Haushalt:Regierung erwartet 3,6 Millionen Flüchtlinge bis 2020

Syrian refugees present their newly issued initial German registration documents in Herford

Die Familie von Wafy Al-Hamoud Alkhaldy und Asma Al Saleh zeigt ihren Ankunftsnachweis - sie sind in Deutschland registriert.

(Foto: Wolfgang Rattay/Reuters)
  • Nach SZ-Informationen plant die Bundesregierung intern mit insgesamt 3,6 Millionen Flüchtlingen bis 2020.
  • Der Streit um die Finanzierung der Ausgaben für Flüchtlinge beschäftigt die große Koalition.
  • Hintergrund sind anhaltende Meldungen über Rekordeinnahmen an Steuern und Abgaben sowie die daraus erwachsenden Begehrlichkeiten.
  • Noch in dieser Woche will Finanzminister Schäuble allen anderen Ministerien in vertraulichen Schreiben mitteilen, mit wie viel Geld sie 2017 rechnen können.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Der Streit um die Finanzierung der Ausgaben für Flüchtlinge nimmt an Schärfe zu. Finanzstaatssekretär Jens Spahn (CDU) sagte der Süddeutschen Zeitung, trotz der historischen Haushaltsüberschüsse aus dem vergangenen Jahr "haben wir nichts übrig". Jeder Euro Überschuss des Bundes sei "per Gesetz vollständig zur Finanzierung der Flüchtlingskrise reserviert", um die notwendigen Maßnahmen in Deutschland und in den Krisenregionen zu bezahlen. "Geld für zusätzliche Wünsche aller Art ist schlicht und ergreifend nicht da, auch wenn die Zahlen auf den ersten Blick anders scheinen". Die Bundesregierung wolle die Krise meistern und die schwarze Null halten.

Hintergrund der ungewöhnlich klaren Ansagen sind anhaltende Meldungen über Rekordeinnahmen an Steuern und Abgaben sowie die daraus erwachsenden Begehrlichkeiten. Der deutsche Staat verbuchte 2015 den historisch größten Überschuss seit der Wiedervereinigung, etwa 19,4 Milliarden Euro. Auch im Januar 2016 sprudelten die Einnahmen. An diesem Mittwoch meldete die Bundesbank einen außerplanmäßig hohen Gewinn.

Parallel dazu laufen im Bundesfinanzministerium die Planungen für den Haushalt 2017 und die Finanzen bis 2020. Zahlreiche Emissäre aus den anderen Ministerien haben in den vergangenen Wochen ihre Forderungen vorgetragen, um einen großen Teil vom Geld abzubekommen, allen voran Inneres, Umwelt und Bau, Verkehr, Arbeit und Soziales, Entwicklungshilfe.

Schäuble plant weiter mit der schwarzen Null

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist in der wenig komfortablen Lage, dass er wegen der Flüchtlingskosten viele Wünsche nicht nur ablehnen, sondern darüber hinaus die Etats einiger Ressorts kürzen muss. Nach SZ-Informationen plant die Bundesregierung intern mit insgesamt 3,6 Millionen Flüchtlingen bis 2020.

Das Bundeswirtschaftsministerium bestätigte, dass es zur Projektion der wirtschaftlichen Entwicklung "intern eine rein technische Annahme für die Zuwanderung getroffen und innerhalb der Bundesregierung ressortabgestimmt" habe. Da es gegenwärtig nicht möglich sei, den Flüchtlingszustrom seriös vorherzusagen, wolle die Bundesregierung keine offizielle Prognose zur Flüchtlingsmigration abgeben. Den internen Zahlen zufolge würden zwischen 2016 und 2020 jährlich durchschnittlich eine halbe Million Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen. Die Zahlen könnten allerdings von Jahr zu Jahr schwanken.

Noch in dieser Woche will das Bundesfinanzministerium allen anderen Ministerien in vertraulichen Schreiben mitteilen, mit wie viel Geld sie 2017 rechnen können. Die Prioritäten sind klar: Schäuble plant weiter mit der schwarzen Null und will alle anfallenden Flüchtlingskosten aus den laufenden Einnahmen und einer Rücklage bezahlen.

Die Rücklage umfasst bisher die Haushaltsüberschüsse des Jahres 2015, insgesamt 12,1 Milliarden Euro. In den kommenden Tagen wird das Polster weiter anwachsen, wenn die Bundesbank ihren Gewinn überweisen wird. Sie hat im vergangenen Jahr trotz extrem niedriger Zinsen einen Überschuss von 3,2 Milliarden Euro erwirtschaftet. Damit übersteigt der tatsächliche Gewinn den eingeplanten um 700 Millionen Euro. Die Bundesbank führt den Gewinn in voller Höhe an den Bund ab, die zusätzlichen Millionen fließen in die Rücklage.

Reicht die Rücklage?

Der Haushaltsexperte der Union, Eckhardt Rehberg, ebenfalls ein bekannter Verfechter der schwarzen Null, sagte in Berlin, es sei sehr erfreulich, dass der Gewinn über Plan liege.

Ob die Rücklage reichen wird, hängt vor allem von der Entwicklung der Flüchtlingszahlen ab. Wie knapp es werden könnte, deutete Schäuble an diesem Mittwoch unmittelbar vor seinem Abflug zu einem G-20-Treffen nach Shanghai an. "Die Flüchtlingszahlen müssen dramatisch sinken, sonst schaffen wir das nicht mehr", sagte der Finanzminister. Er werde auch in Shanghai für den Flüchtlingskurs der Bundeskanzlerin werben.

Schäuble muss bereits für den Haushalt 2017 mit sehr hohen Zusatzausgaben planen. Die absehbaren zusätzlichen Ausgaben für Sozialleistungen, Integration und innere Sicherheit sowie Hilfen für die Länder summieren sich auf 10,7 Milliarden Euro, wie aus einer internen Aufstellung hervorgeht. Den Kalkulationen zufolge werden die Ausgaben in den nächsten Jahren weiter steigen. Für das Jahr 2018 rechnet das Ministerium mit 11,4 Milliarden Euro zusätzlicher Ausgaben für Flüchtlinge. Im Jahr 2019 mit 12,7 Milliarden Euro und 2020 mit knapp 20 Milliarden Euro. Der Haushaltsplan 2017 und der Finanzplan bis 2020 sollen Mitte März vom Bundeskabinett verabschiedet werden.

Ökonomen finden: Die Benzinsteuer des Finanzministers ist eine gute Idee

Deutsche Ökonomen fordern, dass zusätzliche Ausgaben zur Finanzierung des Zuzugs, die nicht mehr aus dem laufenden Haushalt bezahlt werden können, über Steuererhöhungen finanziert werden. Sollten die regulären Einnahmen irgendwann nicht mehr hinreichen, "so wären zusätzliche Steuereinnahmen das Mittel der Wahl", heißt es in einer Studie, die Finanzwirtschaftler der Universität Köln im Auftrag der Bosch-Stiftung erstellt haben.

Ausdrücklich weisen sie darauf hin, dass Steuererhöhungen politisch gesehen immer zur falschen Zeit kämen. Steuern seien "Instrumente der demokratischen Kontrolle und nie inopportun", schreiben die Ökonomen. Im Koalitionsvertrag sind bis 2017 Steuererhöhungen ausgeschlossen.

Die von Schäuble erwogene Abgabe auf jeden Liter Benzin sei eine "interessante Variante", um sich zusätzliche Einnahmen zu verschaffen, sagen die Autoren. Schäuble hatte im Januar in einem Interview mit der SZ gesagt, er habe seinen europäischen Kollegen einen Vorschlag gemacht: Diejenigen, denen kein zusätzliches Geld zur Finanzierung der Flüchtlinge im Haushalt zur Verfügung stehe, könnten über eine europäische Benzinabgabe neue Einnahmen liefern. Die Europäische Kommission hatte diesen Vorstoß grundsätzlich begrüßt.

In der Studie der Universität Köln heißt es nun, die Schäuble'sche Benzinabgabe sei auch deshalb geeignet, weil sie zur europäischen Lastenteilung in der Flüchtlingspolitik beitrage. In der laufenden Planung des Finanzministers für die Jahre 2017 bis 2020 findet sich die Benzinabgabe freilich nicht.

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