Sie wollen nicht nur hoch hinaus, sondern auch weit weg von der Erde. Während andere Start-ups in Deutschland Kleinraketen entwickeln, die möglichst günstig Fracht in den Erdorbit transportieren sollen, machen sich die Gründer von Neutron Star Systems Gedanken darüber, wie Fracht im Weltall effizient von A nach B geflogen werden kann. Firmenchef Manuel La Rosa Betancourt ist sogar davon überzeugt, dass seine Firma diese Entwicklung im Wortsinne beschleunigen kann. "Die Menschheit kann schneller und günstiger durchs All fliegen, als wir es bisher gedacht haben", sagt der Werkstoffwissenschaftler, der schon bei BMW, Lanxess und Honeywell gearbeitet hat. "Mit unserer Technologie können wir die Entwicklung von Infrastrukturen im All revolutionieren."
Worum geht es? Das Start-up entwickelt ein elektrisches System namens Supreme, einen magnetoplasmadynamischen Antrieb, der flexibler und mitunter auch schneller als vergleichbare Elektroantriebe werden soll, wie La Rosa Betancourt sagt. Und er soll preisgünstig sein: Während andere Firmen das seltene und teure Xenon als Treibstoff nutzen, wandelt Neutron Star Systems billigeres Argon oder Ammoniak in Plasma um, das mit Hilfe eines Elektromagneten beschleunigt wird, um Schub zu erzeugen. "Supreme ist die einzige Elektroantriebstechnologie, die von der Auslegung her so robust und einfach ist, dass sie bis auf Megawattebene skaliert werden kann und damit Cargo- und Crewmissionen ermöglicht", erläutert der 45-Jährige.
Entscheidend ist auch das Gewicht. Das Problem mit jetzigen Antriebstechnologien sei, dass sie für hohe Leistungen und große Frachtmengen nicht mehr sinnvoll seien. Ab 20 Kilowatt Leistung werde das Gewicht des Motors so hoch, "dass die Missionen nicht mehr effizient und wirtschaftlich realisiert werden können". Der Prototyp eines Nasa-Ionenantriebs mit 100 Kilowatt wiege zum Beispiel 230 Kilogramm, ein Antrieb mit Supreme-Technologie nur 70 Kilo. Neutron Star löst das Problem, indem es die Kupferspule im Elektromagneten mit einer Hochtemperatur-Supraleiter-Spule ersetzt, die nur ein Viertel der konventionellen Spule wiegt. Und der Magnet brauche nur einen Bruchteil des Stromes. Gleichzeitig vervierfache sich das Magnetfeld - Leistung und Lebensdauer würden erhöht. Abgesehen davon mache der Treibstoff bei elektrischen Antrieben nur noch ein Zehntel des Gewichts aus, bei chemischen können es rund 60 Prozent sein.
Das Start-up kann seine Antriebe, die zwischen 0,75 und 1000 Kilowatt Leistung haben sollen, zudem bündeln. Betancourt sieht deswegen auch kein Problem, einst mit zehn seiner Antriebe 100 Tonnen Fracht zum Mars zu befördern. Antriebe der Konkurrenz wiesen dagegen meist nur einen Bruchteil der Supreme-Leistung auf. Am ehesten kommt an das System noch die US-Firma Ad Astra Rocket heran, die mit einer abgewandelten Technologie an einem 200-Kilowatt-Triebwerk arbeitet.
Es ist ein Milliardenmarkt, der da für die kommenden Jahrzehnte prognostiziert wird. In einer Studie hält es der US-Dienstleister United Launch Alliance für realistisch, dass 2030 etwa 300 Menschen in Stationen im Erdorbit und auf dem Mond arbeiten. Wegen des zusätzlichen Bedarfs an Transportraumschiffen und weiterer Infrastruktur könnten dann weltweit mit Raumfahrt 900 Milliarden Dollar im Jahr erwirtschaftet werden, derzeit sind es den Analysten der US-Beraterfirma Bryce Space zufolge etwa 370 Milliarden Dollar.
"Wir bauen die Motoren für die Space-Trucks"
Die Kölner sehen viele Einsatzmöglichkeiten, die von Satelliten über die Müllbeseitigung im Erdorbit, Auftankmissionen bis hin zu Einsätzen am Mond, beim Asteroidenbergbau oder sogar zum Mars reichen - zumal die Triebwerke das Raumschiff auch lenkbar machen. Der neue Elektroantrieb biete nämlich eine "umfassende Manövrierbarkeit", sagt La Rosa Betancourt. Auch dadurch würden Missionen kostengünstiger. "Unsere Vision ist es, die nächste Generation von Raumfahrtmissionen zu ermöglichen." Gegenüber anderen elektrischen Triebwerken sieht er deutliche Einsparmöglichkeiten, beispielsweise bis zu zehn Millionen Euro bei einem Kommunikationssatelliten oder bis zu 90 Millionen Euro bei einem Frachtflug zum Mond - im Vergleich zu chemischen Antrieben sei die Einsparung sogar wesentlich höher. La Rosa Betancourt weiß, dass sich das noch nach Science-Fiction anhört, doch will seine Firma dabei sein, wenn das neue Wettrennen im Weltraum beginnt. Und mit den Mondplänen der Amerikaner, Europäer und Chinesen könnte dies schon bald der Fall sein. La Rosa Betancourt rechnet für 2027 mit potenziellen Umsätzen von mehr als 250 Millionen Euro pro Jahr. "Wir bauen die Motoren für die Space-Trucks, die künftig Fracht vom niedrigen Erdorbit ins Weltall, zum Mond oder zum Mars befördern."
Das vor einem Jahr gegründete Start-up hat den Antrieb, dessen Technologie auf eine 60-jährige weltweite Forschung zurückgeht, bereits rund 100 Stunden am Institut für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart getestet. Der Ursprung lag in einem internationalen Konsortium aus Forschung und Wirtschaft, das sich allerdings auflöste, nachdem die EU die Förderung nicht bewilligt hatte. Die Kölner machen weiter. "Bis 2025 wollen wir einen Demonstrator mit fünf Kilowatt Leistung entwickelt haben, dann planen wir die erste Demonstration im Orbit", so der Plan der Gründer, die unter einem gewissen Zeitdruck arbeiten, da es in Neuseeland ein ähnliches Projekt gibt, das ebenfalls zum Konsortium gehörte.
Für ihr Triebwerk haben die Entwickler nach eigenen Angaben bereits viel Interesse geweckt. So haben OHB, Thales Alenia Space, Airbus und Esa, aber auch Northrop Grumman in den USA ihre Unterstützung zugesagt. Und beim DLR-Wettbewerb Innospace Masters hat das Team den zweiten Platz der OHB-Challenge gewonnen. Darüber hinaus ist Neutron Star an einigen Programmen und Studien beteiligt, beispielsweise am MESST-Projekt der Europäischen Kommission. Bei dem Projekt soll innerhalb des EU-Förderprogramms "Horizon 2020" auf Basis supraleitender Magneten ein Hitzeschild für Raumschiffe für den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre entwickelt werden. Das Start-up erhält dafür rund 280 000 Euro.
Die Gründer suchen aber auch Investoren: "Wir brauchen erst einmal 2,8 Millionen Euro für den Bau und Test unseres supraleiterbasierten Prototypen", sagt der Ingenieur. Das Team hat gerade ein entsprechendes Patent angemeldet und startet nun eine Fundraising-Runde.