Euro-Raum:Der Schlüssel dürfte Eigenkapital heißen

Der zweite Meilenstein auf dem Weg zur Stärkung des Euro-Raums ist die Errichtung einer ambitionierten "Finanzierungs- und Investitionsunion". Eine der zentralen Herausforderungen, denen sich der Euro-Raum gegenübersieht, besteht nämlich in der Diskrepanz zwischen hohen Spareinlagen und einem Mangel an geeigneter Investitionsfinanzierung. Wir müssen diese in Europa besser zusammen bringen, und dabei dürfte Eigenkapital der vielversprechendste Weg sein.

So ist der Anteil an Eigenkapital der Unternehmen in Europa nur halb so hoch ist wie der in den Vereinigten Staaten - und der Anteil ihrer Fremdfinanzierung entsprechend höher. Das hat Nachteile, denn die Finanzierung über Eigenkapital bietet bessere Möglichkeiten der Risiko- und Chancenteilung sowie der Innovationsförderung. So werden wirtschaftliche Schocks in einzelnen Bundesstaaten der Vereinigten Staaten beispielsweise zu rund 40 % durch den integrierten Markt für Eigenkapital abgefangen, da die Gewinne und Verluste der Unternehmen auf die Eigentümer im gesamten Land verteilt werden.

Im Euro-Raum gibt es diese Form der Risikoteilung praktisch nicht. Eine Annäherung an das Niveau der USA würde die Währungsunion wesentlich stabilisieren. Einige der Themen werden auch von der Europäischen Kommission im Rahmen ihres Projekts zur Schaffung einer Kapitalmarktunion angegangen. Für sich genommen sind Initiativen wie die Kapitalmarktunion, der Juncker-Investitionsplan und die Vollendung der Bankenunion - sobald die Voraussetzungen dafür erfüllt sind - vielleicht nicht besonders aufsehenerregend. Doch in einer auf einander abgestimmten Form und unter der neuen Bezeichnung "Finanzierungs- und Investitionsunion" werden sie im Verbund dafür sorgen, dass in Europa Spareinlagen besser in produktive Investitionen gelenkt werden.

Eine stärkere finanzpolitische Integration ist erforderlich

Was schließlich die Finanz- und Wirtschaftspolitik anbelangt, so muss der Ordnungsrahmen des Euro-Raums gestärkt werden. Die derzeitige Asymmetrie zwischen nationaler Souveränität und gemeinschaftlicher Solidarität stellt eine Gefahr für die Stabilität unserer Währungsunion dar. Bedauerlicherweise konnte der als Sicherungsmechanismus geschaffene Koordinierungsrahmen nicht verhindern, dass sich die öffentlichen Finanzen verschlechtert und wirtschaftliche Ungleichgewichte aufgebaut haben, was nicht zuletzt die Griechenlandkrise gezeigt hat. Wir stehen nun ganz eindeutig an einem Scheideweg und müssen uns der Frage stellen, wie wir uns aus dieser misslichen Lage befreien wollen.

Eine stärkere Integration scheint der naheliegend Weg zu sein, um das Vertrauen in den Euro-Raum wiederherzustellen, denn dies würde die Entwicklung gemeinsamer Strategien für die Staatsfinanzen und für Reformen begünstigen und damit das Wachstum fördern. Zu diesem Zweck müssten die Euro-Länder natürlich in erheblichem Maße Souveränität und Befugnisse auf die europäische Ebene übertragen, was wiederum eine größere demokratische Rechenschaftspflicht erfordern würde. In einem solchen neuen Rahmen würde der Euro-Raum auf einem stärkeren institutionellen Fundament ruhen, dem die zentrale Idee der währungspolitischen Integration in Europa zugrunde läge - die Idee, dass die Währungsunion Stabilität und Wachstum gewährleistet.

Den neuen Rahmen zu gestalten wäre Aufgabe der Politik, doch könnte sie sich dabei beispielsweise an folgenden Eckpunkten orientieren: Aufbau einer effizienten und weniger fragmentierten europäischen Verwaltung, Schaffung eines gemeinsames Finanzministeriums für den Euro-Raum in Verbindung mit einem unabhängigen Fiskalrat sowie der Bildung eines stärkeren politischen Gremiums, das politische Entscheidungen trifft und der parlamentarischen Kontrolle unterliegt. Diese neuen Institutionen könnten dafür sorgen, das Gleichgewicht zwischen Haftung und Kontrolle wiederherzustellen.

Dezentraler Ansatz als letzter gangbarer Weg

Sollten die Regierungen und Parlamente im Euro-Raum jedoch vor der politischen Dimension einer umfassenden Union zurückschrecken, dann bliebe nur noch ein gangbarer Weg übrig - ein dezentraler Ansatz auf der Grundlage von Eigenverantwortung mit strengeren Regeln. Dabei müssten die Fiskalregeln, die insbesondere durch den Fiskalpakt und das Europäische Semester bereits gestärkt wurden, gehärtet werden. Bei einer solchen Ausweitung der Eigenverantwortung müsste auch sichergestellt werden, dass Risiken, und zwar auch die mit Forderungen an Staaten verbundenen Risiken, von allen Beteiligten angemessen berücksichtigt werden - nicht zuletzt, um die Anfälligkeit der Banken zu verringern, sollten einzelne Länder in eine finanzielle Schieflage geraten.

Ferner wäre zu prüfen, wie private Anleger stärker in die ESM-Rettungsprogramme eingebunden werden können und wie eine Restrukturierung von Staatsschulden gestaltet werden kann, ohne die Finanzstabilität im gesamten Euro-Raum zu gefährden. Würde man diesen Weg beschreiten, so könnten die Euro-Länder ihre nationale Souveränität behalten - bei entsprechend geringerer Solidarität. Dies wäre die andere Möglichkeit, Haftung und Kontrolle wieder in Einklang zu bringen.

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