Ernährung auf der Expo Mailand:Was wir in Zukunft essen

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So sieht er aus, der Lebensmittelhändler der Zukunft. (Foto: oh)
  • Wie lässt sich die Ernährung der Menschheit angesichts von Bevölkerungswachstum, Klimawandel und Umweltzerstörung sicherstellen?
  • Die Expo in Mailand gibt einen Vorgeschmack auf unser Essen von morgen.

Von Ulrike Sauer, Mailand

Los ging es mit grandiosem Theater. Zwölf Szenen, in den Höhlen hölzerner Hügelbauten von Italiens Design-Gurus gestaltet, empfingen die Expo-Besucher. Der Pavillon Zero griff ein wesentliches Kapitel der Geschichte der Menschheit auf: ihr Verhältnis zur Nahrung. Die Evolution einer Beziehung, dargeboten als emotionale Zeitreise durch Mythen, Unterwerfung, Wissen, Techniken und ökonomisches Kalkül. Sie führt am Ende vor eine 15 Meter hohe Bildschirmwand mit den Preisen von den Nahrungsmittelbörsen der Welt, dem virtuellen Marktplatz unseres Essens und der Spekulation.

Der Eingangspavillon war Ausgangspunkt zur Reflexion über das Thema der Weltausstellung "Den Planeten ernähren - Energie fürs Leben". Ein halbes Jahr stellten sich 145 Teilnehmerländer in Mailand der brennenden Frage: Wie lässt sich die Ernährung der Menschheit angesichts von Bevölkerungswachstum, Klimawandel und Umweltzerstörung sicherstellen? Zum Abschluss der Expo ein Vorgeschmack auf unser Essen von morgen:

Was essen wir?

Die Welt steht vor einer kulinarischen Revolution. Heute drängt eine Generation von Hightech-Produkten ins Blickfeld. Es entsteht eine neue Industrie. Sie bringt das hühnerlose Ei, vegane Fleisch-Fakes oder Tierzell-Kulturen aus dem Labor auf den Markt. Insekten, Algen und Würmer starten als umweltschonende Proteinquelle ihre Karriere - als Viehfutter und als menschliche Nahrung. Zur Kostprobe servierte der Chefkoch Marco Ambrosino zur Expo karamellisierte Grillen auf einem Ricotta-Schoko-Keks.

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Dass das keine Science-Fiction mehr ist, bewiesen jetzt die EU-Parlamentarier. In Straßburg stimmten sie vor zwei Tagen einer Vereinfachung der Zulassung von Novel Food zu. Darunter fallen auch unter Einsatz von Nanotechnologien hergestellte Nahrung sowie traditionell in fernen Ländern konsumierte Lebensmittel. All das darf künftig in unseren Kochtöpfen landen, sofern die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit in Parma keine Bedenken vorbringt.

Radikal löste der Amerikaner Rob Rhinehart das Ernährungsproblem. Der Nerd erfand eine Flüssigkeit namens "Soylent", die alles enthält, was der Körper braucht, und ihn vom Zwang befreit, sich um die Nahrungszubereitung zu kümmern. Wird Essen eines Tages anachronistisch sein? Der italienische Gastro-Anthropologe Carlo Spinelli glaubt nicht daran: "Am 10. August begann der Astronaut Scott Kelly, sich in seiner Raumstation von Gemüse zu ernähren. Das zieht er im All heran."

Um im Jahr 2050 neun Milliarden Erdbewohner zu ernähren, müssen neue Unternehmensideen her. Das Start-up Pnat, ein Ableger der Universität in Florenz, ist eine davon. Firmengründer Stefano Mancuso entwickelte das schwimmende Gewächshaus Jellyfish Barge. Zur Expo vertäute er die Plattform am Darsena-Hafenbecken, dem neuen Szenetreff der hippen Mailänder. Der Pflanzen-Neurobiologe nennt sein autarkes Floß ein kleines Technikwunder. Schwimmt der achteckige Kahn auf dem Meer, versorgt er ohne Süßwasser, ohne Energie und ohne Erde acht Personen mit Gemüse. Der Jellyfish Barge entsalzt und reinigt verschmutzte Gewässer mit Solarstrom, die Pflanzen gedeihen in Hydroponic-Kulturen.

Für Meeresfarmer spricht: Nur drei Prozent der globalen Wasservorkommen bestehen aus Süßwasser. Mehr als drei Viertel davon verbraucht bereits heute die Landwirtschaft. Es droht ein brutaler Kampf um die knappen Reserven. "Den Anbau aufs Meer zu verlagern, kann ein wertvoller Beitrag zur Lösung unserer Ernährungsprobleme sein", sagt Mancuso. Jellyfish Barge errang internationale Auszeichnungen, darunter einen Innovationspreis der Vereinten Nationen. Der Bürgermeister von New York, das Wüstenemirat Dubai und Malediven-Atolle meldeten Interesse an. In Florenz macht man sich an die Industrialisierung des Prototyps. "Unser Ziel ist es, in ein paar Monaten ein Modell zum Preis von 15 000 Euro in der Hand zu haben", sagt Pnat-Investor Marco Gualtieri.

Wie kaufen wir ein?

Auch Probeshoppen in der Zukunft ging auf der Expo. 1,8 Millionen Besucher machten ein neuartiges Einkaufserlebnis im Supermarkt des Future Food Districts. Der erste Eindruck ist erstaunlich angenehm. Man betritt den weitläufigen Laden von oben und hat freien Blick auf das nach unten abfallende Sortiment aus 1500 Produkten von 90 italienischen Herstellern. Wie auf einem offenen, mittelalterlichen Marktplatz werden die Waren horizontal auf Tischen feilgeboten. Keine Regalwände verstellen die Sicht auf andere Menschen. Es gibt keine labyrinthischen Gänge, keine Warentürme.

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Die italienische Handelskette Coop entwickelte das Konzept mit dem MIT in Boston und der Beratungsfirma Accenture. Sie setzten die Theorien von Carlo Ratti, Direktor des MIT-Labors Senseable City Lab, mit digitalen Lösungen in die Praxis um. 380 Bildschirme, interaktive Tafeln, 244 Kinect-Sensoren aus der Welt der Spielkonsolen und die Cloud sind im Einsatz, wenn Coop die Kunden auf die digitale Supermarkttour schickt. Per Fingerzeig sind Daten abrufbar. Die Produktinfos zu Nährstoffgehalt, CO₂-Bilanz, Herkunft, den Weg vom Acker bis ins Geschäft, Rezepttipps oder Lagerungsratschläge erscheinen per Handbewegung auf durchsichtigen Glastafeln. "Der Verbraucher der Zukunft wird verstärkt nach den Inhaltsstoffen fragen, er will wissen, wie gesund das Produkt ist", sagt Coop-Chef Marco Pedroni. Die Ära der Massensupermärkte sei vorbei. Heute gehe es darum, Wirtschaft und Konsum sozialer, verantwortungsbewusster zu machen. Und das schon bald. "Das Mailänder Konzept wird uns in drei bis fünf Jahren beim Betreten des Supermarkts begegnen", sagt Alberto Pozzi, Projektleiter von Accenture. Coop nahm an der Expo-Kasse drei Millionen Euro ein.

© SZ vom 30.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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