Duft- und Aromaindustrie:Im Labor der Verführer

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Zwei Mitarbeiterinnen des Aromen- und Geschmackstoffherstellers Symrise wiegen und mischen Rohstoffe zu Parfümölen. (Foto: dpa)

Ob Shampoo oder Orangensaft: Duft- und Aromastoffe entscheiden mit, ob Verbraucher zugreifen oder nicht. Der Branchenriese Symrise kümmert sich um künstliche Gerüche und Geschmäcker. Ein Besuch in einer Firma, die Kunden an der Nase herumführt.

Von Helga Einecke

Der Labor-Besuch endet mit einer Überraschung - vor 14 Toiletten. Eine lange Reihe blitzblanker weißer Schüsseln, dazwischen transparente Wände und Türen. Auf Augenhöhe lassen sich in den Türen kleine Fenster öffnen. Durch diese haben schon viele ihre Nase gesteckt, denn genau dafür ist die Öffnung gemacht. Es geht um Gerüche, um solche, die man haben, und solche, die man überdecken möchte. Und das kann je nach Kulturkreis sehr unterschiedlich sein, sagt Parfümeur Marcus Betzer. Deutsche, erklärt er, stünden auf Zitrone und Fichte, Inder auf Jasmin und Sandelholz, und in Spanien dürfe es nach allem, nur nicht nach irgendeinem Lebensmittel riechen.

Marcus Betzer arbeitet für die Firma Symrise im niedersächsischen Holzminden, einem der weltweit größten Hersteller von Duft- und Aromastoffen. Man sieht Betzer seine kreative Profession nicht an, er trägt einen grauen Anzug, und auch die Labore, in denen er sich bewegt, sehen nicht viel anders aus als in vielen Chemiefirmen. Und doch werden an diesem Ort Trends gesetzt, die Millionen von Menschen beeinflussen.

Gerade testen die Forscher, was die Wurzel Vetiver so hergibt, die von einem tropischen Süßgras stammt, das in Madagaskar angebaut wird, wenn die Vanille den Boden ausgelaugt hat. Die Essenz riecht erdig bis ledrig, nach altem Koffer, also eher was für den Hintergrund, denn den braucht ein Luxus-Parfüm auch. Eine Menge Stoffe stecken in einem einzigen Duft, der als einzigartig erkannt werden soll, aber ohne Chemie geht es dabei nicht. Grundstoffe wie Moschus oder Pfefferminze gibt es nicht in ausreichender Menge, sie werden künstlich nachgebaut.

Fokus auf Zahnpasta, Duschgel und Reiningungsmittel

30.000 Stoffe hat Symrise im Programm, die erfordern viel Basisarbeit. Computer und Automaten ermöglichen es, aus 10.000 Rohstoffen Dosierungen herauszufiltern, die das menschliche Auge nicht mehr erfasst, die Nase und Gaumen aber sehr wohl kitzeln. Die häufigsten Zutaten sind in kleinen dunklen Fläschchen aufgereiht, auf Zugriff sozusagen. Parfümeur Betzer redet über Kreationen, Ingredienzien, spricht über Kopf- und Herznoten für den Luxus-Duft.

Wie selbstverständlich verweist er auf Mega-Marken, die hier ihren Anfang nahmen, wie etwa Fahrenheit von Dior, Be Delicious von Donna Karan. Die Rezepturen für neue Reizstoffe laufen per Internet aus aller Welt in Holzminden ein, schließlich sind die Geschmäcker global äußerst verschieden. In der Produktion aber konzentriert man sich an der Weser auf die Produkte für den täglichen Bedarf, etwa auf Zahnpasta, Duschgel, Reinigungsmittel oder Raumdüfte.

Im Zentrum aller Überlegungen steht, mit welchen Gerüchen man den Menschen umgarnt oder ihm bestimmte Düfte erspart. "Bei Parfüms hängt die Kaufentscheidung zu 80 Prozent vom Geruch ab, bei Lebensmitteln zu 50 Prozent vom Geschmack", weiß man in Holzminden. Kleine Menge, große Wirkung: Die Düfte und Aromen, die Symrise beisteuert, machen in der Regel nur ein Prozent des Inhalts aus.

Nicht alles sei Chemie, versichert Vorstandschef Heinz-Jürgen Bertram. Aromen seien zu 80 Prozent natürlichen Ursprungs, schließlich gehe es um Nahrungsmittel. Zum Beispiel Orangensäfte. Die sollten immer gleich gut schmecken, das könne die Natur gar nicht liefern. Den Einwand, Aromen oder Zusatzstoffe würden Verbrauchern einen Geschmack ohne Inhalt vorgaukeln und dem Etikettenschwindel bei Lebensmitteln Vorschub leisten, wehrt Bertram ab. Symrise habe nichts zu verbergen, arbeite transparent, nachhaltig und verantwortlich. Man liefere der Industrie vor allem Problemlösungen.

Eine seiner Lösungen sieht so aus: Obst und Gemüse wird häufig nach der Ernte gefriergetrocknet. Mit dem Wasserentzug schwinden die Aromen. Hier kommt Symrise ins Spiel: Es filtert die Aromen bei der Trocknung heraus, damit diese später wieder hinzugefügt werden können. Nur wird das oft verschwiegen. Denn die meisten Kunden, vor allem die großen Nahrungsmittelhersteller, wollen nicht preisgeben, dass in ihren Produkten auch Symrise drinsteckt. Diese Kunden lassen sich auch von Symrise nicht in die Karten schauen. Deshalb macht Bertram mit den Biotechfirmen Indevex und Probi gemeinsame Sache, lernt, wie Aromen und Nährstoffkomplexe auszusehen haben. Auch so kann man auf eigene Ideen oder neue Geschäftsfelder kommen.

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Bertram versteht sein Geschäft. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet der promovierte Chemiker für Symrise und dessen Vorgängerfirma Haarmann und Reimer, startete mit Forschung und Entwicklung, seit 2009 ist er Vorstandschef. Als solcher muss er auch Aktionäre und die 5400 Mitarbeiter des Konzerns weltweit bei Laune halten. Bertram gibt sich bodenständig und entspannt. Nähe fällt ihm nicht schwer, er stammt aus der Gegend um Holzminden. Morgens kommt er zu Fuß in die Firma, kontrolliert schon mal selbst, ob Kundenparkplätze von Firmenwagen blockiert werden. "Ich bin nicht der Nette von nebenan", sagt er mit Nachdruck, damit kein falscher Eindruck entsteht.

Er hat schon schwierigere Zeiten erlebt. 2006 etwa, kurz vor dem Börsengang, musste er als Mitglied der oberen Führungsebene harte Sanierungsschnitte durchpauken, unangenehme Entscheidungen verkünden. Heute hört er es gern, wenn die Arbeitgeber-Qualitäten von Symrise gelobt werden, notfalls fragt er nach - was angesichts von 35 Standorten weltweit nicht immer einfach ist. Symrise ist in den vergangenen Jahren durch Übernahmen in Osteuropa, Nahost und Asien stark gewachsen. Die Größe allein aber ist für den 54-jährigen Bertram kein Thema, behauptet er zumindest. Es habe wenig Sinn, auf Gedeih und Verderb zuzukaufen, sagt er. Obwohl: Geld genug wäre schon da, fügt er listig hinzu, es sei immer gut, noch Kapital in der Hinterhand zu haben.

Am Anfang standen zwei konkurrierende Familien

Die Balance und die Ausgewogenheit sind sein Thema. Halbe-halbe beim Geschäft mit Düften und Aromen, halbe-halbe beim Umsatz mit Industrie- und Schwellenländern. Und jeweils ein Drittel der Kunden soll aus der Nähe, aus der Region oder dem ganz großen Geschäft kommen. Angst vor der Übernahme des eigenen Ladens - zuletzt wurde Henkel als möglicher Interessent genannt - hat Bertram nicht. Mit einem Börsenwert von vier Milliarden Euro ist Symrise ein Schwergewicht, mit der Gründerfamilie Gerberding und der Familie Jahr gebe es zudem Ankeraktionäre, die keine Neigung zeigen, ihre Anteile zu verkaufen.

Symrise gibt es erst seit zehn Jahren, das Unternehmen hat am Standort Holzminden aber lange Wurzeln. 1875 entdeckte der zum Chemiker aufgestiegene Förstersohn Wilhelm Haarmann, wie man aus Nadelholzrinde im waldreichen Weserbergland den Duftstoff Vanillin gewinnt. Darauf gründeten die Gebrüder Haarmann und Reimer ihr Unternehmen. Das soll den Friseurmeister Carl-Wilhelm Gerberding ermutigt haben, in der heimischen Badewanne zu experimentieren und in enger Nachbarschaft die Drachengoldgesellschaft, später Dragoco, aus der Taufe zu heben. "Die beiden konnten nicht miteinander und nicht ohne einander", schildert ein Holzmindener das langjährige Verhältnis der konkurrierenden Familien.

Erst der schwedische Finanzinvestor EQT aus dem Wallenberg-Imperium löste die Fronten, fusionierte beide zu Symrise, einer Kombination aus Symbiose und Arise . Kongenial erscheinen im Logo ein roter Drache (Dragoco) und ein weißer Kolibri (Haarmann und Reimer). Heute firmiert der Konzern weltweit an vierter Stelle unter den Herstellern von Gerüchen und Aromen. Zu seinen Kunden zählen alle großen Hersteller von Nahrung, Kosmetik, Reinigungsmitteln wie Nestlé, Kraft, L'Oréal, Procter & Gamble, Danone, Henkel und Beiersdorf. 2012 dürfte der Umsatz 1,6 Milliarden Euro erreicht haben, die Rendite stabil bei 20 Prozent liegen.

© SZ vom 04.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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