 10-seitigen Aufsatz, den viele Medien irreführend als "Anti-Diversitäts-Memo" klassifizierten, Ideen zu einer anderen Frauenförderungspolitik bei Google vor. Die Vorschläge wie größere Transparenz, bestimmte Formen der Teamarbeit und vage anmutende Maßnahmen wie "weniger Stress" wurden allerdings kaum diskutiert.

Nicht nur das dahinterliegende Menschenbild zog Kritik nach sich: Auch die Kernforderung nach Beendigung der Diskriminierung für Vertreter konservativer Ideen bei gleichzeitiger Abkehr von einer "Diskriminierung, nur um die Repräsentanz von Frauen in Technologieberufen zu erhöhen" warf die Frage auf, um was es dem Mann genau geht.

Beide Seiten haben natürlich eine Antwort parat: Rationalität, sagen diejenigen, die Damores Meinung teilen oder zumindest in der Reaktion darauf eine Tabuisierung ungewollter Debatten sehen. Schutz des eigenen Privilegs sagen diejenigen, die in seinem Biologismus den unlauteren Versuch sehen, notwendige gesellschaftliche Reformen für mehr Gleichberechtigung mit Hilfe von Geschlechterklischees im Dienste des Status Quo zu hintertreiben.

Die Angelegenheit verkompliziert sich dadurch, dass es nebenbei auch um das Selbstverständnis der amerikanischen Wirtschaft als Meritokratie geht - also ein System, in dem der/die Beste auch am weitesten kommt. An dieser Frage arbeitet sich das Land bereits seit Jahrzehnten ab, zunächst - deutlich rassistisch konotiert - wegen der bevorzugten Einstellung von Afroamerikanern in den Staatsdienst, später wegen der ausgeweiteten "Affirmative Action" ("positiven Diskriminierung"), die zum Beispiel Quoten für Minderheiten an Universitäten festlegt.

Der Konsens in der Frage der Diversität, dem sich um die Jahrtausendwende fast alle großen US-Firmen verschrieben (oft allerdings nur rhetorisch), bröckelt unter der Oberfläche, und das nicht erst seit dem Aufstieg Donald Trumps. Bundesstaaten stiegen aus der "Affirmative Action" an ihren Universitäten aus (die, das sei erwähnt, die Minderheit der Asiaten häufiger benachteiligt); im Internet artikulierten Männer ihre Furcht vor beruflicher Diskriminierung und schlossen sich zu anti-feministischen Netzwerken zusammen.

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Kommentar von Nina Bovensiepen

Mit der Technologie-Branche hat sich in den vergangenen Jahren gerade jener Sektor zum wirtschaftlichen Vorzeigemodell entwickelt, der auf Frauen- und Minderheitenförderung nie Wert gelegt hatte. "Silicon Valley ist Meritokratie", so lautete die Botschaft, die gerne mit dem Mythos des genialen Gründers unterfüttert wurde.

Dass dieser Mythos nicht stimmt, zeigen nicht nur zahlreiche gescheiterte Ego-CEOs; auch viele Frauen in der Branche wissen von Lohnungleichheit, sexistischem Klima und besonders hohen Ansprüchen aufgrund ihres Geschlechts zu berichten (letzteres sorgt dafür, dass weibliche Developer oft im Ruf stehen, besonders gut zu sein).

Unwichtige Strukturen, kaputte Strukturen

Dennoch sind Frauen- und Minderheitenförderung gerade in den libertären Zirkeln der Tech-Branche ein Verstoß gegen das Leistungsgebot. Dabei geht es in der Regel gar nicht um Quoten, sondern zunächst um faire Einstellungschancen, Bewerbungsgespräche, Team-Bewusstsein und letztlich um eine Erweiterung des möglichen Bewerber-Pools.

All diese Kontroversen sind aber nicht nur die des Silicon Valleys oder der amerikanischen Wirtschaft. Sie spiegeln auch die große Debatte wieder, die zwischen den beiden gesellschaftlichen Polen im Land tobt: Jener Konservatismus, der den Einzelnen und nicht die existierenden gesellschaftlichen Strukturen für sein Glück verantwortlich macht. Und jener Progressivismus, der in diesen Strukturen historische Ungerechtigkeiten erkennt, die es im Sinne des gesellschaftlichen Fortschritts zu korrigieren gilt.

Beide Seiten beanspruchen dabei nicht nur Moral und Rationalität für sich; sie sehen sich auch als Vertreter einer Gesellschaftsordnung, deren alleinige Gültigkeit die Geschichte einmal zweifelsfrei beweisen wird.

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