Euro-Krise:Europas verlorene Illusionen

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Regierungen und Finanzwelt scheinen sich mit dem "Grexit" abzufinden, und vielleicht bleibt das große Chaos wirklich aus. Im Bild ein Passant vor einem vielleicht prophetischen Wandbild in Thessaloniki. (Foto: Bloomberg)

Der Euro bringt die Völker des europäischen Kontinents gegeneinander auf, statt sie zu einen. Daher ist es Zeit, die gemeinsame Währung infrage zu stellen.

Kommentar von Thomas Kirchner

Finanzminister Schäuble ist kein Schwätzer. Deshalb haben die Börsen auch ernst genommen, was er gerade in New York gesagt hat: Mit einer baldigen Lösung im griechischen Schuldenstreit sei nicht zu rechnen. Eine solche Lösung braucht es aber, um das Land vor dem Zahlungsausfall zu bewahren. Das kann nur heißen: Die Entscheidung ist mehr oder weniger gefallen, Griechenland wird den Euro wohl verlassen müssen.

Es dürfte also so weit sein. Regierungen und Finanzwelt scheinen sich mit dem " Grexit" abzufinden, und vielleicht bleibt das große Chaos wirklich aus. Aber würde wenigstens alles gut, wenn die Euro-Zone dieses Problem vom Hals hätte? Daran kann, ja muss man zweifeln, und deshalb ist es Zeit, Grundsätzliches anzusprechen. Die Währungsunion hat ein Problem, das weit über Griechenland hinausgeht: Sie funktioniert nicht, zumindest nicht in ihrer jetzigen Zusammensetzung. Das ist keine neue Erkenntnis. Schon vor und nach der Einführung des Euro wiesen Wissenschaftler und Politiker, keineswegs nur Europa-Gegner, auf fundamentale Konstruktionsfehler hin. Man wagte es trotzdem. Die weltweite Finanzkrise hat die Mängel dann brutal offenbart.

Der Euro entzweit die Menschen und stellt sich so infrage

Am Anfang des Euro stand maßgeblich der Wunsch Frankreichs, die währungspolitische Dominanz der deutschen Bundesbank zu brechen. Die Deutschen gaben ihre harte D-Mark her, weil sie die europäische Einigung befördern wollten, die nach den Weltkriegen Staatsräson geworden war. Der Euro wurde auf Hoffnung gebaut, nicht auf Vernunft. Es war klar, dass man Währungen nicht in einen Topf werfen kann, ohne entsprechende politische Strukturen zu schaffen, also mächtige Institutionen, die in die nationale Haushaltspolitik eingreifen können. Aber die Euro-Architekten glaubten, das mit der Politik werde sich schon weisen, wenn erst die Volkswirtschaften zusammenwüchsen. Disziplin wollten sie durch strenge Regeln sichern.

In Wahrheit wuchsen die Volkswirtschaften auseinander. Die einen hatten halbwegs gesunde Staatsfinanzen, eine starke Währung und niedrige Inflation, die anderen Defizite, eine schwache Währung und relativ hohe Inflationsraten. In der Folge wirkte die am Durchschnitt der Euro-Zone orientierte Geldpolitik der Europäischen Zentralbank spaltend statt vereinend. Für Deutschland war der Einheitszinssatz zunächst zu hoch, es geriet tiefer in den Abschwung. Für Griechenland, Portugal, Spanien oder Irland hingegen war die Geldpolitik bis 2008 de facto zu lasch. Dort lief die von billigen Krediten aus dem Norden getriebene Konjunktur heiß; Importnachfrage, Löhne und private Verschuldung stiegen sprunghaft.

Braucht Europa eine eigene Wirtschaftsregierung?

In dieser Fehlsteuerung, von der Deutschland mächtig profitiert hat, liegt der eigentliche Grund der Euro-Krise. An den Ungleichgewichten könnte auf Dauer allenfalls eine Art europäischer Wirtschaftsregierung etwas ändern, die mit enormem Budget weit höhere Transferleistungen verfügen würde, als sie Deutschland seit der Einheit erlebte. Dieser Weg ist politisch versperrt. Noch viel mehr Macht für Brüssel? Das würden die Bürger Europas nicht akzeptieren.

Es bleiben nur untaugliche Mittel. Weder hilft das sture Pochen auf die Regeln, verbunden mit Spar-Exerzitien, die die Wut im Süden befeuern. Noch wäre es sinnvoll, Griechenland einfach solidarisch "mehr Geld" zu geben. Ändern muss sich etwas in Athen. Aber besser nicht in Form eines Diktats der Euro-Gruppe. Es ist ja gerade die Fremdbestimmung, die die Griechen als demütigend empfinden.

Die Auflösung der Währungsunion sollte in Betracht gezogen werden

Die Währungsunion entzweit die Europäer. Beleidigungen fliegen hin und her, das politische Klima hat sich abgekühlt. Und Deutschland zieht, als oberster Euro-Zuchtmeister, Unmut auf sich wie kein anderer, obwohl es in bester Absicht handelt. So sollte langsam jene Option in den Blick geraten, die bisher aus verständlichen Gründen ignoriert wurde: eine Auflösung der Währungsunion oder zumindest eine Verkleinerung auf eine Gruppe homogenerer Staaten. Aus Sorge um Europa. Der Gedanke löst Angst aus. Wie und ob das praktisch zu bewerkstelligen wäre, weiß noch keiner. Die finanziellen und politischen Kosten sind unüberschaubar. Aber im Vergleich zu dem Chaos und den gegenseitigen Schuldzuweisungen, die nach einem krisenhaften Ende der Währungsunion zu erwarten wären, sind sie vermutlich weit geringer.

Es muss auch aus der politischen Mitte, aus einer europafreundlichen Perspektive heraus möglich sein, diesen Gedanken zu denken. Nicht zuletzt, um jenen das Wasser abzugraben, die, wie die extreme Linke, Europa für eine neoliberale Verschwörung halten, oder, wie AfD und Konsorten, einer Rückkehr zum schlechten alten Nationalismus das Wort reden.

© SZ vom 17.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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