Geldpolitik:Auf Draghis Worte kommt es an

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Weil die Wirtschaft in Europa wächst, möchte die Europäische Zentralbank ihre Strategie beenden. Sie wird dabei aber sehr behutsam vorgehen.

Von Alexander Hagelüken und Markus Zydra, Frankfurt

Als Andreas Dombret vor Kurzem eine Rede bei der Sparkasse Witten hielt, begann der Bundesbank-Vorstand mit Anekdoten über die Tante eines Mitarbeiters. Die Frau wurme es seit Langem, dass konservative Anlagen wie Festgeld praktisch keine Zinsen mehr brächten. Weshalb sie fragte, so Dombret, wie lange "dieser Herr Draghi" noch so weitermache.

In Deutschland wächst der Druck auf Mario Draghi, den Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), die lockere Geldpolitik zu beenden. Der Leitzins bei null Prozent, Strafzinsen für Banken und ein Anleihekaufprogramm im Wert von 2,2 Billionen Euro - diese Maßnahmen suchen in der Geschichte von Europas Notenbank ihresgleichen. Doch nach der schlimmen Finanz- und Euro-Schuldenkrise gab es nur noch eine Parole: Schleusen auf. Draghi und seine EZB-Ratskollegen wollten die Rezession und eine Deflation bekämpfen. Die Inflationsrate, so das Ziel, solle wieder zurück auf zwei Prozent, als Ausdruck einer sich erholenden Wirtschaft.

Wohlan - es ist soweit. "Die Krise liegt hinter uns. Die Erholung der Euro-Zone ist solide und zusehends breiter hinweg über Ländergrenzen und Sektoren angelegt", sagte Draghi am Donnerstag an der Universität in Tel Aviv, wo ihm die Ehrendoktorwürde verliehen wurde. Am 8. Juni treffen sich die 25 Notenbanker der EZB das nächste Mal, um über die Geldpolitik zu beraten. Womöglich gibt Draghi an diesem Tag ein kleines Signal, aus dem sich eine geldpolitische Wende ableiten lässt. Eine konkrete Maßnahme wie eine Zinserhöhung wird es nicht geben. Es wird um die Worte gehen, die Draghi wählt, um den Zustand der europäischen Wirtschaft zu beschreiben. Die Exegese darf man dann getrost den Finanzmärkten überlassen.

Jede Andeutung zählt: Wenn sich EZB-Chef Mario Draghi zur Geldpolitik äußert, wird jedes Detail interpretiert - wann gibt es wieder Zinsen? (Foto: Denis Balibouse/Reuters)

Die Bundesbank ist schon lange dafür, dass ein Strich gezogen wird unter die Notfallmaßnahmen der EZB. Vorstandsmitglied Dombret klagte in Witten, dass deutsche Banken und Sparkassen an einer ausgeprägten Ertragsschwäche litten. Die niedrigen Zinsen brächten das Geschäftsmodell ins Wanken. Noch könnten die meisten Geldhäuser die Konsequenzen tragen, aber: "Mittelfristig könnte es bei anhaltend niedrigen Zinsen eng werden".

"Gewisse Verspannungen an den Finanzmärkten werden sich nicht ganz vermeiden lassen."

Rapide schwinden die Probleme, mit denen die EZB ihre Geldspritzen in den vergangenen Jahren begründet hat. Die Preise in der Euro-Zone stiegen im April nahe den Zielwert von zwei Prozent, eine Rezession durch fallende Preise scheint ausgeschlossen zu sein, auch die EZB sieht das so. Die Wirtschaft wächst selbst in den Krisenstaaten wieder. Und die Wahlniederlage von Marine Le Pen in Frankreich hat erst einmal die Angst vor einer Machtübernahme der EU-Gegner vertrieben.

Ist damit der Weg frei für einen normalen Leitzinssatz? EZB-Direktor Yves Mersch hält die Zeit bald reif für eine Debatte über die Abkehr vom super-lockeren Kurs, obwohl Draghi zuletzt bremste. Trotz der positiven Daten sei nicht alles erreicht: "Wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen". Im April hielt Draghi an zwei skeptischen Formulierungen fest, die er schon lange wiederholt: Dass die konjunkturellen Risiken überwiegen und die Zinsen noch lange Zeit so niedrig - oder niedriger - bleiben würden. Erst wenn Draghi an diesen festgestanzten Formulierungen etwas ändert, signalisiert er die Zinswende.

Die Notenbanker diskutieren darüber hinaus, welche Maßnahmen sie im Fall der Fälle zuerst beenden sollten: die Nullzinspolitik oder die Anleihekäufe? Das Kaufprogramm, das monatlich Anleihekäufe im Wert von 60 Milliarden Euro vorsieht, endet im Dezember. Die EZB wird es aber kaum abrupt beenden, sondern mit abnehmenden monatlichen Kaufvolumina bis Mitte 2018 auslaufen lassen. Das dauert also eine Weile.

Die andere Möglichkeit: Man erhöht vor Ende der Anleihekäufe den Strafzins, der derzeit bei minus 0,4 Prozent liegt. "Mit einer Zinserhöhung lässt sich eine geldpolitische Wende in ganz Europa leichter durchsetzen", wirbt ein Insider. Denn so würde die Rentabilität der Banken verbessert, den Sparern geholfen und die Preisblasengefahr bei Häusern und Aktien eingedämmt. Verlieren würde kaum jemand. Das Ende der Anleihekäufe wirke da schon riskanter. "Das tut richtig weh", meint der Insider. Wenn die EZB weniger Staatsanleihen nachfragt, wird die Schuldenrefinanzierung für angeschlagene Länder wie Italien oder Portugal wohl teurer. So etwas löste in der Euro-Krise schon öfter gewaltige Turbulenzen aus.

Also doch kein baldiges Signal für die Wende? Ein Notenbanker argumentiert im vertraulichen Gespräch: "Gewisse Verspannungen an den Finanzmärkten werden sich nicht ganz vermeiden lassen. Deshalb ist es wichtig, den Anlegern Zeit zu geben, indem man die Wende früh signalisiert - im Juni, spätestens im September." EZB-Direktor Yves Mersch fordert, die Diskussion müsse "in einer geordneten und angemessen umsichtigen Weise stattfinden". Auch andere Notenbanker empfehlen, mit dem Beginn des Ausstiegs nicht allzu lange zu warten. "Selbst wenn die ungewöhnliche Geldpolitik früher oder schneller beendet wird als erwartet, wird noch länger ziemlich viel überschüssige Liquidität im System bleiben", so Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling in einer Rede.

Das soll wohl heißen: Es dauert sowieso sehr lange, bis das viele Notenbank-Geld aus dem Finanzsystem wieder abgesaugt ist. Bis dahin sammeln sich die Kosten des Nullzinskurses bei einigen Banken, an den Immobilienmärkten und bei Sparern wie der Tante des Mitarbeiters von Bundesbankvorstand Dombret.

© SZ vom 22.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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