Appetitlich sieht die hellgrüne Flüssigkeit nicht aus. Eher wie etwas, das Z-Promis im Dschungelcamp serviert bekommen. Aber für Doris Hafenbradl ist es ein gesundes Grün, das sie schon von Weitem erkennen lässt, dem Stamm geht's gut. "Grau wäre schlecht", sagt die Mikrobiologin, dann stimmt etwas nicht.
Der Stamm, also die grüne Suppe, besteht aus Archaeen - einzelligen Organismen, die mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen sind, ähnlich wie Bakterien. Sie blubbern in einem vasenähnlichen Gefäß vor sich hin, von oben hält ein Motor die Masse in ständiger Bewegung. Was hier, in diesem nur zehn Liter fassenden Bioreaktor geschieht, ist ein Prozess, der die Energiewirtschaft verändern kann: Er wandelt Strom in Gas um und macht ihn so speicher- und transportierbar.
Das bekommt umso größeres Gewicht, je mehr Energie aus regenerativen Quellen stammt. 654 Milliarden Kilowattstunden Strom wurden im Jahr 2017 in Deutschland produziert, ein Drittel aus erneuerbaren Energien: Wind- und Wasserkraft, Biomasse, Sonnenenergie aus Photovoltaik. Im Jahr 2050 soll dieser Anteil im Verbrauch bei 60 Prozent liegen, das ist zumindest das deutsche Klimaziel.
Doch Wind, Wasser und Sonne lassen sich nicht nach Bedarf steuern. Wird mehr Energie ins Netz eingespeist als abgerufen, müsste der Strom gespeichert werden. Ist die Wetterlage zu schwach und wird zu wenig Strom produziert, müssten Netzbetreiber die Speicher anzapfen. So jedenfalls die Theorie. Tatsächlich läuft es so: Wer erneuerbare Energien produziert, darf sie ins Stromnetz einspeisen, unabhängig von der Nachfrage. Die Netzbetreiber sind verpflichtet, den Strom abzunehmen. Ist zu viel Strom da, können Kern- und Kohlekraftwerke nicht so schnell heruntergeregelt werden - eine Überproduktion. Die muss aber verbraucht werden. Also wird der Überschuss ins Ausland verkauft, mit zum Teil erheblichen Verlusten. Andersherum kaufen deutsche Netzbetreiber in Europa Strom ein, wenn die hiesige Produktion nicht ausreicht, um den Bedarf zu decken.
Diese Über- und Unterkapazitäten können mit Power-to-X-Technologien (siehe Kasten) aufgefangen werden. Dabei wird Power, Strom also, in viele Nutzungsmöglichkeiten umgewandelt. Power-to-Gas heißt: Wasser wird per Elektrolyse in Wasser- und Sauerstoff gespalten. Aus dem Wasserstoff, kombiniert mit Kohlendioxid (CO₂), entsteht ein synthetisches Gas: Methan. Damit können Verbraucher wie mit Erdgas auch Häuser beheizen, Autos antreiben und Stromlücken füllen. Stammt der Strom aus erneuerbaren Energien, ist die Technologie klimaneutral.
Electrochaea (sprich: Elektro-kea) ist ein Start-up der etwas anderen Art. In dem unscheinbaren Bürogebäude im Gewerbegebiet von Planegg im Landkreis München entspricht nichts dem Klischee hipper Gründer in Markenturnschuhen. Wer hier nicht ohnehin am PC arbeitet, steht mit Schutzbrille und weißem Kittel im Labor und kontrolliert Messgeräte oder Zuleitungen. Die meisten im Team sind Biologen, Ingenieure, Chemiker. 17 Mitarbeiter arbeiten in Planegg, weitere drei an einem Forschungsreaktor in Dänemark, einer Unternehmenstochter.
Aber was genau passiert nun in der grünen Suppe? "Archaeen sind Biokatalysatoren, spezialisiert auf Methanbildung - sobald man ihnen Wasserstoff und CO₂ zuführt, machen sie den ganzen Tag nichts anderes", sagt Doris Hafenbradl. So entsteht Bio-Methan. Der Vorteil der Archaeen gegenüber chemischen Katalysatoren: Sie sind widerstandsfähig und daran gewöhnt, dass sie mal kein Futter bekommen. Arbeitet der Stamm durchgehend, ist er über Jahre überlebensfähig. Gerät Sauerstoff an die Organismen, sterben sie ab. Dadurch sind sie ungefährlich.
"Wir bauen keine Speicher, sondern bieten eine Technologie an, die die Speicherung ermöglicht", sagt Markus Forstmeier, der bei Electrochaea für die Geschäftsentwicklung zuständig ist. Und Speichermöglichkeiten gibt es genug: Rund 50 Untertage-Gasspeicher gibt es in der Republik, darin können 24 Milliarden Normkubikmeter Gas gespeichert werden. Aus Sicht von Forstmeier ausreichend für den deutschen Bedarf. Auch international würde der Austausch über das Gasnetz funktionieren. Das sieht auch Michael Specht so, Power-to-Gas-Experte am Zentrum für Sonnenenergie und Wasserstoff-Forschung ZSW. Sein Institut forscht ebenfalls an der Umwandlungstechnologie und hat den Autohersteller Audi beim Aufbau einer industriellen Power-to-Gas-Anlage unterstützt. "Die Technologie generell ist so weit, dass eine Markteinführung sofort möglich wäre." Spechts Einschätzung nach müsste die Politik jetzt in diese Form der Speicherung investieren, um für 2030 gerüstet zu sein.
Bis dahin nämlich wollen die EU-Länder den Ausstoß der schädlichen Treibhausgase, darunter CO₂, um 40 Prozent senken. Das kann Power-to-Gas unterstützen. Bei vielen Unternehmen, etwa in der Stahl- und Zementindustrie, entsteht CO₂ im Prozess, nicht im Verbrauch. Mit einer eigenen Power-to-Gas-Anlage auf ihrem Gelände würden diese Betriebe das schädliche CO₂ nicht in die Umwelt blasen, sondern könnten es für die Umwandlung in Methan nutzen und das Gas ins Netz einspeisen. "Wir brauchen Strom und CO₂ am Ort der Erzeugung", sagt Forstmeier. "In Deutschland gibt es praktisch überall ausreichend Quellen. Wir könnten also in jeder Region unsere Power-to-Gas Bioreaktoren aufbauen." Auch in Kommunen, die eigene Klimaziele umsetzen wollen.
So wie Pfaffenhofen. Die oberbayerische Stadt erzeugt bereits 70 Prozent ihres Stroms aus erneuerbaren Energien, will ihren CO₂-Ausstoß senken. Nun hat die Stadt an der Ilm als erste in Deutschland eine eigene Power-to-Gas-Anlage von Electrochaea. Der Strom kommt aus den Wind- und Solarparks der Bürgerenergiegenossenschaft, das CO₂ als Abfallprodukt aus der örtlichen Kläranlage. Mit dem Bio-Methan kann Pfaffenhofen alle seine Stadtbusse oder 250 Gasautos antreiben.
Damit sich die Technologie, ob mit Archaeen oder anderen Katalysatoren, am Markt durchsetzen kann, muss sich allerdings die Politik bewegen. Markus Forstmeier fordert neue Regeln bei der Regulierung, sie sollten die CO₂-Vermeidung fördern und die Energiespeicherung nicht blockieren. Das mehrfach preisgekrönte Start-up wendet sich direkt an Unternehmen und Kommunen, "auf die öffentliche Hand warten hätte nichts gebracht", sagt der Geschäftsleiter. Dazu kommt, dass jemand, der eine Power-to-Gas-Anlage betreibt, als Verbraucher im Sinne des Erneuerbare-Energien-Gesetzes gilt und damit die EEG-Umlage zahlen muss - obwohl er Strom umwandelt, nicht verbraucht. Damit kann eine eigene Anlage schnell unwirtschaftlich sein. Wenn sich diese Rahmenbedingungen nicht ändern, könnte deshalb all das Wissen, das es rund um Power-to-Gas in Deutschland längst gibt, ins Ausland abfließen.