Entwicklungspolitik:"Der Wunsch, ethisch zu investieren"

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Ein Gespräch mit der Präsidentin von Brot für die Welt über Konsum, strategische Flüchtlingshilfe und übers Teilen.

Von Michael Bauchmüller und Kristiana Ludwig

Wenn Pfarrerinnen und Pfarrer nach dem Weihnachtsgottesdienst den Klingelbeutel ausleeren, werden auch in diesem Jahr viele der Münzen an Brot für die Welt geschickt. Das Entwicklungswerk ist durch Fusionen, etwa mit der Diakonie Katastrophenhilfe, zum größten nichtstaatlichen Hilfswerk Europas gewachsen. Cornelia Füllkrug-Weitzel, 63, leitet das Werk seit 18 Jahren. Seitdem versucht sie, das Leid vieler Menschen mit Spenden zu lindern. Bloß wie weit trägt Nothilfe, wenn die Ursachen der Not bleiben oder sogar wachsen?

SZ: Frau Füllkrug-Weitzel, wenn der Einzelhandel an diesem Adventswochenende wieder über Rekordumsätze berichtet, was empfinden Sie da?

Cornelia Füllkrug-Weitzel: Trauer. Es ist sicherlich nicht der richtige Weg, auf immer mehr Produktion und Gewinn zu setzen, um die Erde zukunftsfähiger zu machen. Positiv daran finde ich aber, dass es Kaufkraft in unserer Wirtschaft gibt und es uns gut geht. Wir haben eigentlich keinen Grund, uns Ängste einreden zu lassen, so wie es gerade geschieht.

Sie verlangen, den Menschen wieder "Zukunftsmut" zu geben. Was meinen Sie damit?

Wir sind ein christliches Werk und immer sehr stark von der Hoffnung geleitet. Sonst würde man vieles von dem, was wir machen, gar nicht aushalten. Also: unerschütterlich daran glauben, dass menschenverachtende, lebenszerstörende Zukunftsszenarien nicht Gottes Wille sind und deswegen auch für uns nicht erschreckend sind.

Wenn Sie die Hoffnung aufgäben, könnten Sie den Laden auch dichtmachen.

Ja, würde ich auch sagen. Denn dann wären wir Technokraten, die ihren Job im Social Business nicht verlieren wollen.

Mehr als 800 Millionen Menschen sind unterernährt. Wie schafft man es da, die Hoffnung nicht zu verlieren?

Wenn Hoffnung alleine daran hinge, wie realistisch etwas ist, wäre es keine Hoffnung mehr. Als wir 1959 gegründet wurden, haben 56 Prozent der Weltbevölkerung gehungert. Heute hungert einer von neun Menschen. Und das, obwohl viele Faktoren gegen diese Entwicklung arbeiten.

Was meinen Sie damit?

Die Entwicklungsländer bekommen ständig Knüppel zwischen die Beine geworfen. Wer redet schon gern darüber, wie die Schuldenkrise die Entwicklungsländer geschädigt hat? Was der Klimawandel an finanziellem Aderlass bedeutet, allein um sich daran anzupassen? Wie viel Ressourcen durch ungerechte Handelsbeziehungen vergeudet werden? Wie viel durch Kriege, und welchen Anteil wir an diesen Kriegen haben?

Muss dann eine Organisation wie Brot für die Welt noch viel stärker Lobbyismus betreiben, für die Armen?

Das tun wir auch. Aber das ist kein Entweder-oder. Wir müssen mit Partnern - sie merken, ich betone die Partnerschaft, nicht "Entwicklungshilfe" - gemeinsam schauen, wo wir ansetzen, um Hunger zu bekämpfen. Nehmen Sie ein Land wie Mosambik. Da hungerten zuletzt wieder mehr Menschen. Wir müssen erst analysieren, woran das liegt.

Und, woran liegt es?

In Mosambik haben viele Kleinbauern ihr Land verloren, die Regierung hat es ihnen weggenommen. Die hat es dann an internationale Investoren und Großgrundbesitzer verkauft; und möglich wurde das erst, weil es keine Landtitel gab. Da beschränkt sich der Kampf gegen den Hunger nicht auf Unterstützung für Kleinbauern, sondern umfasst auch Hilfe bei Gerichtsverfahren oder Lobbyarbeit für solche Landtitel.

Kleinbauern verlieren Land an Großgrundbesitzer. In vielen Ländern erleben wir, dass Arme ärmer und Reiche reicher werden. Wird man durch Ihre Arbeit zum Systemgegner?

Was ist "das" System? Es gibt extreme Fragen an den Neoliberalismus, und die wachsen tatsächlich. Der Neoliberalismus hat in vielen Bereichen eine massive Deregulierung nach sich gezogen. Damit aber hat das Verständnis gelitten, dass es Gemeingüter gibt, die gemeinsam zu schützen sind. Das ist fatal. Aber für Revolutionen sind wir nicht zuständig.

Sie standen mal kurz davor, selbst in die Politik zu gehen - als Entwicklungsexpertin im Schattenkabinett des SPD-Kandidaten Peer Steinbrück 2013. Bedauern Sie manchmal, dass nicht mehr daraus geworden ist?

Ich hatte das nicht selber angestrebt, eine politische Karriere war nie mein Ziel. Aber immerhin konnte ich auf den damaligen Koalitionsvertrag Einfluss nehmen. Ich bin auch sehr glücklich, in einem sehr wertebasierten Umfeld arbeiten zu dürfen. Politik hat ja häufig auch etwas sehr Kurzatmiges.

Der jetzige Entwicklungsminister spricht immer gern von Afrika als "Chancenkontinent". Liegt er damit richtig?

Ja, weil es herausführt aus diesem Narrativ, wie schrecklich in Afrika alles ist und dass sie dort nichts zustande bringen, weil die Afrikaner träge seien und nur Kriege führen würden. Es gibt enorme natürliche Ressourcen, aber auch enorm viele Leute mit guten Ideen. Ideen, die ihrer Situation angepasst sind. Die zu unterstützen, mehr eigene Pläne zu fordern, das kann nur gut sein.

Gleichzeitig bebildern viele Hilfsorganisationen ihre Spendenaktionen mit traurigen afrikanischen Kinderaugen.

Aber unsere nicht! Seit vielen Jahren schon nicht mehr. Es ist uns extrem wichtig, dass wir die Menschen nicht als Hilfsempfänger karikieren. Das sind für uns Partner, mit eigener Verantwortung, eigenen Ideen, eigener Würde. Und dem Willen, etwas zu tun. Das sind keine Menschen, die einfach nur die Hand aufhalten.

Dann sind Sie gar kein "Hilfswerk"?

Interessanterweise sind wir ja aus dem Hilfswerk der evangelischen Kirchen in Deutschland hervorgegangen. Das wurde geschaffen, um die Hilfen aus dem Ausland entgegenzunehmen und die Zuwanderung von geschätzt 15 Millionen Flüchtlingen zu bewältigen. 1959 hatten die Kirchen gesagt: Jetzt ist es Zeit, zurückzugeben. Jetzt geht's ums Teilen. Wir sind ein Hilfswerk, das andere stark machen will.

Mit anderen teilen - ist das ein Impuls, der bei Spendern zieht?

Der hat vor allem bei jenen gezogen, die den Hunger nach dem Krieg noch kennengelernt haben - und die Erfahrung, dass ihnen geholfen wurde. Heute verfängt das bei Spendern nicht mehr so sehr. Andererseits glaube ich, dass Menschen durchaus eine Sehnsucht haben zu teilen, und gar nicht so begeistert sind, dass jeder nur noch nach sich selbst strebt. Zum Beispiel haben wir das Konzept für einen Investmentfonds entwickelt, der sich konsequent an ethischen, sozialen und ökologischen Kriterien orientiert. Der investiert nur in Firmen, die Menschenrechte, Umweltstandards, Mitbestimmung garantieren. Auch bei uns hatten viele Sorgen, ob das überhaupt laufen wird.

Und?

Der ist wie eine Rakete abgegangen, mit mehr als einer Milliarde Euro Volumen mittlerweile. Der Wunsch, ethisch zu investieren, ist gigantisch.

Eine eigenartige Form von Teilen, wenn man letztlich nur sein Geld anders anlegt.

Das stimmt. Ich wollte damit auch nur sagen: Die Leute sind nicht so unethisch, wie man gern glaubt. Es sind nicht alle nur noch Egoshooter. Inzwischen schauen auch andere Banken, ob sie nicht ethischer wirtschaften können. Das ethische Bewusstsein ist nicht kleiner geworden, davon bin ich überzeugt.

Auch die deutsche Entwicklungshilfe ist zuletzt deutlich gestiegen. Freut Sie, dass es für die Bekämpfung von Fluchtursachen nun so viel mehr Geld gibt?

Durch die Flüchtlingsdebatte kommt die Entwicklungshilfe wieder mehr ins Ohr der Öffentlichkeit. Aber mit einem Narrativ, das gefährlich sein kann. Wenn man davon Abschottungspolitik finanziert, hat das mit Ursachenbekämpfung nichts zu tun. Grenzsicherung und Ausbildungszentren in Nordafrika setzen nicht dort an, wo die Leute herkommen. Echte Entwicklungshilfe kann nicht kurzfristig Früchte tragen.

Das gibt der Entwicklungshilfe auch einen instrumentellen Charakter: Wir helfen, weil wir selbst etwas davon haben.

Ja, in der Tat. Deshalb ist es auch tragisch, wenn dadurch wieder der Eindruck entsteht, Entwicklungshilfe bringe eh nichts.

Andersherum könnte man sich den Diskurs auch zunutze machen, um Spenden einzuwerben.

Das machen wir ja auch. Das ist eine Gratwanderung, einerseits zu sagen: Entwicklung hilft. Und andererseits muss sie langfristig sein und den Menschen dort dienen, nicht nur uns.

Klassische Fluchtländer sind oft die besser entwickelten Länder. Viele Menschen in Subsahara-Afrika können sich eine Flucht nicht leisten. Wenn man das zu Ende denkt, dürfte man eigentlich keine Entwicklungshilfe mehr betreiben.

Der Anteil der deutschen Entwicklungsleistungen, die an die ärmsten Länder gehen, ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Deutschland fördert eher Länder, die eigentlich vergleichsweise weniger Hilfe bräuchten. Das zeigt, dass Entwicklungshilfe nicht mehr in dem Kontext gesehen wird, international für Verbesserung zu sorgen. Entwicklungspolitik war noch nie rein altruistisch, das zu erwarten, wäre naiv. Aber früher gehörte es zu den Motiven, dass alle Menschen in Sicherheit und Frieden leben können. Diese Motive sind verloren gegangen. Stattdessen forcieren wir andernorts noch die Fluchtursachen.

Was meinen Sie?

Den Klimawandel. Wir arbeiten in Ländern, in denen die Entwicklungshilfe zunehmend zur Katastrophenhilfe wird. Wenn man jährlich 15, 18 Millionen Klimaflüchtlinge hat, dann kann man das nicht einfach wegdiskutieren. Bei diesen Menschen geht es gar nicht darum, zu sagen, dass wir noch ein paar Millionen aufnehmen. Sondern es geht erst einmal darum, internationale Regularien zu finden, wie man ihnen überhaupt einen Schutzstatus geben kann und wie man die Länder unterstützen kann, die sie auffangen. Klimaflüchtlinge kommen bei uns gar nicht an. In der Regel haben sie überhaupt keine Ressourcen mehr, um weit zu reisen.

Und das in einer Zeit, wo Populisten in aller Welt von Klimawandel und Multilateralismus nichts mehr wissen wollen. Wie gehen Sie damit um?

Wir machen uns viele Gedanken, wie wir dagegenhalten können. Aber es ist auch interessant, dass die Grünen, als eine Partei, die das tut, im Moment unglaublich boomen. Ansonsten gibt es wenige politische Akteure, die sich gegen die Rechten stellen. Da ist von den Politikern etwas mehr Zukunftsmut verlangt.

© SZ vom 15.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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