Wenn Jeff Bezos, der Chef von Amazon, besonders unterhaltsam sein will, hat er einen guten Gag. Er listet auf, welche Bestseller von herkömmlichen Buchverlegern abgelehnt wurden - und dann über das Netz den Weg an die Spitze fanden. "Berlin Gothic" ist so ein Beispiel, die Krimireihe des Berliner Autors Jonas Winner. Auch "Fifty Shades of Grey", der Renner der Saison, war von 2009 an zunächst online zu lesen, auf Begleitseiten zur "Twilight Saga" und auf einer eigenen Website der Autorin Erika Leonhard, Künstlername inzwischen E.L. James.
So sieht sie aus, die neue Welt der Bücher: Ein immer größerer Anteil von ihnen kommt nicht mehr als bedrucktes Papier zwischen zwei Buchdeckeln zum Leser, sondern in einer Online-Variante als E-Book. Das kostet viel weniger, bringt aber auch Erlöse. Auch in Deutschland, viele Jahre nach den USA, beginnt sich der Markt zu drehen.
Beispielsweise Per Dalheimer. Seit sieben Jahren wartet er auf diesen Tag der Zäsur. 2005 hatte sich der Chef des Internet-Buchladens Libri.de eine Internetadresse gesichert: ebook.de. Kaum einer glaubte damals in Deutschland daran, dass Menschen einmal elektronische Bücher lesen. An diesem Mittwoch nun verwandelt er den Namen seiner Plattform, aus Libri.de wird ebook.de - für Dalheimer, 43, beginnt endlich das Zeitalter der E-Books. "Es hat gedauert, aber jetzt ist der Markt da", sagt er.
Weniger gedruckte Bücher
Die Onlinetochter des Buchgroßhändlers Libri, 1999 gegründet, hat 600.000 E-Books im Programm, davon ein Drittel deutsche Titel. Im September, sagt Dalheimer, habe Libri.de erstmals mehr elektronische als gedruckte Bücher verkauft. Zum Vergleich: Der Buchhändler Weltbild, nach Amazon und Ebay drittgrößter deutscher Internethändler, macht erst rund zehn Prozent des Onlineumsatzes mit E-Books.
Die Umbenennung von Libri.de ist eines von vielen Puzzleteilen, die zeigen, dass sich etwas bewegt. Oft hat die Branche schon behauptet, es gehe jetzt los mit den E-Books in Deutschland. Nun ist es offenbar wirklich soweit.
Per Dalheimer schätzt, dass E-Books in diesem Jahr drei Prozent des Umsatzes im deutschen Buchmarkt ausmachen, zwei Prozentpunkte mehr als 2011. In den nächsten Jahren lege das Geschäft jeweils um 1,5 Prozent zu. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels geht dagegen für 2012 von zwei Prozent aus - und beklagt insgesamt Rückgänge. Die Wirtschaftsprüfer von PwC erwarten für 2012 ein deutsches E-Book-Volumen von 175 Millionen Euro.
Ein weiteres Puzzleteil hat der digitale Branchenverband Bitkom beschrieben: den Markt für Lesegeräte. Bitkom erwartet, dass die Deutschen in diesem Jahr 800 000 Lesegeräte von Amazon, Weltbild, Thalia und anderen Anbietern kaufen - 247 Prozent mehr als vor einem Jahr. 2013 sollen es 1,4 Millionen Stück sein. "Dadurch gibt es den Bedarf, die Geräte zu füttern", sagt Bitkom-Analyst Mario Rehse. "Es war ein wichtiger Schritt, dass es Geräte gibt, die erschwinglich sind." Nun würden sich E-Books durchsetzen: "Auch in den USA ist es nicht der Nerd, der E-Books liest. Das geht in die breite Bevölkerung."
Unter den deutschen Anbietern spürt das besonders Weltbild. Die Firma hat vor einem Jahr ein Lesegerät lanciert, das nur rund 60 Euro kostet. Bisher hat Weltbild eine sechsstellige Zahl davon verkauft. Firmenchef Carel Halff erwartet noch mehr.
Die Branche bleibt gespalten. Das zeigt sich am Verlag Bastei Lübbe. Rita Bollig, für das E-Publishing verantwortlich, beobachtet Widerstand gegen das E-Book, wo ihn nur wenige vermuten. Manche Autoren wehren sich - die Furcht ist, dass schnöde Datenpakete einfach zu kopieren sind. Jeff Kinney treibt etwas anderes: Der US-Autor findet, dass Jugendliche, für die er "Gregs Tagebücher" schreibt, erst mal Gedrucktes lesen sollten.
Andererseits macht Bastei Lübbe zehn Prozent des Umsatzes mit E-Books: "Das hat sich innerhalb eines Jahres verdoppelt", sagt Bollig. Bei Bestsellern, wie von Ken Follett, bewege sich das Verhältnis schon Richtung 40 Prozent. Manche Titel funktionieren digital sogar besser, wie die Krimis von Eva Almstädt. "Das bedeutet für viele Autoren auch die Chance, neue Leser zu erreichen", sagt Bollig.
Digitaler Serienroman
Bastei Lübbe hat seit 2010 eine E-Book-Abteilung und probiert viel. Da gibt es den digitalen Serienroman "Apocalypsis". Nächstes Projekt ist eine Art Seifenoper, die zusammen mit der TV-Firma Saxonia Media produziert wird - und vielleicht den Weg ins Fernsehen findet. Es wäre ein neues Geschäftsmodell. Über das Internet ins gedruckte Buch und dann ins Fernsehen oder gleich ins Kino - wie "Fifty Shades of Grey".
Tim Prostka von der Universität Hamburg hat in einer Studie gerade festgestellt, dass E-Book-Leser auf den Geschmack kommen - und dann auch vermehrt gedruckte Bücher lesen wollen. "Die Nachfrage nach Hardcover hat bei E-Book-Lesern zugenommen. Am Gesamtmarkt ist also eher eine Markterweiterung zu beobachten", sagt er. Weltbild und Hugendubel bewerben ihr neues Lesegerät mit Fernsehspots, in denen Kinder dessen Vorteile beschreiben: Sie seien unkompliziert und der Akku muss nicht andauernd aufgeladen werden wie Smartphones.
Wenn das Kultautor Jeff Kinney wüsste.