"Können wir das schaffen?", fragen die Bauarbeiter im Kinderlied von Bob, dem Baumeister. Und der antwortet: "Yo, wir schaffen das!" Schon Barack Obama machte "Yes we can" 2008 ebenfalls zu seinem Wahlkampfmotto. 2015 tat es ihm Angela Merkel gleich und entgegnete besorgten Bürgern: "Wir schaffen das!" Es sollte zum geflügelten Wort werden.
Die Kanzlerin sagte das auf der Bundespressekonferenz Ende August. In den Monaten zuvor war die Zahl der Menschen, die nach Deutschland flohen, kontinuierlich angestiegen. Mitte August hatte das Innenministerium seine Prognose korrigiert: Nicht 450 000, sondern 800 000 Flüchtlinge würden in Deutschland erwartet. Wenige Tage später beschimpfte im sächsischen Heidenau ein Mob aus Nazis und Anwohnern Merkel als "Volksverräterin". Die Pegida-Bewegung erhielt wieder Zulauf, nachdem sie im Frühjahr in der Bedeutungslosigkeit versunken war. Die Stimmung in Deutschland drohte zu kippen.
Diese Entwicklung konnte man nicht nur wahrnehmen, wenn man am Montagabend den Demonstranten in der Dresdner Innenstadt zuhörte. Die Abkehr von der vielzitierten Willkommenskultur spiegelt sich auch in der Berichterstattung über Flüchtlinge wider. Eine Auswertung auf Grundlage der Daten von Storyclash zeigt, wie sich Anzahl und Tonfall der Artikel zu diesem Thema im Laufe des vergangenen Dreivierteljahres verändert haben.
Methodik
Das Linzer Start-up Storyclash hat uns für jeden Monat seit Juni 2015 die jeweils 100 deutschen Medienberichte mit den meisten Facebook-Interaktionen (Likes, Shares, Kommentare) geschickt. Wir haben gezählt, wie viele der Artikel sich mit Flüchtlingen beschäftigen und diese dann zwei Kategorien zugeordnet: positiv und negativ. Eindeutig positiv ist zum Beispiel der erfolgreichste Text im Monat August, eine Erklärung, warum Smartphones für Flüchtlinge kein Luxus sind. In die zweite Kategorie fällt die Forderung von Birgit Kelle, die sich nach der Silvesternacht von Köln einen "Aufschrei gegen die Täter" wünschte - 31 000 Likes, 14 000 Kommentare und 12 000 Shares waren die Folge.
Vorurteile:Handys sind für Flüchtlinge kein Luxus
Wer ein Smartphone hat, dem kann es nicht schlecht gehen. Klingt logisch, ist aber falsch. Je schlechter es einem Menschen geht, desto dringender braucht er ein Smartphone.
Doch nicht immer fällt die Zuordnung leicht. Anfang September titelte beispielsweise Spiegel Online: "Wagenknecht und Bartsch: Linke nennen USA Hauptverursacher der Flüchtlingskrise." Der Text selbst ist eine neutrale Meldung, die vier Sätze geben lediglich die Aussagen der Fraktionsvorsitzenden wieder. Trotzdem sammelte der Artikel fast 27 000 Facebook-Interaktionen. 757 Kommentare direkt bei Spiegel Online, 1136 Kommentare unter dem Facebook-Posting und unzählige Tweets zeigen, dass dafür unterschiedliche Motive ausschlaggebend waren: Linke wie Rechte, Anti-Amerikanisten und überzeugte Transatlantiker haben den Bericht geteilt und kommentiert, mal zustimmend, mal voller Empörung.
In solchen Fällen haben wir die jeweiligen Medienberichte nicht in die Auswertung einbezogen, um das Ergebnis nicht zu verfälschen. Im gesamten Zeitraum gab es jedoch nur eine Handvoll solcher Artikel - bei 227 Berichten über Flüchtlinge fällt das nicht allzu stark ins Gewicht. Dennoch: Aufgrund der subjektiven Kategorisierung genügen die Ergebnisse keinen wissenschaftlichen Ansprüchen.
Das Interesse am Flüchtlingsthema hat zugenommen
Die beiden folgenden Grafiken zeigen, wie präsent Flüchtlinge in deutschen Medien waren. Im Juni schafften es lediglich die Huffington Post ( Platz 3) und der Tagesspiegel ( Platz 64) damit in die Top 100. In den folgenden Monaten stieg der Anteil der Flüchtlings-Artikel kontinuierlich an, im September hatten 43 der 100 Texte mit den meisten Facebook-Interaktionen Flucht und Asyl zum Thema. Das war der Monat, in dem Zehntausende Menschen vom Budapester Hauptbahnhof nach Deutschland einreisten, bis Innenminister de Maizière ankündigte, wieder Grenzkontrollen einführen zu wollen.
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Im Laufe des Herbsts wurden andere Ereignisse wieder wichtiger, etwa die Anschläge von Paris am 13. November oder der Tod von Lemmy Kilmister im Dezember. Dann kam die Kölner Silvesternacht, und schlagartig waren Flüchtlinge wieder das beherrschende Thema: Im Januar drehten sich fast zwei Drittel der meistgelikten, meistgeteilten und meistkommentierten Medienberichte um Flüchtlinge. Die gleiche Tendenz zeigt sich, wenn man die Zahl der Interaktionen addiert. Auch hier steigt das Volumen von Juni bis September an, sinkt mit Beginn des Winters und kulminiert im Januar.
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Während das Interesse am Flüchtlingsthema zunahm, veränderte sich der Tonfall der Medienberichte. Zwischen Juni und August waren 38 von 42 Artikeln über Flüchtlinge positiv konnotiert, das entspricht einem Anteil von mehr als 90 Prozent. Im September drehte sich die Stimmung; erstmals überstiegen ablehnende die wohlwollenden Berichte. Besonders extrem auch hier der Januar: 51 negative Artikel mit mehr als zwei Millionen Facebook-Interaktionen stehen 13 positiven Texten und 558 000 Likes, Shares und Kommentaren gegenüber.
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Focus Online als Medium der Flüchtlingsgegner
Betrachtet man die Medien, die in den jeweiligen Top 100 mit Berichten über Flüchtlinge auftauchen, fällt eine starke Polarisierung auf. Alle Blogs und Nachrichtenportale sind entweder vorrangig mit positiven oder mit negativen Artikeln vertreten. Jeweils 14 positive Berichte kommen von Spiegel Online (zusätzlich fünf negative), Huffington Post (vier negative) und dem Satireportal Der Postillon (null negative), auch bei Zeit Online, Stern und Süddeutscher Zeitung überwiegen die Texte, die Flüchtlingen wohlgesonnen sind. Nur beim Tagesspiegel ist das Verhältnis ausgewogen, wenn auch bei einer geringen Fallzahl (zweimal positiv, zweimal negativ).
Legt man die Zahl der Facebook-Interaktionen zugrunde, ist Focus Online das mit Abstand erfolgreichste deutsche Nachrichtenportal. 97 Berichte zählten zwischen Juni und Februar zu den monatlichen Top 100. Davon beschäftigen sich 50 mit dem Thema Flüchtlinge - und 48 haben einen negativen Tonfall. Mit großem Abstand folgen die von vielen als alarmistisch wahrgenommenen Deutschen Wirtschafts Nachrichten (14 negative Artikel), die Welt (13 negative, zwei positive Artikel) und die rechtskonservative bis rechtsextreme Junge Freiheit (zehn negative Artikel).
Anmerkung in eigener Sache: Die Süddeutsche Zeitung nutzt Storyclash als Analyse-Tool. Die Zusammenarbeit hat keinen Einfluss auf diese Auswertung. Storyclash hat von der Süddeutschen Zeitung keine Gegenleistung für die zur Verfügung gestellten Daten bekommen.