G 20:Schäuble spielt den Flüchtlingsjoker

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Flüchtlinge zu Fuß auf der Westbalkanroute unterwegs (Archivbild) (Foto: AFP)

Der Finanzminister will die G 20 dazu bringen, Europa in der Flüchtlingskrise zu unterstützen. Wenn er das schafft, bekommt auch die einstige Plauderrunde endlich wieder einen Sinn.

Kommentar von Cerstin Gammelin

Wolfgang Schäuble ist nach China gereist, formal als Bundesfinanzminister. Er trifft sich in Shanghai mit seinen Kollegen aus der Gemeinde der G 20. Weil die Realität auch auf den Konvent der Ökonomen keine Rücksicht nimmt, wird Schäuble kaum über volatile Finanzmärkte reden, sondern vielmehr als Botschafter der Flüchtlingskrise auftreten, die Europa zu zerlegen droht.

Der Minister will die europäische Flüchtlingskrise in China im globalen Bewusstsein verankern. Das ist nur billig für den Vertreter des Landes, das binnen weniger Monate eine Million Flüchtlinge aufnehmen musste. Ob es ihm gelingt, seine Kollegen in die Pflicht zu nehmen, ist freilich eine ganz andere Frage. Schließlich denken viele Lenker in der globalen Gemeinde immer noch so wie Deutschland vor Jahresfrist: Sie wähnen die Migrationskrise als die der anderen, der Nachbarn.

Chancenlos ist Schäuble deswegen nicht. Die Flüchtlingskrise ist für die globale Gemeinde nicht nur eine riesige Herausforderung. Sie bietet die Chance, der zwischenzeitlich zur zeitraubenden Plauderrunde degradierten Veranstaltung eine ganz neue Bedeutung zu verleihen.

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Von Cerstin Gammelin

Jetzt werden die nationalen Egoisten wieder an einen Tisch gezwungen

Einst gegründet in akuter Not, weil die Banken weltweit zu zerbrechen drohten, verlor sich die Ausstrahlung der G 20, nachdem die Krise abgeflaut war. Jedes Land kümmerte sich vor allem um seine eigenen Interessen. Die Flüchtlingsströme in aller Welt zwingen die Egoisten wieder an den Tisch. Die Macht der G 20 ergibt sich schon aus ihrer Größe. Sie vereinen 90 Prozent der Weltbevölkerung, sie produzieren drei Viertel der Güter und Dienstleistungen in aller Welt, ihre Rechtssysteme stehen im Wettbewerb, und ihre vergleichsweise stabilen Regierungen ringen um Macht.

Wer sonst als diese globale Gemeinde könnte in der Lage sein, die Lebensbedingungen so zu verbessern, dass die Menschen zu Hause bleiben? Die G 20 muss sich freilich strecken, um der neuen Verantwortung gerecht zu werden. Sie muss künftig die großen Zukunftsentscheidungen so treffen, dass allen Menschen auf diesem Planeten eine faire Chance eröffnet ist, in ihrer Heimat leben zu können. Anders als heute sind die Interessen der Menschen zu berücksichtigen, die nicht mit am Tisch sitzen, womöglich auf der Flucht sind. Im Jahr 2014 waren es 60 Millionen weltweit, inzwischen dürften es deutlich mehr sein.

Gerade bei Menschen, die wegen Hunger, Armut und Perspektivlosigkeit flüchten, ist die G 20 handlungsfähig. Sie kann Klimaschutz finanzieren, damit Landwirtschaft möglich bleibt. Oder gemeinsame Standards für Handelsverträge vereinbaren, damit bilaterale Verträge nicht automatisch zu Lasten ärmerer Dritter gehen. Oder sich selbst verpflichten, faire Standards bei Wirtschafts- und Finanzgeschäften einzuhalten.

Die europäische Flüchtlingskrise verhilft der G 20 zu einer Renaissance. Die Europäische Union ist in Shanghai das traurige Beispiel dafür, wie stabil geglaubte Bündnisse durch zu langes nationales Wegducken plötzlich zerbröseln können.

© SZ vom 26.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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