Geldwerkstatt:Das Einmaleins der Aktiencharts

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Niedrige Zinsen, hohe Unsicherheit - wie soll man da noch sein Geld investieren? In der "Geldwerkstatt" erklären wir aktuelle Fragen zur Geldanlage. (Foto: SZ-Grafik)

Die Kursverläufe können tückisch sein. Mit diesen Tipps finden sich Kleinanleger zurecht. Aus dem vergangenen Kursverlauf kann man lernen, aber eben nicht direkt auf die Zukunft schließen.

Von Julian Rodemann, Köln

Wer sich über die Börse informiert, kommt an Charts nicht vorbei. Mit einem Blick erkennen Anleger, wie sich der Kurs einer Aktie in den vergangenen Jahrzehnten, Jahren oder Monaten entwickelt hat. Das jedenfalls glauben viele. Stimmt aber nicht. Denn ein einziger Blick reicht selten um festzustellen, ob der Trend nach oben oder unten zeigt. Werden etwa die Achsenabschnitte anders gewählt, sieht die steile Talfahrt schnell wie ein flacher Verlauf aus. Was müssen Anleger beachten, wenn sie sich über den Kursverlauf informieren? Eine Übersicht.

Sinnvoll vergleichen

Anlageberater und Internetseiten geben Kursverläufe mal absolut, mal relativ zu Vergleichsindizes an. Anleger müssen aufpassen: Schwimmt die Aktie mit dem Strom, oder steigt sie stärker als vergleichbare Aktien? Wenn - wie in den vergangenen Jahren - der Deutsche Aktienindex (Dax) steigt, eine einzelne Aktie aus dem Index jedoch unterproportional zulegt, dann spricht das gegen die Aktie. Die BASF-Aktie zum Beispiel hat in diesem Jahr bisher knapp sechs Prozent gewonnen. "Das sieht gut aus, ist im Vergleich zu den circa 13 Prozent Zuwachs beim Dax aber mickrig", sagt Christian Henke, Chartanalyst vom Broker IG. Auf der anderen Seite bedeutet eine gute Performance gegenüber dem Dax nicht, dass die Aktie automatisch eine rosige Zukunft hat - es kann etwa sein, dass sie ebenfalls an Wert verliert, nur nicht so viel wie der Dax.

Nicht nur einzelne Aktien, auch den Dax selbst können Anleger mit anderen Indizes vergleichen - etwa mit dem MSCI World, der die Aktien aus 23 Industrieländern widerspiegelt. Solche Vergleiche sind für viele Anleger am sinnvollsten. Einzelne Aktien zu kaufen ist riskant, die meisten Sparer bevorzugen deshalb Fonds - also Töpfe aus mehreren Aktien. Immer beliebter werden sogenannte ETFs. Das Kürzel steht für Exchange-Traded Funds. Es handelt sich um börsengehandelte Fonds, die einen Index wie den Dax nachbilden. Mittlerweile gibt es unzählige davon - nur wer die Kursverläufe vergleicht, behält den Überblick.

Zeitabschnitte variieren

Verkäufer wählen den Zeitabschnitt auf der horizontalen Achse eines Charts oft so, dass Durststrecken nicht auftauchen. Die Faustregel ist deshalb: In der Darstellung immer mindestens zweimal den Zeitabschnitt ändern, online geht das mit wenigen Klicks. Durch Zerrung und Streckung des Graphen ergeben sich häufig ganz neue Perspektiven. Das Gleiche gilt für die vertikale Achse, wo die Kurswerte abgetragen werden. Kurssprünge des Dax wirken im Wertebereich zwischen 12 000 und 14 000 Punkten ganz anders als in der Darstellung von 0 bis 14 000 Punkten. Wer sich beraten lässt, sollte ein Blick auf das Key Investor Information Document (kurz KIID) werfen. Fondsgesellschaften sind seit der Finanzkrise gesetzlich dazu verpflichtet, ihre Kunden auf dieser Art Beipackzettel über die Wertentwicklung ihrer Fonds in den vergangenen zehn Jahren zu informieren. Für Kleinanleger besonders wichtig ist die langfristige Entwicklung und der eigene Zeithorizont: Wer sein Geld für einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren anlegen möchte, sollte sich logischerweise mit dem Kursverlauf der vergangenen 30 Jahre beschäftigen.

Nach vorne schauen

Allerdings sollte jedem klar sein, dass sich der Verlauf der vergangenen 30 Jahre nicht wiederholt - das klingt trivial, ist es aber nicht. "Es gibt Anleger, die Charts für Zukunftsprognosen halten", sagt Annabel Oelmann, Leiterin der Verbraucherzentrale Bremen. "Aber wenn ich im Auto in den Rückspiegel blicke, kann ich den Baum vor mir nicht sehen." Wichtig sei, nach vorne zu schauen: Welche Branchen haben zukunftsfähige Geschäftsmodelle? In welchen Regionen wird Wachstum erwartet? Charts sind ein Blick in die Vergangenheit - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Aus dem vergangenen Kursverlauf kann man lernen, aber eben nicht direkt auf die Zukunft schließen.

Charts sind nicht alles

Stückelung, Risikokennziffern, Dividendenquote: Bei all den verschiedenen Kennzahlen der Fonds raucht so manchem Sparer der Kopf. Charts dagegen wirken auf den ersten Blick unkompliziert, meist mit einer simplen Botschaft: Es geht aufwärts. "Charts sehen schön aus, wir lassen uns davon leicht blenden", sagt Verbraucherschützerin Oelmann. Doch bei der Wahl eines Fonds seien andere Faktoren meist wichtiger. Kleinanleger sollten vor allem auf die Kosten achten. Eine gute Orientierung bietet die Total Expense Ratio, sie fasst alle ausgewiesenen laufenden Kosten zusammen. ETFs sind in der Regel günstiger als aktive Fonds, es müssen keine Manager bezahlt werden, die sich um das Portfolio kümmern. Bei ETFs sollten Sparer zudem darauf achten, ob die Fonds die Erträge ausschütten oder wieder anlegen.

Vorsicht bei Kerzencharts

Aktiencharts zeigen gewöhnlich die Tagesschlusskurse an den jeweiligen Tagen an. Aus Sicht von professionellen Charttechnikern gehen dabei aber viele wichtige Informationen verloren. Sie benutzen stattdessen Balken- und Kerzencharts, auf denen Tiefst-, Höchststände und unzählige weitere Parameter des Kursverlaufs dargestellt werden. Mit statistischen Modellen und Faustregeln suchen die Analysten dann nach Mustern im Kursverlauf und schätzen, wie sich das Wertpapier in Zukunft entwickeln wird. Der Gedanke dahinter: Auch wenn die Zyklen immer kürzer werden, bleiben die Handlungsmuster an der Börse gleich. Manche Investoren sehen in der Charttechnik ein Allheilmittel, andere verdammen sie ins Reich der Astrologie.

Für Verbraucherschützer wie Oelmann steht fest: Kleinanleger sollten die Finger davon lassen, die Verfahren seien viel zu kompliziert. Christian Henke vom Broker IG sieht das naturgemäß anders: "Jeder kann Chartanalyse lernen." Im Vergleich zur Fundamentalanalyse erfordere sie keine betriebswirtschaftliche Ausbildung. Bei der Fundamentalanalyse versuchen Investoren anhand wirtschaftlicher Kennzahlen wie Umsatz und Gewinn, den Kursverlauf einer Aktie einzuschätzen. Was Henke nicht sagt: Meist geht es bei der Chartanalyse um kurzfristige Gewinne. Langfristig denkende Sparer sollten die Kursentwicklung zwar im Blick behalten, aber nicht ständig handeln - Transaktionskosten schmälern die Rendite. Am Ende gewinnt meist der Sparer mit dem längsten Atem.

© SZ vom 05.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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