Wirecard-Skandal:Verdacht auf "gewissenlose" Bilanzkontrolle

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EY weist weiterhin alle Vorwürfe zurück, auch nach dem OLG-Beschluss. (Foto: Michael Gstettenbauer /imago images)

Die Wirecard-Pleite könnte die Prüfgesellschaft EY noch teuer zu stehen kommen. Grund dafür ist ein Paragraf, der bereits die Deutsche Bank und Volkswagen viel Geld kostete - und ein möglicher neuer Zeuge.

Von Klaus Ott

Erst musste die Deutsche Bank fast eine Milliarde Euro an Leo Kirchs Erben überweisen. Dann musste Volkswagen viele Milliarden Dollar und auch einige Euro an Kunden zahlen, denen der Autokonzern schmutzige Dieselfahrzeuge als sauber verkauft hatte. Ist jetzt bald auch der Wirtschaftsprüfkonzern EY dran, wegen des Wirecard-Skandals und der horrenden Schäden für Aktionäre und Banken?

Die Fälle Deutsche Bank, Volkswagen und Wirecard verbinden ein Paragraf und ein Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) München von diesem Donnerstag. In diesem Beschluss kommt der Paragraf 826 aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch vor. Er besagt, wer in einer "gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden" zufüge, müsse dafür geradestehen.

Der Paragraf 826 hat die Deutsche Bank und VW viel Geld gekostet, und er könnte auch für den Prüfkonzern EY teuer werden. Der deutsche Ableger von EY, einem der weltweit führenden Akteure im Wirtschaftsprüfer- und Beratergeschäft, hat viele Jahre lang die Bilanzen von Wirecard für in Ordnung befunden. Trotz vieler Presseberichte über fragwürdige Vorgänge bei dem in Aschheim bei München ansässigen Zahlungsdienstleister.

Das Oberlandesgericht vergleicht in seinem Beschluss nun die Abgasmanipulationen bei Volkswagen mit einem möglichen Versagen der Bilanzprüfer bei Wirecard. Ob eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch das Verschweigen einer unzulässigen Abgaseinrichtung oder durch eine möglicherweise "gewissenlose" Bilanzprüfung erfolge, könne wohl keinen Unterschied machen, glaubt das Gericht.

Der OLG-Beschluss könnte eine regelrechte Wende sein

EY weist alle Vorwürfe zurück, die seit der Pleite von Wirecard Mitte 2020 gegen den Prüfkonzern erhoben werden. Bislang hat sich EY bei der Justiz erfolgreich gegen zahlreiche Aktionärsklagen gewehrt. Der OLG-Beschluss könnte freilich eine Wende sein. Erwirkt hat ihn der Anlegeranwalt Franz Braun aus der Kanzlei CLLB. Braun hat für Wirecard-Aktionäre Klagen in Millionenhöhe gegen EY beim Landgericht München eingereicht, dort aber zunächst keinen Erfolg gehabt. Das Landgericht wies die Klagen ab.

Das von Braun angerufene Oberlandesgericht hat das Vorgehen des Landgerichts jetzt aber als "wohl in mehrfacher Hinsicht verfahrensfehlerhaft" gerüffelt und weitreichende Hinweise gegeben. Es sei "kein rechter Grund" ersichtlich, warum EY für eine möglicherweise falsche und sittenwidrige Bestätigung der Wirecard-Bilanzen in den Jahren vor 2020 "nicht allen späteren Aktienkäufern haften sollte" - zumindest sofern nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei einer pflichtgemäßen Bilanzprüfung Wirecard früher pleitegegangen und es erst gar nicht mehr zu diesen Aktienkäufen gekommen wäre, so das OLG.

Für EY könnte die Zulassung des Zeugen Wambach in einem Desaster enden

Muss EY auch Anleger entschädigen, die schon weit vor der Pleite Wirecard-Aktien gekauft haben? Anlegeranwalt Braun sagt, die Bilanzen des Aschheimer Konzerns seien jahrelange umstritten gewesen. Wenn in so einer Lage eine Prüfgesellschaft wie EY die Bilanzen bestätige, dann könne das "eine positive Stimmung unter den Aktionären" fördern oder gar erzeugen. Das sei nicht lebensfremd, so Braun. Seiner Ansicht nach geht der der achte Zivilsenat des OLG München mit dem Hinweisbeschluss sehr weit.

Der OLG-Senat deutet sogar an, dass der Wirtschaftsprüfer Martin Wambach als Zeuge zuzulassen sein dürfte. Für EY könnte das in einem Desaster enden. Wambach hat zusammen mit Kollegen für den Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags die Arbeit von EY bei dem Aschheimer Finanzkonzern unter die Lupe genommen. Zwei Untersuchungsberichte hat Wambach dem Bundestag vorlegt, mit vielen kritischen Anmerkungen.

Wambach fand zahlreiche Ansatzpunkte dafür, dass EY bei Wirecard berufsrechtliche Regeln "nicht vollumfänglich umgesetzt" habe. Bei EY, so der Tenor, wurde womöglich geschlampt, und auch deshalb sei der mutmaßliche Betrug bei Wirecard nicht früher aufgeflogen. EY weist das zurück. Zudem hat EY eine Veröffentlichung der Wambach-Berichte durch den Bundestag bislang verhindert. Doch dann veröffentlichte das Handelsblatt die Wambach-Berichte. Und jetzt soll Wambach auch noch bei Gericht als Zeuge aussagen. Schlimmer könnte es für EY kaum kommen.

Wichtig ist aus Sicht des Oberlandesgerichts auch der Abschlussbericht des Wirecard-Untersuchungsausschusses im Bundestag. Der Bundestags-Report ist für EY verheerend ausgefallen. Niemand hätte "bessere Möglichkeiten gehabt, den Verdachtsmomenten auf Bilanzbetrug konsequent nachzugehen und diese frühzeitig festzustellen. Dies wurde unterlassen." Und noch etwas sagt das Oberlandesgericht: Es stellt einen Musterprozess beim Landgericht gegen EY in Aussicht. EY jedoch weist weiterhin alle Vorwürfe zurück. Auch nach dem OLG-Beschluss.

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