Gesundheitsbranche in China:Reisen, Rendezvous und rote Umschläge

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Das Chaoyang-Krankenhaus in Peking: Um behandelt zu werden, zahlen Patienten in China jede Menge Geld. (Foto: Jason Lee/Reuters)

Die chinesische Gesundheitsbranche ist korrupt. Gilt das auch für die westlichen Pharmakonzerne, die in China aktiv sind? Nach Glaxo-Smithkline knöpft sich die Pekinger Justiz nun den französischen Hersteller Sanofi vor.

Von Christoph Giesen

Jetzt ist es also offiziell: Nachdem die chinesischen Behörden zunächst gegen den britischen Pharmakonzern Glaxo-Smithkline ermittelt haben, knöpft sich die Justiz in Peking nun den französischen Hersteller Sanofi vor, wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtet. Der Vorwurf: Korruption.

Auslöser für die Ermittlungen ist ein Bericht, der in der vergangenen Woche im 21st Century Business Herald, einer Wirtschaftszeitung aus der südchinesischen Metropole Guangzhou, erschienen ist. Sanofi soll demnach bis Ende 2007 insgesamt 503 Ärzte in 79 Krankenhäusern in Shanghai, Peking, Guangzhou und Hangzhou mit 1,69 Millionen Yuan (etwa 207 000 Euro) bestochen haben. Jedes Mal wenn ein Arzt ein Präparat von Sanofi verschrieben habe, habe er im Gegenzug 80 Yuan bekommen, heißt es in dem Bericht. Das Material, das Sanofi nun in die Bredouille bringt, wurde der Zeitung anonym zugespielt. Lediglich das Pseudonym des Informanten ist bekannt: Er nennt sich "Speck". Das französische Unternehmen äußerte sich bislang nur sehr knapp zu den Anschuldigungen. In einer Stellungnahme heißt es: "Sanofi nimmt die erhobenen Vorwürfe sehr ernst."

Sollten sich die Vorwürfe gegen Sanofi erhärten, wären die Franzosen bereits der zweite große Pharmahersteller, der in China Schwierigkeiten hat. Ende Juli musste der britische Hersteller Glaxo-Smithkline wegen einer Bestechungsaffäre den Chef seiner China-Sparte austauschen. Die Behörden werfen Glaxo vor, Ärzte und Behördenvertreter geschmiert zu haben, um die Verkaufszahlen in China anzukurbeln und die Medikamentenpreise hochzutreiben. Vier chinesische Spitzenmanager wurden bislang verhaftet.

Im Zentrum des Glaxo-Skandals steht ein Reisebüro: die Shanghai Linjiang International Travel Agency. Gegründet wurde die Firma 2006. Recht bald stiegen die Umsätze rasant an, im vergangenen Jahr auf mehr als 100 Millionen Yuan - eine ganze Menge für ein chinesisches Reisebüro, das so gut wie keine Touristenreisen anbietet, sondern hauptsächlich Konferenzen für Mediziner organisiert. Die Ermittler in Shanghai wurden misstrauisch und stießen bald auf ein ausgeklügeltes System. Viele Konferenzen fanden nie statt. Über das Shanghaier Reisebüro wurden stattdessen "Kick-backs" an Ärzte verteilt: Geld, teuere Reisen, manchmal auch Prostituierte wurden den Medizinern bezahlt. Insgesamt arbeitete Glaxo-Smithkline in China mit etwa 700 Reise- und Beratungsfirmen zusammen, seit 2007 gab der Konzern fast 500 Millionen Dollar für Konferenzen aus. Wie viel davon als Schmiergeld an chinesische Ärzte weitergereicht wurde, ermitteln die Behörden zurzeit.

Spätestens 2016, schätzen Experten, dürfte der chinesische Pharmamarkt nach den USA der zweitgrößte der Welt sein. Es gibt also jede Menge zu verdienen, doch die chinesische Gesundheitsbranche ist hochgradig korrupt. Auf dem Papier sind die Löhne der meisten Ärzte gering, in der Realität verdienen viele Mediziner jedoch phantastisch.

"Graues Einkommen", nennen sie es: Da sind zunächst die "hong bao". Die kleinen mit Geld gefüllten roten Umschläge werden sonst eigentlich Kindern zum chinesischen Frühlingsfest geschenkt. Für Chinas Ärzte ist fast jeden Tag Neujahr. Das Geld stammt von den Patienten, sie wollen rechtzeitig und vor allem richtig behandelt werden. Spricht man mit chinesischen Ärzten, geben diese relativ offen zu, dass es noch eine zweite Einnahmequelle gibt: Geld von Unternehmen. Mal werden vollkommen grundlose Untersuchungen verordnet - ein Runde im Kernspintomografen etwa, obwohl der Fuß nur verstaucht ist, oder aber die Ärzte verschreiben nur Medikamente bestimmter Konzerne, weil sie dann einen Obolus bekommen.

Eigentlich ist das bekannt, was steckt also hinter der plötzlichen Offensive der Behörden? Darauf gibt es eine politische und eine ökonomische Antwort.

Seitdem Xi Jinping Parteichef ist, kämpft er gegen den Filz im Land. Bei öffentlichen Auftritten spricht er immer wieder davon, gegen die Korruption der "Fliegen" (kleine Kader) und "Tiger" (mächtige Funktionäre) vorzugehen. Viele Chinesen ärgern sich über das schmierige Gesundheitswesen, die Ermittlungen gegen die westlichen Unternehmen könnten daher als ein Warnschuss für die gesamte Branche verstanden werden.

Und dann ist da noch das ökonomische Argument: Die bedrängten Briten haben bereits angekündigt, ihre Preise zu senken. Derzeit haben westliche Pharmafirmen in China einen Marktanteil von zwanzig Prozent. Der könnte sich nach dem Glaxo-Fiasko halbieren, prognostizieren die ersten Analysten. Die Profiteure wären chinesische Hersteller.

© SZ vom 12.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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