Schlecker ist auch im Niedergang das, was es bereits in den Jahren des Gedeihens der Firma war: ein Symbol. Wer Marktwirtschaft und Kapitalismus grundsätzlich misstraut, der fand in dem Inhaber Anton Schlecker stets die Verkörperung eines Bosses, der auf die Meinung von Beschäftigten keinen Wert legt, der sie miserabel bezahlt und es, gewissermaßen auf ihrem Rücken, zum Milliardär gebracht hat. Ein Patriarch im allerschlechtesten Sinne.
In diesen Tagen wiederum ist offensichtlich, dass nicht allein über die Rettung einer Drogeriekette verhandelt wurde. Zunächst ging es um die Verkäuferinnen; darum, ob sie demnächst Arbeit haben. Für sie und weite Teile der Öffentlichkeit ist kaum zu fassen, dass die Rettung unmöglich sein soll. Eine Bürgschaft über 71 Millionen Euro hätte es gebraucht, heutzutage ein im Grunde läppischer Betrag. Worum es bei den Verhandlungen auch ging, fasste eine Betriebsrätin so zusammen: "Für Rettungsschirme ist Geld da, auch für'n Ehrensold, für uns aber nicht." Genau das ist die Dimension der Causa Schlecker.
Nüchtern gesehen, handelt es sich bei einer solchen Bemerkung natürlich um Schmarrn. Ja, gegen die Euro-Schirme lässt sich viel einwenden, wenig jedoch gegen deren Ziel - die Rettung von Volkswirtschaften. Deren Zusammenbruch wäre nichts anderes als die Summe der Zusammenbrüche ihrer Teile, von Firmen aller Branchen und Größen. Und so viele Ex-Präsidenten gibt es gar nicht, dass sie, verzichteten sie denn auf ihre Ehrensolde, bei Schlecker irgendwas bewegen könnten.
Indem eine Betriebsrätin so spricht, mag sie der Sache zwar nicht weiterhelfen. Doch sie gibt einen verbreiteten Eindruck wieder: Es geht generell ungerecht zu im Land. Entscheidend ist weniger, ob der Eindruck stimmt. Sondern, dass er da ist.
Es gibt Gründe für den Staat, bei Schlecker zu helfen, und es gibt Gründe dagegen. Für die Hilfe hätte gesprochen, dass hier 24.000 Beschäftigte ohne eigenes Verschulden in Not geraten sind und nun darauf gesetzt haben, die "soziale Marktwirtschaft" beim Wort nehmen zu können. Für die Hilfe hätte auch gesprochen, dass der Zusammenbruch von Schlecker immerhin unter den geschlossenen Augen des Staates erfolgt ist. Die Linke weist mit Recht auf dessen Mitverantwortung hin: Naiverweise lässt er zu, dass Chefs wie Anton Schlecker ihre Konglomerate als "eingetragener Kaufmann" führen. So brauchen sie keine Gewinn- und Verlustrechnung offenzulegen, keinen Aufsichtsrat einzurichten, keinen Insolvenzantrag zu stellen.
Wer nur eine Würstchenbude führt, trägt Verantwortung allein für sich. Nichts dagegen einzuwenden, wenn der als eingetragener Kaufmann am Rost steht. Wer aber eine Kette aufbaut, bürdet sich auch Verantwortung auf; dessen Gebaren ist keine kleine Kaufmannssache mehr. Begreift er das nicht, muss der Staat ihn per Handelsgesetzbuch dazu zwingen. Das wäre eine Lehre, die gerade solche Politiker aus dem Fall ziehen könnten, die Wirtschaftspolitik vor allem als Ordnungspolitik interpretieren. Politiker der FDP zum Beispiel.
Abstrakte Prinzipien statt Menschen
Im Saarland hat die Partei 1,2 Prozent bekommen. Wenn ihre führenden Vertreter nun Politik weiter so betreiben wie im Fall Schlecker, werden es noch weniger werden. Wirtschaftsminister Philipp Rösler verweist auf die pauschal ansehnliche Stellenlage im Handel - als ob man einer Verkäuferin aus Detmold den Umzug nach Darmstadt zumuten könnte.
Glauben er und seine Kollegen, es hilft ihnen, irgendein abstraktes Prinzip zu verteidigen, statt sich konkret um Menschen zu kümmern? Kämpfen sie für die bloß deshalb nicht, weil Schlecker-Frauen sowieso keine FDP-Wählerinnen sind und zudem das Pech haben, dass die Firma ihren Sitz im grün-rot regierten Baden-Württemberg hat? Derselbe bayerische FDP-Minister, an dem am Donnerstag um 15 Uhr die Schlecker-Transfergesellschaft scheiterte, hielt es eine halbe Stunde vorher für gut, bei der bayerischen Bäckerei Müller-Brot Hilfe zuzusichern.
Mag sein, dass auf dem Wählermarkt mit dem Thema Schlecker nicht viel zu holen ist. Aber es ist dort viel zu verlieren, und zwar für die Politik insgesamt. Vielleicht haben die FDP-Minister auch seriöse Gründe für ihre Verweigerung. Vielleicht kann der geschrumpfte Schlecker-Konzern in der Tat kaum die Umsätze erwirtschaften, um das Darlehen zurückzuzahlen, für das der Staat bürgen sollte. Es wäre dann aber höchste Zeit, diese Gründe dem Volk zu erklären.
Bisher schicken die FDP-Amtsinhaber nur Briefe von einem Ministerium zum anderen, oder sie haben Erklärungen abgegeben, bloß dann mitzumachen, wenn alle anderen Bundesländer auch mitmachten, und da das leider nicht so sei . . . sorry, dies ist Politik nach dem Motto: Wer ist der Kälteste im Land?
Politik kann nicht in jedem Einzelfall helfen. Es gibt Desaster, bei denen ihr nur die Kapitulation bleibt. Ob das im Fall Schlecker so ist, ist die eine Frage. Die andere Frage ist, ob sie die Betroffenen ernst nimmt, ob sie zeigt, dass sie um sie ringt. Reiten Politiker aber vor allem auf Prinzipien herum, brauchen sie sich über sinkende Wahlbeteiligung oder Schlimmeres gar nicht erst zu wundern.