Gipfelstürmer:Kleines Rad, große Vision

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Der Ingenieur Karsten Bettin hat ein Fahrrad zum Falten entworfen, das auch in die Flugzeug-Kabine passt.

Von Katharina Kutsche, Hannover

Der hannoversche Gründer Karsten Bettin mit seinem Falt-Fahrrad. (Foto: Robert Haas)

Viermal haben die Produzenten der Fernsehshow "Die Höhle der Löwen" bei Karsten Bettin angefragt. Immer lehnte er ab, sein Produkt in der Vox-Sendung vor Investoren zu präsentieren. Bereuen muss er die Entscheidung bisher nicht. Die Produktion seines Falt-Fahrrads läuft, es gibt Vorbestellungen und Anfragen von Radl-Enthusiasten weltweit. Warum er der Show immer wieder absagte? Die Rahmenbedingungen der Sendung hätten ihm nicht gefallen, erklärt er. An Selbstbewusstsein und Begeisterung für sein Produkt mangelt es ihm jedenfalls nicht: "Das Fahrrad muss in die Welt", sagt Bettin.

Der Maschinenbau-Ingenieur hat ein Faltrad entworfen, das im Flugzeug als Handgepäck zählt, also nur rund acht Kilogramm wiegt. Kwiggle-Bike heißt es, so wie die Firma. Weiteres Merkmal: Radler sitzen nicht, wie sonst üblich, gebeugt auf dem Kwiggle-Bike. Das Rohr unterhalb des Sattels fehlt, der Sitz schwingt beim Fahren hin und her; der Fahrer ist aufrecht und gleicht die Bewegungen unterm Hintern mit der Hüfte aus. Das ist gewöhnungsbedürftig, aber nicht unangenehm.

Bettin hat sein Unternehmen im Souterrain eines unauffälligen Bürogebäudes in Hannovers Stadtteil Seelhorst eingerichtet. Der 55-Jährige, der in einer Kombination aus Jeans, Pullover und einnehmendem Lächeln daherkommt, muss Besuchern das Tor zum Hof aufschließen - Kwiggle-Bike hat kein Ladengeschäft, das Fahrrad wird nur online vertrieben. Die Vorsichtsmaßnahme ist auch deswegen wichtig, weil Bettin seine Erfindung teuer hat patentieren lassen. In seinen Produktionsräumen dreht sich alles um das lustige Bike: Hier wird verwaltet, gebaut, verschickt. 15 Mitarbeiter arbeiten in der Fertigung. Von Hannover aus gehen die Räder etwa nach Japan, USA, Hongkong, Singapur.

Fahrräder werden zunehmend zum Statussymbol, gerade hippe Städter zeigen sich gern mit ausgefallenen, teuren Modellen. Das Kwiggle spricht sowohl diese Kunden an, als auch solche, die praktisch denken: ein Zweitrad für den Campingurlaub, ein platzsparendes Gefährt, das auch in die kleinste Wohnung passt. Für Karsten Bettin aber ist das Faltrad nichts Geringeres als ein "Mobilisator für die Verkehrswende".

Seine Argumentation: Wer zwischen Zuhause und Arbeitsstelle Wege zu Fuß, per Bus und Bahn und wieder zu Fuß zurücklegen müsse, sei oft langsamer, als wenn er oder sie mit dem Auto fahre. Wettbewerbsfähig könne eine Tür-zu-Tür-Kette nur werden, wenn die Wege zu den öffentlichen Verkehrsmitteln optimiert und Rüstzeiten reduziert werden. Das faltbare Fahrrad sei dafür bestens geeignet - es braucht keinen Abstellplatz, muss nicht angeschlossen werden, passt unter den Schreibtisch: "Ich habe meine Mobilität immer dabei", sagt Bettin.

Das Faltrad Kwiggle passt ins Handgepäck. (Foto: Robert Haas)

Das Bike hat zwei Rollen am Rohr unterhalb des Lenkers, sodass man es wie einen Trolley hinter sich herziehen kann. Ausgeklappt lässt sich unterhalb des Sattels ein Koffer mit Rollen befestigen, der dann beim Fahren hinterhergezogen wird. So sei man auch in einer fremden Stadt flexibel und müsse nicht am Bahnhof einen Mobilitätsdienstleister suchen. "Das ist auch eine Frage der Alltagsverlässlichkeit."

Ob das viele Kunden überzeugt, muss sich erst zeigen. Rund 75 Millionen Fahrräder gibt es in deutschen Haushalten, die große Masse sind Stadträder, Mountain- und Trekkingbikes. Falträder machen nur rund drei Prozent aus, obwohl es erste Modelle schon seit 1878 gibt. Sie wurden in den Weltkriegen für das Militär genutzt, etwa von britischen Fallschirmjägern. Wegen des geringen Radstands war das Fahrverhalten oft schlecht. Das hat sich geändert, heute sind die bekanntesten Hersteller Brompton, Tern und Dahon sowie das deutsche Unternehmen Riese und Müller. Die Falträder sind hochwertig, schließlich müssen sie trotz ihrer Leichtigkeit und Kompaktheit auch stabil sein. Damit aber sind sie im Schnitt auch teurer als ein einfaches Stadtrad für wenige Hundert Euro. Das Kwiggle kostet rund 1500 Euro.

Bettin hat sein Produkt bis hin zur letzten Schraube selbst konstruiert und lange privat finanziert. Erst jetzt, vier Jahre nach dem ersten Prototyp, könnte erstmals ein Investor einsteigen, die Verhandlungen stehen vor dem Abschluss: "Jetzt ist der Zeitpunkt zum Skalieren", so der Gründer.

Auf die Idee zum Kwiggle-Bike kam der Ingenieur 2009. Er wollte ein Faltfahrrad bauen, so klein wie möglich. Und er wollte darauf aufrecht fahren können, um die Kraftanstrengung zu minimieren: Eine aufrechte Haltung komme den natürlichen Bewegungen des Menschen am nächsten, sagt er. Das Fahrrad sollte effizient, aber nicht strapaziös sein. Das Kwiggle-Getriebe ist so effektiv wie ein normal großes Rad, schafft sechs Meter pro Pedalumdrehung. Um sicher zu sein, dass es in gängige Gepäckfächer in Bus, Bahn und Flugzeug passt, maß der Ingenieur selbst Höhen und Breiten aus oder bat Freunde, ihm Maße von Reisen mitzubringen.

(Foto: SZ)

Sechs Jahre tüftelte Bettin allein an seinem Projekt, neben seinem Vollzeitjob. Auf jeden Millimeter kam es an, schließlich galt es, einen Rahmen zu bauen, der an Körpergrößen zwischen 1,35 und zwei Metern angepasst, aber dennoch immer gleich zusammengeklappt werden kann. Viel Zeit verging, bis die Schutzrechte gesichert waren. "Eine Idee ist schnell gezeichnet, aber die Patente weltweit eintragen zu lassen, dauert Jahre", so der Gründer. "Ich wollte ein technisch hochwertiges Produkt, das stand im Vordergrund."

Inzwischen wurden die ersten Falträder ausgeliefert. Die meisten Teile kauft der Tüftler in Deutschland, einzelne Komponenten wie Sättel, Bremsen und Pedale kommen aus Italien, Taiwan und Japan. Rund 800 000 Euro hat Bettin bisher investiert - aus eigener Kasse, auch Freunde und Bekannte gaben Geld. Zudem zahlten die Kunden per Vorkasse. Dass das Fahrrad populär genug war, liegt daran, dass Bettin sich doch ins Fernsehen wagte: 2019 in die Pro-Sieben-Show "Das Ding des Jahres". Dort treten Erfinder mit ihren Produkten gegeneinander an. Das faltbare Rad lag zunächst gut im Rennen, verlor das finale Duell jedoch: gegen eine faltbare Silikonbackform.

© SZ vom 16.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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