Energieversorgung:Rettungsnetz für den Strom

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Strommasten in Nordrhein-Westfalen. Der Netzausbau kommt in Deutschland nur langsam voran. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Ein Netz von vielen kleinen Batteriespeichern soll das Leitungsnetz entlasten.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Das Wetter passt eigentlich, und trotzdem ist für manches Windrad im Land unversehens Schluss. Strom könnte es produzieren, das schon - aber die Leitungen reichen nicht. So wird in Deutschland Monat für Monat Ökostrom verschenkt - was Millionen kostet. Denn während Windmüller im Norden die Flügel aus dem Wind drehen müssen, fahren im Süden die konventionellen Kraftwerke hoch. Sie müssen das Netz stabilisieren - jenseits des Engpasses. Allein im vorigen Jahr gingen für derlei Umverteilung etwa 800 Millionen Euro drauf, zu zahlen von den Stromkunden. Die einen wurden für den zwangsweisen Stillstand entschädigt, die anderen für rasch erzeugte Ausgleichsenergie. Solange die großen Stromautobahnen fehlen, wird das auch so weitergehen.

Was aber, wenn sich der Strom aus dem Norden irgendwo parken ließe, bis der Stau im Netz vorüber ist? Wenn im Süden nicht Kraftwerke für Strom sorgen, sondern Batterien? Und wenn das nicht einige wenige Großbatterien wären, sondern viele Hunderttausende - kleine, installiert in Privathäusern?

Die Verschlüsselungstechnologie Blockchain soll Manipulationen verhindern

Der Stromnetzbetreiber Tennet will das jetzt ausprobieren; an sein Netz sind die meisten deutschen Windräder angeschlossen. Gemeinsam mit dem Solar-Unternehmen Sonnen will er einen Verbund kleiner Batteriespeicher aufziehen, eine Art Rettungsnetz für das Stromnetz. Diesen Dienstag sollen die Pläne offiziell vorgestellt werden. Für die Energiewende könnten sie eine kleine Revolution einläuten. "Wir wollen erneuerbare Energien bestmöglich integrieren", sagt Urban Keussen, Chef von Tennet in Deutschland. "Und das kriegen wir nicht nur mit Kupfer hin, sondern auch mit Intelligenz." Das Kupfer in den neuen Stromautobahnen braucht eh noch mindestens acht Jahre, bis es verlegt ist. Intelligenz könnte schneller gehen.

Dabei hilft der rapide Preisverfall bei den Batteriespeichern. Binnen drei Jahren waren sie zuletzt um knapp 40 Prozent gefallen. Ende vorigen Jahres waren hierzulande 52 000 dieser Batterien installiert, die Zahl steigt rapide: Allein 2016 waren nach Branchenangaben 20 000 hinzugekommen. Investitionen in Elektromobilität könnten den Boom noch befeuern. Wachsende Stückzahlen könnten die Preise weiter sinken lassen, ausgediente Batterien der E-Autos ein zweites Leben als Solarspeicher bekommen. Auch die E-Autos selbst könnten Teil dieser Intelligenz werden. Denn je mehr der Batterien am Netz sind, desto besser ist der Ökostrom-Puffer.

Tennet will das nun zunächst zusammen mit dem Solar-Unternehmen Sonnen GmbH austesten. Die Allgäuer Firma bastelt seit Längerem an einer "Sonnen-Community", in der sich die eigene Kundschaft gegenseitig versorgt. Scheint bei A die Sonne, bei B aber nicht, dann schickt A seine Überschüsse an B, gewissermaßen virtuell. Bei anderem Wetter läuft es umgekehrt. So ähnlich soll das auch mit dem Hochspannungsnetz laufen. "Wir wollen demonstrieren, dass sich auch eine virtuelle Stromleitung verlegen lässt", sagt Philipp Schröder, Vertriebschef bei Sonnen. Nur sitzt A künftig vor dem Engpass und B dahinter. Der Kunde in Hamburg füllt seine Batterie mit überschüssigem Windstrom, der Kunde in München speist Strom ins Netz ein, den vorher seine Solaranlage produziert hat. Ist der Engpass vorbei, wird die Batterie wieder gefüllt. Wer seinen Speicher dafür zur Verfügung stellt, bekommt kostenlose Stromlieferungen, sagt Schröder. Für den Anfang sollen 6000 solcher Speicher helfen, das Stromnetz zu optimieren.

Und noch etwas ist neu: Das Ganze läuft über die Verschlüsselungstechnologie Blockchain. Die Befehle an die Speicher laufen über viele verschiedene Computer gleichzeitig - das macht es so gut wie unmöglich, das System zu manipulieren. "Das ist die ideale Brücke, um eine kleinteilige Hardware-Welt mit einem Netz zu verknüpfen", sagt Tennet-Chef Keussen. "In der Hinsicht ist das einmalig." Schon träumen die Sonnen-Leute von Hunderttausenden von Speichern, die so gekoppelt werden. Ganze Kraftwerke könnten so überflüssig werden, ersetzt von einem Batterie-Schwarm in deutschen Kellern. Nur eines würde trotzdem nicht überflüssig: Der Ausbau des Stromnetzes. "In Engpass-Situationen kann man damit gut reagieren", sagt Keussen. Den Transport des Stroms aber könnten die Speicher nicht übernehmen.

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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