"Wir leben jetzt schon auf einem gebrauchten, auf einem Secondhand-Planeten", formuliert der Geograf eine der Synthesen aus mehr als einem Jahrzehnt Forschung. Das gewöhnliche Bild einer Erde als natürliches Ökosystem, das der Mensch durcheinanderbringt, aber nicht beherrscht, hält er ebenso für veraltet wie die fatalistische Sicht, der Mensch werde unweigerlich - und schon bald - an die natürlichen Grenzen der Erde stoßen.
Illustration: Stefan Dimitrov / Süddeutsche Zeitung
Die Erde sei schon längst ein Humansystem mit eingebetteten Ökosystemen. "Die Kapazitäten der Erde für uns Menschen hängen eher vom Potenzial unserer sozialen Systeme und unserer Technologien ab als von ökologischen Grenzen", schreibt Ellis.
Die große Beschleunigung
Die Kapazitäten der Erde, das folgt daraus, hängen von der Art ab, wie Menschen wirtschaften. Das lässt sich am besten verstehen, wenn man zurückgeht zu den Anfängen der modernen Wirtschaftstheorie. Die Optimierung von Prozessen, von der Arbeitsteilung über den globalen Handel bis zur immer kreativeren und schnelleren Ausbeutung natürlicher Ressourcen, hat das neue Erdzeitalter erst geschaffen.
Es lässt sich nicht zuletzt als Folge der Ökonomisierung des Menschseins verstehen, die ausgehend von den Veröffentlichungen François Quesnays ("Le tableau économique", 1758) und Adam Smiths ("An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations", 1776) ablief, begleitet von immer stärker spezialisierten Betrachtungen der Zusammenhänge zwischen Nachfrage und Angebot, zwischen Knappheit und Preis sowie Wachstum, technischem Fortschritt und Produktivität.
Die Förderung und Verarbeitung fossiler Brennstoffe, insbesondere die flächendeckende Nutzung des Erdöls seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, haben den Übergang in die neue Epoche befeuert und das ermöglicht, was heute als "Great Acceleration" bekannt ist, die große Beschleunigung.
Sie zeigt sich an Diagrammkurven mit der Form eines Hockeyschlägers: Zuerst steigen sie über einen langen Zeitraum eher leicht an und nehmen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen extrem steilen Verlauf.
In der Folge der industriellen Revolution stieg zunächst der Treibhausgasausstoß, die Bevölkerung wuchs immer schneller, der tropische Regenwald begann zu schrumpfen, der Anteil bewirtschafteter Landfläche überstieg nach 1900 erstmals die 25-Prozent-Marke.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vollziehen sich in der Erdgeschichte ungekannte Entwicklungen: Die Stadtbevölkerung steigt exponentiell auf mehr als drei Milliarden Menschen, der Düngemittelverbrauch vervielfacht sich, die Wirtschaftsleistung der Welt versiebenfacht sich in sechs Jahrzehnten fast.
All das ist verbunden mit unumkehrbaren Eingriffen in den Stoffwechsel der Erde. Der Mensch bestimmt längst ganz wesentlich einige wichtige Gleichgewichte und Ungleichgewichte des Planeten. Viele sagen: Er beraubt sich seiner Lebensgrundlage.