Garage:Ein schöner Schrein

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Praktisch und simpel war früher. Garagen-Hersteller sehen heute drei Trends: zur Design-, Großraum- und Öko-Garage. (Foto: Johannes Simon)

Vom Stall zum Stellplatz direkt neben dem Sofa: Die Unterkunft fürs Auto hat sich zum Prestigeobjekt gewandelt. Doch es gibt eine starke Gegenbewegung.

Von Oliver Herwig

Mein Haus, meine Frau, mein Pool, mein Stellplatz? Moment, niemand käme auf den Gedanken, mit einer besseren Rumpelkammer anzugeben. Unter allen Bauaufgaben zählt die Garage nicht gerade zu den herausragenden. Sie ist schwer zu überhöhen wie das Bad als Ort der Reinigung oder die Küche als Platz der Familie. Sofort tauchen Bilder auf von offenen Carports, durch die der Wind fegt, oder von grauen Fertigbauten neben ebensolchen Reihenhäusern. Dabei findet gerade ein erstaunlicher Aufstieg des einstigen Pferdestalls statt: Vom Lagerplatz für Reifen und Autozubehör wandelt er sich zum vollwertigen Teil der Wohnung, zumindest in Berlin, Stuttgart, Düsseldorf oder Singapur. Dort parken Autos inzwischen in einer eigenen Loggia - gleich neben Küche und Sofalandschaft. Nirgends zeigt sich die Segregation städtischen Lebens so deutlich wie hier. Wer keine Lust hat auf Smalltalk und lästige Begegnungen mit Nachbarn, fährt mit seinem Automobil in den Schwerlastaufzug und landet direkt in der Wohnung. Die Bezeichnung Autohaus erhält dabei eine völlig neue Bedeutung. Das Fahrzeug selbst wird wieder Design-Objekt und Ausdruck des erlesenen Geschmacks.

Mancher Carport ist heute Laube und Minisportplatz zugleich

Natürlich gibt es eine Gegenbewegung: Wohnung und Stellplatz verlieren jede Bindung. Sie befinden sich oft nicht mehr im gleichen Haus, ja nicht einmal in der gleichen Straße, sondern im Quartiersparkhaus. Manche Städter verzichten inzwischen sogar ganz auf ein eigenes Fahrzeug. Teilen ist angesagt, kurz mieten, irgendwo abstellen. Praktisch für alle, die sich nicht mehr binden wollen, schon gar nicht an ein Ding, das laut Statistik 23 Stunden des Tages ohnehin ungenutzt herumsteht. Das hat Auswirkungen auf das Design der Stellplätze. Denn die Garage an sich hat ja nichts Anziehendes. Sie liegt entweder außerhalb des Hauses, wie früher die Ställe, oder unter der Erde. Man drückt auf die Fernbedienung, das Tor schwenkt auf und die Beleuchtung springt an. Zwei Minuten später geht es mit Einkäufen (oder ohne) in den Lift. Ein Tiefgaragenstellplatz ist ein in Beton gegossenes Monument unserer Mobilitätskultur: ein teurer Schrein für Autos. Wer auf den Gedanken kommt, die Garage anderweitig zu nutzen, beispielsweise als Zwischenlager für Mountainbikes, Skier und Kartons, wird von der Hausverwaltung schnell daran erinnert, dass hier nur das Auto zu stehen hat.

Ein Stellplatz ist in der Stadt noch immer Teil der Wohnung, kostet so viel wie früher ein normales Auto, und ist wichtig, will man die Eigentumswohnung irgendwann wieder verkaufen. Selbst wer einen Stellplatz nur mietet, zahlt in Großstädten inzwischen bis zu 150 Euro. Pro Monat. Der Preis zeigt einen Mangel. Es gibt einfach zu wenig Stellflächen in den Städten, obwohl sie in manchen Ballungsgebieten bis zu 40 Prozent aller Verkehrsflächen ausmachen.

Zeigen Garagen womöglich den Stand unserer Zivilisation? Wir sind mobiler denn je, und halten uns für offener und egalitärer. Da überrascht, dass 2012 noch immer doppelt so viele Autos auf Männer zugelassen waren wie auf Frauen, woraus Experten folgerten, dass die künftige Automobilität bis 2030 stärker von Frauen geprägt sein müsse. Dazu kämen verstärkt ältere Menschen. Spinnen wir diesen Gedanken weiter, so dürfte sich auch die Garage vom Ort liebloser Zwecknutzung zum multifunktionalen Raum weiterentwickeln: barrierefrei und hell, praktisch und vernetzt. Längst ist mancher Carport zugleich Laube und Minisportplatz. Ein führender Garagen-Hersteller spricht von drei Trends: Design-, Großraum- sowie Öko-Garagen, letztere mit "begrüntem Dach, Lüftungssystem und Regenwasserspender". Im nächsten Schritt ließen sich darauf ein Solarmodul mit Speichersystem einrichten, worauf das Ganze zur "E-Tankstelle" würde. Andererseits würden angesichts immer breiterer und höherer Fahrzeuge immer mehr Großraumgaragen gebraucht mit "bis zu 7,50 Metern Breite und bis zu 9 Metern Länge." Die ovale Design-Garage schließlich erinnert, obwohl prämiert, eher an ein banales Relikt der Postmoderne. Dabei tut sich durchaus etwas auf dem Gebiet der Garagen-Gestaltung: reduzierte Fronten und klare Proportionen gleichen Garage und Haus einander an. Design-, Großraum- sowie Öko-Garagen: Drei völlig gegensätzliche Trends zeigen, wie sich unsere Gesellschaft immer schneller in Teilbereiche zerlegt.

Erstaunlich. Denn früher, auf dem Land, gab es Rituale, die so unverrückbar schienen wie der sonntägliche Kirchgang. Das Belohnungs-Eis hinterher zum Beispiel oder die große Wagenwäsche am Samstag. Dazu wurde die Handbremse gelöst und die Familienkutsche ins Freie geschoben. Dann ging es dem Dreck an den Kragen. Mit Bürste und Staubsauger krochen Familienväter hinter die Sitze, klemmten den Gartenschlauch an und legten Wischlappen und Politur bereit. Wenn dann der Wagen nach zwei Stunden wieder ausfahrbereit war, gab es manchmal einen Anpfiff, weil entweder das Oberhemd Schmutz abbekommen hatte oder der Kaffee um mindestens ein halbe Stunde verschoben werden musste. Mit Wattebäuschchen Antenne und Chromteile von der weiß gewordenen Politur zu säubern, war für Halbwüchsige hingegen Strafarbeit und Ehre zugleich. Der Wagen war schließlich eine Art Familienmitglied, halb Kumpel, halb Respektsperson.

Wer als Städter und Digital Native heute ein Auto least, hat oft kein libidinöses Verhältnis mehr zur Fortbewegung auf vier Rädern, sondern eher zur App, die genau sagt, wo das nächste Fahrzeug steht. Dann geht es zum Baumarkt oder zum Möbelkauf, und nach ein paar Stunden stellt man das Auto (was für eine Marke war es doch gleich?) irgendwo am Straßenrand ab. Das ist natürlich ein Graus für all diejenigen, die noch "mein Auto" sagen. Für sie es wichtig, dass es nicht irgendwo abgestellt wird, sondern in einem Unterstand, der Schutz vor Wind und Wetter bietet. Manchmal locken Kleinanzeigen mit Begriffen wie "scheckheftgepflegt" oder "Garagenwagen". Das Oberlandesgericht Köln sah in der Formulierung schon 1973 eine Art Versprechen, dass ein solches Fahrzeug keinesfalls auf der Straße stand.

1992 schrieb Harry Mulisch in seiner grandiosen "Entdeckung des Himmels": "Ein Autofahrer ist kein Fußgänger in einem Auto, sondern eine völlig neue Kreatur aus Fleisch, Blut, Stahl und Benzin" - ein moderner Zentaur. Noch immer bildet die Tiefgarage die Basis unserer mobilen Gesellschaft. Aber das muss nicht so bleiben. Carsharing und Taxi-Apps, ja sogar Dienstleister wie Uber bilden nur den Anfang. Wenn bald hauptsächlich selbstfahrende Autos durch die Straßen kurven, werden ihre Eigentümer womöglich selbst kleine Taxiunternehmer, deren Fahrzeuge ständig auf Achse sind und keinen Stellplatz mehr brauchen. Umgekehrt nutzen wir Mobilität immer dann, wenn uns gerade danach ist. Die Garage alter Prägung wird zum Auslaufmodell. Sie findet ihre letzte Ruhestätte in Luxuswohnungen, direkt neben dem frei stehenden Küchenblock und dem Wellness-Bad. Alle anderen, weitgehend autofreien Stellplätze könnten in Gemeinschaftsgärten umgewandelt werden und Tiefgaragen in Plantagen für Champignons.

© SZ vom 30.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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