Euro-Politik:Was die Bundeskanzlerin in der Krise gelernt hat

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Aus der Merkel-Linie "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa" ist das weichere "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg" geworden. (Foto: Bloomberg)

Mit Angela Merkel an der Spitze durchlebt die Euro-Zone eine bemerkenswerte Entwicklung. Die Kanzlerin weiß nun, dass sie nicht nur auf die Märkte schauen muss - sondern auch auf die Menschen.

Ein Kommentar von Cerstin Gammelin

Die Bundesregierung sieht sich seit Beginn der Euro-Krise dem Vorwurf ausgesetzt, reine Austeritätspolitik zu betreiben und Menschen in der südlichen Euro-Zone in die Armut zu treiben. Im Epizentrum, in Griechenland, machen die Bürger zuweilen die Kanzlerin Angela Merkel persönlich haftbar. Merkel sei die Regierungschefin des wirtschaftlich stärksten Landes und die wahre Dirigentin der Euro-Krisenpolitik - mithin für alles verantwortlich.

Wahr an diesem Befund ist, dass die Rettungspolitik der Euro-Länder Merkels Handschrift trägt. Merkel steht mehr als andere Regierungschefs in der Verantwortung, die Gemeinschaft beisammenzuhalten. Unübersehbar ist, dass die Kanzlerin einen langen Weg zurückgelegt hat in der Rettungspolitik. Die Lernkurve manifestiert sich deutlich. Aus der harten Linie: "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa" ist das weichere: "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg" geworden.

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Mit Merkel an der Spitze hat die Euro-Zone eine bemerkenswerte Entwicklung erlebt. In der Gemeinschaft ist kaum mehr etwas so, wie es zu Beginn der Krise war. Wo einst das Gebot hochgehalten wurde, dass Staaten einander finanziell nicht stützen dürfen, steht jetzt ein gemeinsamer Finanztopf. Früher gab es Strafzinsen, jetzt gibt es Zinserlasse. Der jüngste Sondergipfel zeigt, dass Krisenländern nicht mehr der automatische Entzug des Stimmrechts droht wie noch 2010, sondern dass alle miteinander reden.

Merkel weiß jetzt, dass sie nicht nur auf die Märkte blicken darf

Merkel hat den anfänglichen Ansatz, die Krise nur unter währungs- und finanzpolitischen Gesichtspunkten zu betrachten, vorsichtig revidiert und ihre Aufmerksamkeit auch auf die Bürger gelenkt. Eine undiplomatische Gesprächsverweigerung wie im Dezember 2009, als der damalige sozialdemokratische Premierminister Griechenlands bei einem Gipfeltreffen erstmals um Hilfe bat, gehört heute nicht mehr zu ihrem Verhaltensrepertoire. Auch die von ihr im Jahr 2010 vehement betriebene Ausgrenzung chronischer Haushaltssünder ist vorüber. Ihre Forderung, Verstöße gegen die Haushaltsregeln in schweren Fällen mit Verstößen gegen die Menschenrechte zu vergleichen und mit dem automatischen Entzug des Stimmrechts zu ahnden, taucht nicht mehr in den Gipfelprotokollen auf.

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Die Liste der Maßnahmen, die Merkel vortrug, durchsetzte und der Realität anpassen musste, ist stattlich. Ende 2009 pochte sie auf das Bail-out-Verbot in den Europäischen Verträgen und verweigerte Finanzhilfen. Mitte 2010 stimmte sie ihnen dann zu, setzte aber zugleich durch, dass die finanziell unterstützten Regierungen zusätzlich zu den marktüblichen Zinsen noch Strafzinsen zu zahlen hatten. Denn es sollte nicht der Eindruck entstehen, dass Deutschland das Geld seiner Steuerzahler herschenke; und andere Länder sollten sich nicht eingeladen fühlen zu einer Party, die Berlin niemals hatte ausrichten wollen.

Bunte Welt

Merkel hat gelernt, dass die Euro-Zone in der Realität anders funktioniert als auf dem Papier des Vertrages von Maastricht. 19 Euro-Länder sind kein homogener Block, sondern eine lebhafte, bunte Welt. In Deutschland freuen sich Bürger über die Schwarze Null, in Italien denkt der Bürger nicht einmal daran. In Finnland sitzt eine rechte Partei in der Regierung, Griechenland wird im Wesentlichen links regiert. In Deutschland gibt es eine große Koalition. In Frankreich wird eine Partei mächtig, die den Euro abschaffen will. In Spanien gewinnen die Linken, in Belgien die Rechten.

Die Lehre daraus ist, dass eine Gemeinschaft, die auf Gedeih und Verderb durch eine Währung verbunden ist, nicht nur die Märkte, sondern auch die Bürger im Blick haben muss, wenn sie bestehen will. Die Rolle der Zuchtmeisterin hat Merkel aufgegeben. Sie weiß, dass es in Krisenzeiten vernünftiger ist, Regierungen zu erlauben, Haushaltsziele zu verletzen, wenn die Lebensbedingungen der Bürger stabil und sicher bleiben.

Griechenland als Meisterstück der Euro-Politik

Das Meisterstück ihrer Euro-Politik ist Griechenland. Merkel hat dem Land über fünf Jahre einen Großteil ihrer Energie gewidmet. Im Umgang mit den wechselnden Regierungen in Athen spiegelt sich die Kehrtwende der Rettungspolitik wider. Erst Gesprächsverweigerung, dann Spardiktat, Kredite mit Strafzinsen, dann ein weiteres Einlenken und Schuldenerleichterungen.

Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass Premier Alexis Tsipras den Merkel'schen Lernprozess der vergangenen fünf Jahre in fünf Monaten durchlaufen muss. Er ist mit Forderungen an die Euro-Zone herangetreten, die sich nie durchsetzen lassen. Begreift er das rechtzeitig, wird Merkel bereit sein, ihm ein Stück weit entgegenzukommen - aus ihrer Sicht wäre es ein konsequenter Schritt.

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© SZ vom 24.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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