Familienkonzern:Schaefflers oberster Präzisionsarbeiter

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Schaeffler auf der Technologiemesse CES 2019: Das Unternehmen will verstärkt in Zukunftstechnologien investieren. (Foto: Schaeffler)

Klaus Rosenfeld kam als Banker zu Schaeffler und rettete Firma und Eigentümerfamilie vor dem Ruin. Jetzt treibt er als Vorstandschef den technologischen Umbau der Firma voran.

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

Als die Schaeffler AG im Januar ankündigte, die Firma Melior Motion in Hameln zu übernehmen, hielt sich das öffentliche Interesse in Grenzen. Wieder so ein Fall, wo ein Milliardenkonzern mit 83 000 Beschäftigten im Vorbeigehen einen Winzling mit gut 100 Leuten und 23 Millionen Euro Jahresumsatz schluckt. Das kommt häufiger vor und ist selten der Rede wert. Doch dieser kleine Deal folgt einem großen Plan: Schaeffler, groß und stark geworden mit Wälzlagern und anderen mechanischen Teilen hauptsächlich für Autos mit Verbrennungsmotoren, erobert sich mit der Übernahme einen Platz in der Welt der Zukunft, die von Elektromobilität und Digitalisierung bestimmt wird. Und Melior Motion markiert für die Schaeffler AG den Einstieg in ein vielversprechendes, neues Geschäftsfeld: die Robotik.

Die Firma produziert nämlich Präzisionsgetriebe für Industrieroboter und beliefert neuerdings mit Kuka einen der großen Spieler auf diesem Markt. Experten prophezeien Industrierobotern eine wachsende Bedeutung bei der industriellen Fertigung. Allein deshalb passt die Übernahme von Melior Motion genau zum Masterplan von Klaus Rosenfeld, 55. Seit 13 Jahren im Unternehmen und seit Juni 2014 Vorstandschef, baut der ehemalige Marinesoldat und Beinahe-Berufsmusiker die Schaeffler AG tiefgreifend um. Die jahrzehntelang gängige Bezeichnung "Automobilzulieferer" greift inzwischen zu kurz, wenn es um den Familienkonzern mit Sitz in Herzogenaurach bei Nürnberg geht.

Zwar erwirtschaftete die Automotive-Sparte auch im vergangenen Jahr mit 8,4 Milliarden Euro mehr als die Hälfte des um 9,7 Prozent gewachsenen Konzernumsatzes von 13,9 Milliarden Euro. Doch die beiden anderen Sparten Industrie und Aftermarket, dahinter verbergen sich Produktion und Vertrieb von Ersatzteilen, wuchsen mit 13,6 und 13 Prozent deutlich stärker als die Autosparte mit einem Plus 7,4 Prozent. Und sie erwirtschafteten mehr als die Hälfte des Konzernergebnisses von 756 Millionen Euro. Schaeffler sei eben ein integrierter und diversifizierter Industriekonzern mit drei Sparten, sieht sich Rosenfeld bestätigt. Und nicht mehr nur - wie früher - ein Autozulieferer mit ein wenig Industriegeschäft nebenbei.

Seine Aufgabe als Vorstandschef sei es auch, Richtung, Takt und Tempo vorzugeben

Dass Klaus Rosenfeld sich am Dienstag bei der Bekanntgabe der Bilanzzahlen für 2021 scheute, eine Prognose für das laufende Geschäftsjahr abzugeben, ist allein dem Ukraine-Krieg geschuldet und nicht etwa Zweifeln an der eigenen Strategie. Vom Vorstandschef selbst soll die Idee stammen, mit dem Ersatzteilgeschäft neben Auto und Industrie ein drittes Schaeffler-Standbein aufzubauen. Seine Aufgabe als Vorstandschef sei es auch, Richtung, Takt und Tempo vorzugeben und das Team mitzunehmen, sagt Rosenfeld in einem Firmenvideo.

Auch Erläuterungen oft komplexer technischer Schaeffler-Produkte kommen ihm immer glaubwürdiger über die Lippen. Längst hat er den jahrzehntelangen Glaubenssatz pulverisiert, wonach nur ein Ingenieur die Technikschmiede samt ihren 83 000 Beschäftigten führen könne. Rosenfeld ist von Haus aus Banker. Als solchen holten ihn Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann, 80, und ihr Sohn Georg, 57, im Jahr 2009 in höchster Not, als sie samt ihrer Firma mit dem Rücken zur Wand standen, nachdem 2008/2009 die Übernahme der dreimal größeren Continental AG zur Übernahmeschlacht ausartete. Und auch noch die globale Finanzkrise ausbrach. Rosenfeld, bis dahin Vorstand bei der Dresdner Bank, gelang es als Finanzchef von Schaeffler, die kreditgebenden Banken zu beruhigen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Er ordnete die Milliardenschulden von Familie und Firma Schaeffler und führte das Unternehmen 2015 an die Börse. Wobei drei Viertel der Aktien nach wie vor bei Mutter und Sohn liegen.

Heute gilt Klaus Rosenfeld als enger Vertrauter von Georg und Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann. Er verkehre mit ihnen auf Augenhöhe, sagt einer, der das innere Gefüge gut kennt. Als Geschäftsführer diverser Holdings, in denen Mutter und Sohn ihre Firmenbeteiligungen gebündelt haben, kümmert sich Rosenfeld auch um private Finanzen der Familie. Auf deren Ticket sitzt er auch im Aufsichtsrat der Continental AG und bei deren Abspaltung Vitesco. "Er genießt großes Vertrauen, aber nicht nur bei den Schaefflers, sondern auch in der Belegschaft und beim Aufsichtsrat", sagt ein Mitglied des Kontrollgremiums. Als "geerdet und nahbar", beschreibt ihn ein Arbeitnehmervertreter. Dass zuletzt mehrere Finanzvorstände Schaeffler nach kurzer Zeit wieder verließen oder verlassen mussten, wird Rosenfeld nicht als Malus angerechnet. Wenn er wolle, werde die bald anstehende Verlängerung seines Vertrages nur eine Formalie sein.

Was dem Vater und Hobby-Triathleten ebenfalls immer besser gelingt, ist der technologische Umbau der Schaeffler AG. Ein Kraftakt, dem zuletzt allein in Deutschland mehr als 5000 Arbeitsplätze zum Opfer fielen. Nicht aus Kostengründen, sondern weil die Firma systematisch die Produktion mechanischer Teile aufgibt, die in Zeiten von E-Mobilität und Digitalisierung kaum mehr benötigt werden. Die bei Schaeffler traditionell aufmüpfigen Arbeitnehmervertreter schluckten die Kröte Stellenabbau, weil Rosenfeld gleichzeitig in Zukunftsfelder investierte. Die Fertigung von Großlagern für Windräder etwa, oder ein Kompetenzzentrum für Wasserstoff plus Zentrallabor in Herzogenaurach. In Höchstadt bündelt Schaeffler Werkzeugtechnologie. Die Industriesparte hat ihre Produktion in Schweinfurt konzentriert und der Automotive-Sektor arbeitet vom badischen Bühl aus am Thema Elektromobilität. Und das ganz offensichtlich erfolgreich. 2021 gingen dort Aufträge über 10,2 Milliarden Euro ein; 3,2 Milliarden davon entfielen auf Produkte für E-Fahrzeuge. Verstärkt entwickelt und produziert Schaeffler nicht mehr nur einzelne Teile und Komponenten, sondern komplette elektrische Antriebssysteme. "Vor drei, vier Jahren konnte sich das kaum jemand im Unternehmen vorstellen", sagt einer, der schon lange dabei ist. "Aber auch an Roboter hat damals niemand ernsthaft gedacht."

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