Zwischen der Bundesregierung und der Europäischen Kommission bahnt sich in der Energiepolitik eine harte Auseinandersetzung an. Denn ungeachtet des beschleunigten deutschen Atomausstiegs nach der Katastrophe von Fukushima will der deutsche EU-Energiekommissar Günther Oettinger an der Kernkraft festhalten und macht sich sogar für den Neubau von Atomkraftwerken stark. Im Entwurf für den "Energiefahrplan 2050" der EU, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, bezeichnet die Kommission die Atomkraft als "wichtigen Faktor". Unterhändlern zufolge sehen die Details der Szenarien den Neubau von 40 Kernkraftwerken allein bis 2030 vor. Das Papier soll in der kommenden Woche in Brüssel vorgestellt werden.
Diese sogenannte Road-Map wird der Kommission zufolge ein europäisches Gerüst für die nationale Energiepolitik der nächsten Jahrzehnte liefern. Doch Brüssel und Berlin haben offenbar grundlegend unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie sich die Energielandschaft verändern soll. Während die Bundesregierung den beschleunigten Atomausstieg Mitte des Jahres als Meilenstein für den grünen Umbau feierte, will die EU weiter in großem Stil auf die Kernkraft setzen. Oettingers Papier ignoriere die Energiewende und legitimiere die Atomkraft neu, heißt es aus Berlin.
Die Atomenergie stehe heute für den größten Anteil CO2-freier Energie, heißt es etwa in der Vorlage aus Brüssel, die Oettinger nach Angaben aus EU-Kreisen bereits seinen Kommissionskollegen präsentiert hat. Und sie bleibe ein wichtiger Lieferant klimafreundlichen Stroms zu vergleichsweise niedrigen Kosten. Oettinger macht damit klar, dass Brüssel auch nach Fukushima langfristig eine Zukunft für die Kernkraft in der Europäischen Union sieht.
Zweifel vieler Europäer an der Atomkraft nach der Katastrophe in Japan erwähnt die Road-Map zwar, hält sie aber dank neuer Technologien für überwindbar. Große Teile der europäischen Öffentlichkeit hielten die Risiken der Nukleartechnik für nicht akzeptabel und die Probleme um die Endlagerung für ungelöst, schreibt Oettingers Behörde. "Eine neue Generation der Atomtechnik könnte helfen, die Abfall- und Sicherheitsbedenken zu adressieren." Schließlich könne Atomstrom zu "niedrigeren Systemkosten und Strompreisen beitragen", heißt es weiter. Im Rahmen einer groß angelegten "Low-Carbon-Option" werde die Nuklearenergie daher im europäischen Stromerzeugungsmix erhalten bleiben.
Subventionen für Neuinvestitionen in Atomkraftwerke
Auch eine finanzielle Förderung der Atomenergie in Mitgliedsstaaten ähnlich dem Erneuerbare-Energien-Gesetz für grünen Strom in Deutschland hält die Kommission Unterhändlern zufolge für möglich. Sie könnte demnach Subventionen für Neuinvestitionen in Atomkraftwerke, zum Beispiel in Großbritannien, erlauben. Natürlich gebe es für die Wahl des Energiemixes nationale Grenzen, heißt es in dem Papier weiter. Die EU müsse aber darauf achten, dass nationale Entscheidungen auch die Ziele der EU unterstützten, und negative Auswirkungen auf andere Länder verhindern. Dabei wünscht sich die Brüssel offenbar deutlich mehr Einfluss auf den Umbau der Energiewirtschaft in Europa: Mehr denn je sei eine Koordination nötig, urteilt der Fahrplan 2050. Denn Zusammenarbeit bedeute mehr Sicherheit und sinkende Kosten.
Dabei zieht Brüssel im Kampf gegen die Erderwärmung und trotz erwarteter Rückschläge beim laufenden Gipfel im südafrikanischen Durban in der Klimapolitik die Zügel an. Strom werde seine Bedeutung am Energieverbrauch in Europa bis 2050 verdoppeln, sagt die Kommission voraus. Um die Klimaziele Europas dennoch nicht zu gefährden, müsse sich der Kraftwerkspark in der EU einem radikalen Wandel unterziehen. Der CO2-Ausstoß müsse um mindestens 57 Prozent bis 2030 und um mindestens 96 Prozent bis 2050 sinken. Langfristig nutze ein solcher grüner Umbau aber auch den Verbrauchern. Ab 2030 könnten die Preise spürbar sinken.