Folgen der Finanzkrise:Ach, Amerika

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Die Börsen im Aufruhr, die Wirtschaft im Abschwung: Wer trägt Schuld an der Finanzkrise? Wer ist verantwortlich für Milliardenverluste und Existenzängste?

Catherine Hoffmann

Schnell wird mit dem Finger auf gierige Banker, säumige Aufsichtsbehörden und skrupellose Ratingagenturen gezeigt. Das globale Finanzsystem sei auf Vertrauen gebaut, glaubt Ben Bernanke, der Chef der US-Notenbank. Schwindet das Vertrauen, gerät das System unter Stress.

Banger Blick auf den Monitor: Wie entwickeln sich die Kurse an den Börsen? (Foto: Foto: AFP)

Hinter all diesen Thesen verbirgt sich die Annahme, dass die Weltwirtschaft im Grunde solide ist, dass mit weniger Gier und mehr Vertrauen bald alles gut wird und die Konjunktur zur gewohnten Stärke zurückfindet. Deshalb wird so enorm viel Geld in wackelige Banken - und bald wohl auch in marode Unternehmen - gepumpt, damit die Volkswirtschaften eine tiefe Rezession vermeiden.

Mehr und mehr Ökonomen fragen allerdings, ob da nicht die falsche Medizin verordnet werde - ja schlimmer noch: Ob die Krankheit richtig erkannt worden sei. Vielleicht ist der Stress in der Bankenwelt nicht Ursache des Übels, sondern nur ein Symptom der Krise, ein Warnsignal, das auf tieferliegende Gefahren hinweist: auf die gewaltigen Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft, in den Handels- und Finanzströmen, die rund um den Globus fließen.

"Ökonomisches Armageddon"

Einer der Experten, die sich schon früh den Kopf darüber zerbrochen haben, ob das wilde Auf und Ab an den Kapital-, Devisen- und Immobilienmärkten etwas mit den makroökonomischen Ungleichgewichten zu tun hat, ist Stephen Roach, ehemals Chefökonom der amerikanischen Investmentbank Morgan Stanley. Er warnt schon seit Jahren, dass die Welt aus der Balance gerate und ein "ökonomisches Armageddon" drohe.

Denn die USA führen jeden Tag weit mehr Waren und Dienstleistungen ein als aus. Das Land gibt mehr Geld aus, als es einnimmt. Dafür überschwemmt Amerika die Welt mit jeder Menge Dollar. Das Geld türmt sich in jenen Ländern, die Amerika beliefern, vor allem in China, Japan und anderen asiatischen Volkswirtschaften. Die Globalisierung hat zu extremen Leistungsbilanzüberschüssen in Asien und einem 731 Milliarden Dollar schweren Defizit in den USA geführt. "Die globalen Ungleichgewichte haben entscheidend zur Verschuldungs- und Finanzkrise beigetragen", sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank.

Nach der Asienkrise vor elf Jahren, haben viele Länder dafür gesorgt, dass ihre Währungen unterbewertet bleiben, um den Export anzukurbeln. In der Folge häuften sie riesige Leistungsbilanzüberschüsse und Devisenreserven an. Da die heimische Bevölkerung lieber brav sparte, als fröhlich zu konsumieren, und Investitionen in Infrastruktur, Umwelt und Bildung zu kurz kamen, blieben jede Menge Dollar übrig, die vorzugsweise in amerikanische Staatsanleihen gesteckt wurden. Das brachte zwar nur eine lächerliche Rendite. Es half aber, den Dollar zu stabilisieren und die eigene Währung zu schwächen. Die gigantische Nachfrage Chinas nach Dollar-Staatsanleihen hielt nicht nur die eigene Währung unten, sondern auch die Anleihezinsen in den USA niedrig.

Vor allem aber erlaubte dieser Kreislauf Amerika, mit dem geborgten Geld in unerhörter Weise zu konsumieren und wiederum chinesische Waren zu kaufen. Seit langem leben die Vereinigten Staaten auf Pump, Regierung und Verbraucher häuften einen gigantischen Schuldenberg an, um zu kaufen, was sie sich eigentlich gar nicht leisten konnten, was sie nicht erwirtschaftet hatten. Geliehen hat man sich das Geld im Ausland. Das war ein Leichtes, weil die USA die Vorteile des Dollars als Weltwährung zu nutzen wussten: Wer die Leitwährung druckt, kann sich günstig verschulden. Und so saugt Amerikas kolossales Leistungsbilanzdefizit drei Viertel der weltweiten Ersparnisse auf.

Lesen Sie weiter, warum der kreditfinanzierte Boom im Westen möglich war.

Jedes mal, wenn ein Abschwung drohte in den vergangenen Jahren, senkte die US-Zentralbank die Zinsen - 2003 und 2008 sogar auf nur noch ein Prozent, um dem Kreditgeschäft und damit der Wirtschaft Schwung zu verleihen. Dank China musste sie weder einen Dollarsturz noch galoppierende Inflation fürchten. Das Resultat der Geldschwemme war eine Serie spekulativer Blasen an allen möglichen Anlagemärkten - Aktien, Immobilien, Rohstoffe, Derivate und Kredite erlebten eine phantastische Blüte.

Der kreditfinanzierte Boom im Westen war möglich, weil im Osten viel Geld gespart wurde, weil China und andere Länder nicht nur billige Waren für die Welt produzierten, sondern bereitwillig die amerikanische Schuldenmacherei unterstützten - mit den eigenen Ersparnissen. Das geht so weit, dass die Volksrepublik jetzt erstmals Japan als größten Gläubiger der USA überrundet hat: Wie das US-Finanzministerium jüngst mitteilte, besitzt die Volksrepublik inzwischen amerikanischen Schuldverschreibungen im Wert von 585 Milliarden Dollar - mehr als Japan, das US-Anleihen im Wert von 573 Milliarden Dollar hortet. In Amerika haben die beiden Länder einen großen Teil ihrer Devisenreserven angelegt. Das Gegenstück zum Fremdwährungsschatz der Asiaten sind ihre Handelsüberschüsse - umgekehrt bilden in den Vereinigten Staaten Handelsdefizit und Auslandsschulden ein unseliges Paar.

Was das mit der Finanzkrise zu tun hat? Wenig und viel zugleich: Das billige Geld der amerikanischen Notenbank, das die Schuldenexzesse und wilden Zockereien der Banker, Hedgefonds und Privatleute erst ermöglicht hat, ist nur ein Nebeneffekt der riesigen Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft. Doch ohne die lockere Geldpolitik hätte es die Kreditblase nicht gegeben, zumindest nicht in diesem Ausmaß. "Die US-Geldpolitik war eine wichtige Ursache der Kreditblase", sagt Stefan Schneider, internationaler Chefökonom bei DB Research. "Die extrem niedrigen Zinsen haben viele Amerikaner verführt, sich ungehemmt zu verschulden."

Scharfe Korrekturen erforderlich

Um die globalen Ungleichgewichte auszutarieren braucht es künftig, so glaubt Roach, einen niedrigeren Dollar, vor allem aber eine scharfe Korrektur der Vermögenspreise in den USA, insbesondere am Immobilienmarkt. Das werde den Druck auf die amerikanischen Familien erhöhen, wieder zu sparen - und nicht alles auszugeben und für die Altersvorsorge allein darauf zu vertrauen, dass der Wert ihrer Immobilien steigt. Wird mehr Geld auf die hohe Kante gelegt, wird der Anteil des Konsums am Bruttoinlandsprodukt sinken. Zuletzt nahm er mehr als 70 Prozent ein - eine ungesund hohe Zahl.

"Amerika muss seine Verschuldung zurückschrauben, das fordert der Markt", sagt Krämer. Vertrauen die USA wieder verstärkt auf Ersparnisse im eigenen Land, lindert das den Zwang, sich im Ausland Kapital zu besorgen. Das Leistungsbilanzdefizit kann schrumpfen - und tut es schon, weil Haushalte und Unternehmen weniger ausländische Waren und Dienstleistungen kaufen. Sie müssen künftig verstärkt im eigenen Land hergestellt und exportiert werden. Auch dieser Prozess ist unterwegs, ein günstiger Dollar hilft dabei. Umgekehrt müsste China seiner Währung freien Lauf und damit eine Aufwertung zulassen, es sollte den Amerikanern nicht mehr seine Ersparnisse bereitstellen, sie nicht mehr zur Schuldenmacherei verführen.

Das Problem ist nur: "Das Gleichgewicht in der Weltwirtschaft muss langsam wiederhergestellt werden, damit wir nicht in eine extrem scharfe Rezession stürzen", sagt Krämer. Die Notenbanken wissen das - und fürchten insgeheim das Schlimmste. "Mit sehr billiger Liquidität versuchen die Zentralbanken eine Entschuldung im Eiltempo zu stoppen, damit Unternehmen und Verbraucher ihre Ausgaben nicht zu stark kürzen und eine Deflation vermieden werden kann", sagt Krämer. "Aber auch das ist nicht ungefährlich, weil diese Politik die Krisen der zurückliegenden Jahre mit verursacht hat."

© SZ vom 24.11.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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