SZ.de: Herr Bamford, sie waren früher selbst NSA-Analyst, wurden anschließend zum Whistleblower. Wie Edward Snowden.
Bamford: Richtig. Ich habe auch auf Hawaii gearbeitet, wie Snowden auch.
Sie und Snowden haben viele Ähnlichkeiten. Warum ist Snowden nicht zu Ihnen gekommen?
Ich bin niemand, der für eine Tageszeitung arbeitet, ich habe keinen Blog, ich schreibe alle drei Jahre ein Buch. Wäre Snowden zu mir gekommen, hätte ich diese Informationen erst Jahre später veröffentlicht. Er wollte, dass es schnell geht.
Sie werden als Chronist der NSA bezeichnet. Sie haben drei Bücher über die Arbeit der Agenten geschrieben. Wie sehen Sie die Arbeit der NSA?
Was die NSA macht, ist falsch. Es ist kriminell. Man muss gleichzeitig aber auch sagen, dass die NSA der weltweit beste Geheimdienst ist, wenn es darum geht, Informationen zu sammeln. HUMINT ( Human Intelligence, also das Gewinnen von Informationen durch Aussagen von Menschen) bringt nichts, SIGINT ( Signals Intelligence, Informationen gewinnen über das Abhören von Signalen) hingegen ist sehr gut, um zum Beispiel herauszufinden, wo der Gegner die Raketen versteckt.
Warum ist es schlecht, sich auf Menschen zu verlassen?
Weil man sich dabei auf Menschen verlässt. Das hat uns in den Irak gebracht. Eine Journalistin der New York Times hat sich zum Beispiel auf die Informationen von Ahmad Tschalabi verlassen. ( Diese Informationen haben sich anschließend als falsch herausgestellt.) Ich bin Journalist und viele Leute erzählen mir Sachen. Sie haben eine Agenda. Es ist besser, sich auf Signals Intelligence zu verlassen.
Also ist es gut, was die NSA macht?
Ich bin nicht dagegen, dass Informationen gesammelt werden. Wenn die NSA nicht alle abhören und das Geld der Bürger dazu missbrauchen würde, ständig das Gesetz zu brechen, wäre es eine gute Behörde. Mein zweites Buch, das im Mai 2001 erschienen ist, ist ein positives Buch. Zwischen 1978 und 2001 haben die NSA-Agenten das Richtige gemacht.
Das hat sich mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 verändert. Seither hört die NSA sämtliche Kommunikation von so vielen Menschen wie möglich ab. Egal, ob sie per Telefon oder über das Internet Kontakt aufnehmen.
In diesem Sinne würde ich auch sagen: Schafft die NSA ab! Sie kann sich nicht an Recht und Gesetz halten. Und wenn sie das nicht kann, muss sie weg.
Was heißt das für die Chefs der NSA?
Meine ultimative Lösung wäre: Keith Alexander und Michael Hayden müssen ins Gefängnis. Auch die Leute, die beim Abhören beteiligt waren. Sie werden sagen, dass sie gezwungen wurden, das zu tun. Aber das spielt keine Rolle. Wenn jetzt jemand zu Ihnen sagt: "Hier, da hast du ein Gewehr. Erschieß' jemanden!", würdest du das auch nicht machen. Ein Befehl ist keine Ausrede. Man muss das Gesetz kennen und achten. Also müssen diese Menschen in den Knast. Erst so kommen wir wieder auf ebenen Kiel.
Glauben Sie nicht, dass wir die NSA brauchen könnten?
Nicht für den Kampf gegen Terrorismus. Da sind sie nutzlos. Die vergangenen Jahre haben das immer wieder gezeigt. Bin Laden hat unverschlüsselt kommuniziert ( Im zweiten NSA-Buch von Bamford heißt es dazu: "Bin Laden weiß, dass die USA ihn abhören können. Anscheinend ist es ihm egal."). Die Angriffe auf das World Trade Center, der Angriff auf das Kriegsschiff USS Cole, der 11. September, der Unterwäsche-Bomber, die Anschläge in Boston: Es gibt dutzende Beispiele, in denen die Terroristen nicht von der NSA entdeckt wurden. Ich habe kein einziges Beispiel dafür, dass die NSA jemals Informationen geliefert hat, mit denen ein Terrorangriff verhindert werden konnte.
Was ist mit Khaled al-Midhar, der in der Maschine saß, die ins Pentagon gestürzt ist?
Der hat einmal in der Woche seine Frau angerufen. Sie war schwanger. Midhar war in San Diego, seine Frau im Jemen. Die NSA hat all das abgehört, aber der Anschlag wurde trotzdem nicht verhindert. Sie haben diese Informationen auch nicht an die CIA weitergegeben. Die hat dreimal bei der NSA nach Informationen gefragt, aber hat sie nicht bekommen.
Wozu bräuchte man die NSA dann überhaupt?
Um Länder auszuspionieren.
Sie haben den Irak-Krieg angesprochen und die Rolle, die die Medien dabei gespielt haben. Glauben Sie, dass Journalisten ihren Quellen aus Regierungskreisen nun mehr Misstrauen entgegenbringen?
Journalisten verlassen sich zu sehr auf diese Informationen, ja. Da braucht es mehr Skepsis. Nach dem 11. September gab es Journalisten, die sich amerikanische Flaggen an ihr Revers geheftet haben, in Talkshows wurden Regierungsbeamte nicht gegrillt, wie das erforderlich gewesen wäre. Aber es gibt auch Journalisten wie James Risen von der New York Times ( dessen Geschichte über die NSA-Abhörmethoden dreizehn Monate lang verzögert wurde). Von denen kommen keine "puff pieces" ( auf Deutsch am besten zu übersetzen mit: "Keine Jubelartikel").
Sie selbst haben 2012 einen Artikel über die NSA geschrieben.
Ich habe mich dabei auf Informationen bezogen, die mir vor allem William Binney gegeben hat...
Der ebenfalls bei der NSA arbeitete und 2001 die Behörde aus Protest verließ.
Alles, was Binney mir gesagt hat, ist das, was wir nun in den Snowden-Dokumenten sehen können.
Warum hat diese Diskussion dann erst mit Snowden richtig begonnen?
Weil der damalige NSA-Chef Keith Alexander nach meiner Geschichte gesagt hat, dass sie nicht stimmt. Die Journalisten haben ihm geglaubt. Das Wort von Binney stand gegen das Wort eines Vier-Sterne-Generals.
Also reicht Whistleblowing alleine nicht mehr aus?
Deswegen hat Snowden ja auch die Dokumente mitgenommen. Auf so etwas habe ich gehofft. Snowden ist der perfekte Whistleblower. Smart, engagiert, patriotisch.
Sie haben viele Quellen, die aus dem Umfeld der NSA kommen. Hat sich seit den Leaks etwas verändert?
Ja, für einige meiner Informanten wurden die Situation zu heikel. Die wollen nicht mehr mit mir reden.
Das hört sich nicht gut an.
Keine Sorge. Nach den Enthüllungen haben sich viele andere bei mir gemeldet.