Finanzbeamte müssen ganz genau hinschauen, das verlangt ihr Beruf. Mit Misstrauen hat das aber offenbar nicht unbedingt zu tun. Andernfalls hätten zumindest einige Beamte stutzig werden müssen, als vor neun Monaten fast zeitgleich eine sehr ähnliche Anfrage bei 404 Finanzämtern in ganz Deutschland einging. Es meldete sich jeweils einer von drei Männern, die angeblich alle aus Marburg stammten. Jeder hatte einen Verein gegründet und wollte nun vom Finanzamt wissen, ob die Satzung seines Vereins ausreicht, um ihn als gemeinnützig einzustufen. Eigentlich eine Routineanfrage. Allerdings mit einer eingebauten Falle: Die drei Männer existieren genauso wenig wie die drei Vereine.
Ausgedacht hat sich den Fake Stefan Diefenbach-Trommer. Der wohnt tatsächlich in Marburg, denkt aber nicht an eine neue Vereinsgründung. Lieber will er mit seiner Ein-Mann-Organisation "Rechtssicherheit für politische Willensbildung" anderen Vereinen durch den Dschungel der Bürokratie helfen. Diefenbach-Trommer vermutet seit Langem, dass es keine klaren Kriterien gibt, wann ein Verein gemeinnützig ist - und wann nicht. Er hat sich deshalb zusammen mit der Otto-Brenner-Stiftung eine Feldstudie ausgedacht. Die Idee: möglichst viele Finanzämter anschreiben, mit denselben Fällen konfrontieren - und die Antworten vergleichen.
Für viele Vereine ist die Frage nach der Gemeinnützigkeit überlebenswichtig. Von ihr hängt ab, wie viel Geld in die Kasse kommt. Nur wenn ein Verein als gemeinnützig eingestuft wird, können Unterstützer ihre Spenden von der Steuer absetzen. Für viele ist das ein maßgeblicher Grund, um überhaupt ins Portemonnaie zu greifen.
Dass nicht alle Finanzämter stets transparent und nachvollziehbar entscheiden, ist kein Geheimnis. Sehen kann man das aktuell am Fall Attac. Das Finanzamt in Frankfurt entzog dem globalisierungskritischen Netzwerk 2014 den Status der Gemeinnützigkeit. Ein Urteil, gegen das sich Attac erfolgreich wehrte. Das Revisionsverfahren läuft aber noch immer. Andere Vereine wie der BUND Hamburg kämpfen mit ähnlichen Problemen. Aus Sicht der Behörden handelt es sich aber nur um Einzelfälle. Deshalb empfehlen sie unzufriedenen Vereinsgründern, vor Gericht zu ziehen, wenn sie überzeugt sind, dass ein Finanzamt ausnahmsweise danebenliegt.
Man hätte eine Münze werfen können
Das Problem: Sehr viele Finanzämter liegen sehr oft daneben. Oder besser: Einige scheinen überhaupt nicht zu wissen, wie die geltenden Vorschriften anzuwenden sind. Das legt zumindest die Marburger Studie nahe, die am Donnerstag vorgestellt wird. In etwa der Hälfte aller Fälle wurde den Vereinen Gemeinnützigkeit zugesagt, in der anderen nicht. Man hätte ebenso gut eine Münze werfen können.
Dabei hat Diefenbach-Trommer den Finanzämtern das Leben nicht unnötig schwer gemacht. Seine Beispiele sind bewusst aus dem Alltag gegriffen. Für die Studie erdachte er einen eher konservativen Verein für "Musik ist Leitkultur", einen für "europäische Demokraten" und einen für ein "farbiges Deutschland". Die Idee, auch einen Verein für geschlechtsneutrale Toiletten ins Rennen zu schicken, hat er verworfen. Er wollte altgediente Finanzbeamte nicht unnötig provozieren.