Einzelhandel:Hängepartie

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Schriftzug mit Verfallsdatum: Tengelmann will an Edeka verkaufen. Die Beschäftigten lehnen das ab. Sie wollen Rewe oder Migros. (Foto: Stephan Rumpf)

Auf einer Betriebsversammlung demonstrieren die Beschäftigten von Kaiser's Tengelmann gegen einen Verkauf an Edeka. Verdi rechnet Ende November mit der Ministererlaubnis.

Von Michael Kläsgen, Unterschleißheim

Sie sind aus ganz Bayern gekommen, aus dem Berchtesgadener Land, aus Augsburg, aus München sowieso und aus Ingolstadt. Sie haben eine Botschaft für ganz Deutschland. Es sind junge Leute, die sich da versammelt haben im Ballhausforum in Unterschleißheim. Viele Tengelmänner, aber noch mehr Tengelfrauen, wie der Betriebsratsvorsitzende Manfred Schick sie nennt, sind darunter. Am Eingang steht ein Sarg, auf den viele ihren Namen geschrieben haben, "mit freundlichen Grüßen an Karl Erivan Haub". Sie drücken damit das Gefühl der 16 000 Beschäftigten von Kaiser's Tengelmann aus. Ihr Schicksal hängt am seidenen Faden, und das schon seit mehr als einem Jahr, seitdem Inhaber Haub die Supermarktkette an Edeka verkaufen will.

Der lange Kampf gegen diesen Verkauf geht nun in die entscheidende Phase. Alle warten sie tagtäglich darauf, dass Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel zu einer öffentlichen Anhörung lädt. Diese ist gesetzlich vorgesehen. Nach dieser Anhörung, nach einer Frist von zwei Wochen, soll sie dann erteilt werden, die Ministererlaubnis, die ebenso ein Ministerverbot sein kann - oder eine Erlaubnis mit Auflagen. Alle 2200 im Saal Versammelten hoffen auf ein Verbot und sprechen damit für alle Beschäftigten bundesweit.

Dieses klare "Nein" ist die Botschaft, die von Unterschleißheim ausgehen soll, nach Berlin und nach Mülheim an der Ruhr, wo Tengelmann seinen Sitz hat. Wobei viele auch dort die lange Hängepartie kaum mehr aushalten. Alle wollen sie endlich eine Entscheidung. Doch aus Berlin hört man: nichts. Liegt es am VW-Skandal? Liegt es an der Komplexität der Sache? Wahrscheinlich will man auch den kleinsten Fehler vermeiden, sagt ein Insider, um ein ähnliches Tohuwabohu wie bei der Ministererlaubnis unter Werner Müller in Sachen Eon/Ruhrgas zu vermeiden.

Hubert Thiermeyer, Verdis Fachbereichsleiter Handel in Bayern, rechnet für Ende November mit dem Entscheid aus Berlin, frühestens. Denn schon zweimal ist der Termin verschoben worden. Da aber klar ist, dass es jetzt ernst wird, hat die Gewerkschaft zur Betriebsversammlung geladen. Wieder. Es ist die zweite in sieben Monaten. Solche Sitzungen sind nicht öffentlich. Ein Teilnehmer beschreibt die Atmosphäre als "gereizt", anders als bei der vorigen Versammlung. Andere berichten von "Standing Ovations" für den Betriebsratsvorsitzenden Schick. "Deshalb rufen wir auf, heute eine noch friedliche Revolution zu beginnen" habe er gerufen, und da hätten sie sich erhoben von ihren Stühlen und hätten geklatscht. "Wir stehen auf und kämpfen weiter", habe Schick sie daraufhin angefeuert und die Arme in die Luft gerissen. Und alle hätten sie gejubelt. Geschlossenheit und Entschlossenheit wollten sie damit demonstrieren.

Thorsten Raschke ist einer von ihnen. Der Kraftfahrer aus dem Logistikzentrum Eching sagt, ihn treibe die Frage um, warum Tengelmann anders als behauptet Rewe aus den Verkaufsverhandlungen ausgeschlossen habe. Raschke hat dazu eine klare Vermutung: Mit Edeka sei eine Umsatzbeteiligung ausgehandelt worden. Ein harter Vorwurf. Allein die Behauptung, dass mit Rewe je verhandelt worden sei, würde Tengelmann weit von sich weisen.

Die Mitarbeiter bevorzugen Rewe oder Migros. Darüber wird aber gar nicht verhandelt

Wie dem auch sei. Hier in Unterschleißheim will niemand unter die Fittiche von Edeka und schon gleich gar nicht unter die von selbständigen Kaufleuten, die selbst unter der Knute des Edeka-Verbunds stünden. Die Versammelten fürchten um ihre nackte Existenz, um ihren Lohn, die Tarifbindung und den Arbeitsplatzschutz. Sie sagen: Schaut euch doch die Betriebsvereinbarungen in Berlin und der Region Nordrhein an. Tengelmann zeige damit nur: Personalabbau ist trotz gegenteiliger Beteuerungen möglich. Da sie so kategorisch gegen Edeka sind, sind die Angereisten so sauer auf die bayerische Landesregierung, die sich als einzige überhaupt dezidiert für einen Verkauf an Edeka ausgesprochen hat.

Friedrich und Claudia Feyhl ist die Angst ins Gesicht geschrieben. Sie beide arbeiten bei Tengelmann; sie seit 25 Jahren, er seit 13. Sie haben zwei Kinder und wissen nicht, wie es weitergehen soll. Egal, wie der Minister entscheidet. Bei Kaiser's Tengelmann ist bald Schluss, nur das wissen sie. Dabei würden sie am liebsten bei Rewe unterkommen oder bei Migros. Die Schweizer würden die Geschäfte in Bayern übernehmen. Aber darüber wird gar nicht verhandelt. Weder in Berlin noch sonstwo.

© SZ vom 16.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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