Antje Grothus hat sich ein hübsches Motto herausgesucht, sie hängt es unter jede ihrer Mails. Der Spruch stammt aus China, er heißt: "Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen." Das trifft ziemlich gut die Stimmung in jenem Gremium, dem die Anti-Tagebau-Aktivistin aus dem Rheinland gerade ihre Zeit opfert: die "Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung", kurz "WSB-K". Oder einfacher: die Kohlekommission. Diesen Donnerstag tritt das 28-köpfige Gremium wieder zusammen. Und ja, dort finden sich schon jetzt jede Menge Mauern.
Worum geht es?
Trotz Energiewende und Klimazielen stammt hierzulande noch immer mehr als ein Drittel des Stroms aus Kohlekraftwerken. Als besonders klimaschädlich gilt die Braunkohle, die vor allem im Rheinland und der Lausitz im großen Stil gefördert wird. Auch in Sachsen-Anhalt findet sich ein kleines Revier. Klimaschützer verlangen schon lange ein Ende des Kohlestroms. Die große Koalition hat deshalb die Kommission eingesetzt, sie soll einen Ausstiegspfad für die Kohle vorlegen und ein Datum vorschlagen, wann das letzte Kraftwerk vom Netz gehen soll.
Was ist so schwer daran?
Technisch ist ein Ausstieg aus der Kohle in Schritten kein Problem, wenn der Ausbau von Ökoenergien, Stromnetzen und Speichern vorankommt. Sorge bereiten dagegen die Folgen für die betroffenen Regionen, vor allem die Lausitz. Vor der Wende arbeiteten hier mehr als 70 000 Menschen in Tagebauen und Kraftwerken, heute sind es nurmehr gut 8000. In der strukturschwachen Region sind es die letzten industriellen Arbeitsplätze. Gewerkschafter fordern deshalb, neue Industrie anzusiedeln. Doch das ist leichter gesagt als getan. Die Koalition hat für den Strukturwandel 1,5 Milliarden Euro vorgesehen. Geht es nach den Vorstellungen aus den betroffenen Bundesländern, könnte man das Geld aber fünfmal ausgeben.
Welche Rolle spielt der Klimaschutz?
Deutschlands Verpflichtungen im Kampf gegen die Erderhitzung schweben über dem ganzen Unterfangen. Und das umso mehr, als die nationalen Ziele mit dem Pariser Klimaabkommen nun auch verbindlich werden. Bis 2020 wollte die Bundesrepublik 40 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen, bis 2030 liegt das Ziel bei 55 Prozent. Doch bisher sind erst 28 Prozent erreicht. Bis 2030 müsste nach Berechnungen der Bundesregierung die Emissionen der Kohlekraftwerke auf 88 Millionen Tonnen Kohlendioxid sinken - von 252 Millionen Tonnen 2016. Offen allerdings ist der Pfad dorthin, sprich: In welchen Schritten die Kraftwerke den Betrieb einstellen.
Wie könnte das gehen?
Vorschläge für einen Ausstieg aus der Kohle gibt es reichlich. Denkbar wäre etwa ein Fahrplan nach Vorbild des rot-grünen Atomausstiegs. Er hatte seinerzeit jedem Kraftwerk Reststrommengen zugebilligt, die sich an einer Betriebszeit von insgesamt 32 Jahren orientierten. Der Vorteil: Die Anlagen hatten sich amortisiert, der Bund musste keine Entschädigung zahlen. Der Nachteil: Wenn kurzfristig bereits Kohlekraftwerke ihren Dienst einstellen sollen, wird es andere Instrumente brauchen - samt Kompensation.
Was sagen die Stromkonzerne dazu?
Wenn es Geld gibt für den Ausstieg, wird die Sache für sie interessant. Als erstes hat der Stromkonzern Uniper einen konkreten Plan vorgelegt, um schon vor 2020 Kraftwerke mit einer Leistung von bis zu vier Gigawatt stillzulegen, knapp ein Zehntel der deutschen Kohlestrom-Kapazität. Finanziert werden soll das über die Stromkunden, nach Vorbild der so genannten "Sicherheitsbereitschaft". Mit ihr hatte schon die vorherige Bundesregierung Braunkohlekraftwerke mit einer Leistung von 2,7 Gigawatt in Rente geschickt. Für eine Übergangszeit von vier Jahren bleiben sie in Reserve, finanziert von den Stromkunden. Danach ist endgültig Schluss. Vorschläge hat aber auch Greenpeace gemacht, zusammen mit Fraunhofer-Forschern. Danach würden mehr als sechs Gigawatt ältere Braunkohlemeiler sofort stillgelegt, weitere 7,4 Gigawatt gedrosselt - bei gleichzeitigem Ökostrom-Ausbau. Ginge auch, sagen die Umweltschützer.
Welche Rolle spielen Kohlegegner?
Umweltgruppen und Klimaschützern kann der Ausstieg nicht schnell genug gehen, auch sie sind - wie Antje Grothus - in der Kommission vertreten. Allerdings droht sich der Konflikt in den nächsten Wochen aufzuschaukeln. Dann nämlich, wenn der Essener Stromkonzern RWE beginnt, ein Waldstück am Rande seines Tagebaus Hambach im Rheinland zu roden. Die nötigen Genehmigungen hat er, doch Tagebau-Gegner wollen die Abholzung verhindern. Sie verlangen ein Moratorium, solange die Kommission tagt. Sollten die Rodungen dennoch beginnen, könnte die Lage im Wald eskalieren - mit Rückwirkungen auch auf die Kommission. Kommenden Montag wollen sich Umweltvertreter der Kommission demonstrativ in dem Wald treffen. Sie wollen dort Setzlinge pflanzen.
Wo steht die Kommission jetzt?
Bisher ging es der Kommission vor allem darum, Fakten zu klären, doch das hat viel Zeit geraubt. Wenn sich die Mitglieder diesen Donnerstag wieder im Eichensaal des Wirtschaftsministeriums treffen, soll nun die Bundesregierung zu Wort kommen, und zwar zu beiden großen Themen der Kommission: der Herausforderung des Klimawandels und der des Strukturwandels in Kohleregionen. Allerdings hat die Kommission auch mit ihren eigenen Strukturen zu kämpfen: Neben der schieren Größe und einem Quartett aus vier sehr unterschiedlichen Vorsitzenden spielen da vor allem Ländervertreter eine Rolle, die versuchen Einfluss zu nehmen. Verhandlungsfähige Texte gibt es noch nicht.
Viel Zeit bleibt nicht mehr, denn eigentlich sollen schon im Oktober die ersten Vorschläge vorliegen, wie sich der Strukturwandel abfedern lässt. Und passend zur Weltklimakonferenz im polnischen Kattowitz soll auch klar werden, wie die Abschaltung erster Kraftwerke hilft, die deutsche Klimalücke zu verkleinern. Mancher in der Kommission sieht schon jetzt kaum eine Chance, das noch zu schaffen, andere drängen: Schließlich stehen auch Wahlen an. In Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen schon im nächsten Frühjahr.