Ermittlungen:Stille Helden

Lesezeit: 3 min

Illustration: Shutterstock (Foto: N/A)

Finanz- und Kriminalbeamte, Steuerfahnder und Staatsanwälte ermitteln seit Jahren unermüdlich in Cum-Ex-Fällen und holen viel Geld zurück. Drohungen und Klagen schüchterten die Finanzbeamten nicht ein.

Von Klaus Ott und Jan Willmroth, Frankfurt

Anne Brorhilker sucht nicht das Licht der Öffentlichkeit, über ihre Arbeit in Sachen Cum-Ex spricht sie nicht, und für die Ehre, die ihr bald womöglich zuteil wird, hat sie vermutlich keine Zeit. Die Zeitschrift Global Investigations Review, ein Fachjournal für internationale Ermittlungen, hat unter anderem Brorhilker und ihre Abteilung bei der Staatsanwaltschaft Köln für die Ermittlungen zum Steuerbetrug als "Strafverfolger des Jahres" nominiert. Zur Preisverleihung in Washington am 24. Oktober steht aber schon Wichtigeres im Kalender: der neunte von vorerst 32 Terminen im ersten Cum-Ex-Strafprozess am Landgericht Bonn.

Dieser Prozess ist der erste Höhepunkt einer beispiellos beharrlichen Ermittlungsarbeit, die unter anderem mit einer ziemlich drastisch formulierten E-Mail so richtig in Gang kam. Am Donnerstag, dem 12. April 2012, schickte der Sachgebietsleiter R. im Finanzamt Wiesbaden II eine unmissverständliche Botschaft an insgesamt 13 Kolleginnen und Kollegen in mehreren Behörden, bis hin zur Oberfinanzdirektion Frankfurt. Als Anlage fügte er umfangreiche Schreiben eines Rechtsanwalts bei, der gegen einen Steuerbescheid in Sachen Cum-Ex Einspruch erhoben hatte.

Der Abteilungsleiter fasste den Vortrag des Anwalts in zwei Sätzen zusammen. Erstens: Das haben doch alle gemacht. Zweitens: Der Gesetzgeber ist schuld. Weil Bundesregierung und Bundestag jahrelang beim Aktienhandel eine Gesetzeslücke nicht geschlossen hatten, hätten sich Banken, Börsenhändler und andere mit Cum-Ex-Geschäften am Fiskus bereichern dürfen. Damit dürfe man diejenigen, die in die Staatskasse gegriffen hatten, nicht durchkommen lassen, befand Abteilungsleiter R. Denn erstens gebe es keine Gleichbehandlung im Unrecht. Der Staat gestatte es Mördern auch nicht, zu morden, nur weil nicht alle erwischt würden. Und zweitens sei der Missbrauch einer Gesetzeslücke nicht gestattet, nur weil ein Gesetz nicht effektiv alle Missbrauchsfälle unterbinde.

"Bis an die Belastungsgrenzen, und manchmal auch darüber hinaus"

Seit 2009, seit bereits einem Jahrzehnt also, ermitteln zahlreiche Finanz- und Kriminalbeamte, Steuerfahnder und Staatsanwälte in der halben Republik in diesem Skandal mit großen Eifer. "Bis an die Belastungsgrenzen, und manchmal auch darüber hinaus", sagt einer der Ermittler. Es ist ein großer Kampf gegen einen Teil der Finanzbranche, der in seiner Gier keine Grenzen zu kennen scheint.

Und manchmal ein kleiner Kampf gegen den eigenen Arbeitgeber, den Staat, der teilweise am Personal spart. Erst vor wenigen Monaten stellte sich heraus, dass in Nordrhein-Westfalen, dem Zentrum der Ermittlungen, reihenweise Leute fehlen. 30 bis 40 spezialisierte Fahnder seien zusätzlich nötig, schätzte der Bund Deutscher Kriminalbeamter. Inzwischen soll sich die Lage gebessert haben.

Erst kürzlich hat das Finanzgericht Köln die Klage eines US-Pensionsfonds abgewiesen, der 27 Millionen Euro aus der Staatskasse haben wollte. Gerichtspräsident Benno Scharpenberg versah die Urteilsverkündung mit deutlichen Worten. Das System Cum-Ex bezeichnete er als "kriminelle Glanzleistung". Es sei kaum zu verstehen, dass ein Netzwerk aus Banken, Beratern, Anwälten und Investoren, in dem sich die Beteiligten Steuern erstatten ließen, die nicht bezahlt wurden, seit etwa 2001 jahrelang unbehelligt von der Finanzverwaltung funktionieren konnte.

In der Tat gab es in den oberen Etagen der Finanzverwaltung bis hin zum Bundesfinanzministerium frühzeitig Hinweise auf dubiose Cum-Ex-Aktiendeals. Doch es dauerte eben bis 2012, bis die Gesetzeslücke, die nach 2007 solche Geschäfte über ausländische Banken weiter möglich gemacht hatte, einigermaßen geschlossen wurde. Und richtig in Fahrt kam die Aufklärung erst, als Finanz- und Strafverfolgungsbehörden anfingen, der Sache auf den Grund zu gehen. Das begann 2009 im Finanzamt Wiesbaden II mit einem Fall um die Hypo-Vereinsbank, die zusammen mit früheren Geschäftspartnern etwa 200 Millionen Euro an den Fiskus zurückgezahlt hat.

Einfach war das für die Aufklärer nicht. Sie mussten sich mit Dienstaufsichtsbeschwerden von Cum-Ex-Geschäftemachern herumschlagen, sie waren teilweise massiven Drohungen ausgesetzt. Ein speziell für Aktiendeals zu Lasten der Staatskasse gegründeter US-Pensionsfonds hatte Beamten des Bundeszentralamts für Steuern im April 2012 "negative persönliche finanzielle Konsequenzen" angekündigt, falls 54 Millionen Euro nicht endlich ausbezahlt würden. Notfalls müssten die Beamten dafür geradestehen. Es folgten Amtshaftungsklagen, die das Landgericht Bonn abwies. Im Cum-Ex-Untersuchungsausschuss des Bundestags berichtete eine Beschäftigte des Bundeszentralamts, sie und ihre Kollegen seien "massiv angegangen" worden. Das alles hielt die Beamten aber nicht davon ab, einfach weiterzumachen.

© SZ vom 27.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: