Forum:Gefährlicher Abgesang

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Udo Hansen, 62, ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Qualität. Der Verwaltungswirt war lange im öffentlichen Dienst, zuletzt als Präsident des Bundespolizeipräsidiums Ost. (Foto: oh)

Die Marke "Made in Germany" gerät nun mit in den Sog des Abgas-Skandals. Das Gütesiegel braucht dringend Fürsprecher.

Von Udo Hansen

Der Volkswagen-Skandal zieht weite Kreise. Binnen kürzester Zeit nach Bekanntwerden der Manipulationen mehrten sich kritische und entrüstete Stimmen aus Politik und Wirtschaft, die schnellstmögliche Aufklärung forderten. Dieser Anspruch ist natürlich wichtig und richtig. Volkswagen muss jetzt alles daran setzen, gute Aufklärungsarbeit zu leisten und sicherzustellen, dass vergleichbare Verfehlungen in Zukunft ausgeschlossen werden. Das Vertrauen der Verbraucher wiederherzustellen, muss für den Konzern oberste Priorität haben. Volkswagen hat den Ernst der Lage erkannt, zieht Konsequenzen und wirbt um Vertrauen. Ob dies kurzfristig gelingt, bleibt abzuwarten.

Unabhängig davon hat die Diskussion längst eine neue Richtung genommen. In Situationen wie dieser übertreffen sich Experten oft gegenseitig im Skizzieren düsterer Zukunftsszenarien. Genau das ist auch im aktuellen Fall eingetreten. Es geht nicht mehr lediglich um die Manipulationen und Volkswagen an sich. Experten befürchten einen massiven Imageschaden, den die Marke "Made in Germany" im Sog des Abgasskandals erleidet und mit ihr Tausende deutsche Unternehmen in der und über die Automobilindustrie hinaus.

Aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Qualität ist der angestimmte Tenor problematisch. Was wir derzeit mit Sorge beobachten, ist ein regelrechter Abgesang, der auf die Marke angestimmt wird. Es wird Panik geschürt. Aus unserer Sicht ist das verantwortungslos, denn die entsprechenden Äußerungen tragen nicht zu einer sachorientierten Aufklärung des Skandals bei. Sie beschwören vielmehr eine zweite Krise, die viel weitgreifender ist. "Made in Germany" gilt als das drittwertvollste Ländersiegel der Welt. Das US-amerikanische Marktforschungsunternehmen Global Market Insite bezifferten seinen Wert 2013 auf 4,1 Milliarden Euro. Aus unserer Sicht dürfte der Wert heute deutlich höher ausfallen. Diesen Status und auch das Vertrauen, das Verbraucher seit Jahrzehnten weltweit in "Made in Germany" setzen, hat die Marke verdient.

Tatsächlich baut laut einer aktuellen, repräsentativen Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Qualität ein Großteil der deutschen Verbraucher auf die Strahlkraft der Marke. Knapp 70 Prozent gehen davon aus, dass der Abgas-Skandal keine oder nur kurzfristige Konsequenzen für das Image von "Made in Germany" haben wird. Weiterhin ist das Gütesiegel für deutlich mehr als die Hälfte ein wichtiges Kaufkriterium - generell oder beim Kauf bestimmter Produkte wie Elektrogeräte oder Autos.

VW und seine Mitarbeiter stehen für mehr als nur das aktuelle Problem

In der derzeit geführten Diskussion ist es deshalb wichtig, innezuhalten und zu berücksichtigen, dass "Made in Germany" mehr als das Produkt eines einzelnen Unternehmens ist. Es ist eine Haltung, die von Millionen Menschen und zahlreichen Unternehmen - ob Großkonzernen, mittelständischen oder kleinen Unternehmen - gelebt wird. Daraus gehen herausragende Produkte hervor. Das gilt übrigens auch für Volkswagen. Der Konzern und seine Mitarbeiter stehen für mehr als nur das aktuelle Problem. Wir sollten nicht den Fehler begehen, das Fehlverhalten einiger Weniger, dem Volkswagen-Konzern als Ganzem oder gar der Gesamtheit der Unternehmen in Deutschland anzulasten. Sicherlich ist das auch nicht die Intention all derer, die sich jetzt zu Wort melden. Dennoch spielt die Art und Weise wie die Diskussion seitens einiger Meinungsbildner geführt wird, denen in die Karten, die eine Chance darin sehen, dass eine Ikone wie "Made in Germany" in Schwierigkeiten gerät. Sie lassen fahrlässig außer Acht, wie ihre Kommentare, das allgemeine Einprügeln auf Volkswagen und das Skizzieren von Untergangsszenarien in Bezug auf "Made in Germany" wahrgenommen werden - nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.

Eine Studie, die die Deutsche Gesellschaft für Qualität im Rahmen einer Leitbild-Initiative für "Made in Germany" in Zusammenarbeit mit dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln durchgeführt hat, kam Ende 2013 zu dem Ergebnis, dass für 88 Prozent der deutschen Unternehmen, Qualität das Erfolgsfundament der deutschen Wirtschaft ist. Zu einem Qualitätsurteil gelangen Verbraucher aus Sicht der befragten Unternehmen aber nicht ausschließlich aufgrund tatsächlicher Produkteigenschaften. Vielmehr geht ein Drittel der Befragten davon aus, dass die Bewertung der Qualität eines Produktes zu großen Teilen eine Frage der Wahrnehmung und des Images ist.

Hier liegt für die Deutsche Gesellschaft für Qualität auch die Krux der aktuellen Diskussion: Es wird ein massiver Imageschaden für "Made in Germany" heraufbeschworen. Für alle an der Diskussion Beteiligten sollte aber im Gegenteil das Interesse, das Vertrauen der Verbraucher in die Marke "Made in Germany" zu bewahren und zu stärken, absolute Priorität haben. Es gilt, Verantwortung für die Marke zu übernehmen. Konkret heißt das, von Selbstinszenierungen auf Kosten von "Made in Germany", von einem allgemeinen Fingerzeit auf Volkswagen und unverantwortlichen Verallgemeinerungen abzusehen. Stattdessen brauchen wir Verhältnismäßigkeit. Es ist Zeit für einen verantwortungsbewussten und reflektierten Umgang mit dem Thema.

Bei dieser Forderung geht es uns ausdrücklich nicht darum, eine bedenkliche Situation zu verschleiern und mögliche Konsequenzen für die Marke "Made in Germany" und die deutsche Wirtschaft nicht beim Namen zu nennen. Wir denken aber, dass der derzeitige Tenor und die Heftigkeit, mit der die Diskussion derzeit geführt wird, schlicht unverhältnismäßig sind. Die Strahlkraft der Marke ist historisch gewachsen und stark. Sie hat bereits diverse Krisen überstanden und ist seit Jahrzehnten Aushängeschild der deutschen Wirtschaft. "Made in Germany" steht für Qualität, Zuverlässigkeit und deutsche Ingenieurskunst. Darin ist Deutschland ungeachtet der aktuellen Krise weiterhin stark.

Was das Gütesiegel "Made in Germany" jetzt braucht, ist kein Abgesang, sondern ein Schulterschluss starker Vorbilder und Fürsprecher mit der klaren Botschaft, dass die Strahlkraft der Marke auch diese Krise überstehen wird; dass das Vertrauen, das dem Siegel von Verbrauchen und Handelspartnern weltweit entgegengebracht wird, berechtigt ist. Politik und Wirtschaft sind jetzt gefragt, ein Signal für Vertrauen zu senden. Es muss glaubhaft vermittelt werden, dass in Zukunft wirksame Regeln und Compliance-Systeme sicherstellen, dass sich ein solcher Skandal nicht wiederholt. Besonnenheit ist angebracht. Das Image der Marke sollte nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden.

© SZ vom 05.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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