Dringender Reformbedarf:Loch in der Pflegeversicherung

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Neue Herausforderung für Schwarz-Gelb: Die Reserven der Pflegeversicherung sind schon 2012 aufgebraucht - viel schneller als gedacht. Es droht ein Defizit von bis zu 300 Millionen Euro. Das System muss dringend reformiert werden.

Guido Bohsem

Auf die Pflegeversicherung kommen gravierende Finanzprobleme zu. Nach Berechnungen des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) droht bereits 2012 ein Defizit von bis zu 300 Millionen Euro.

Eine Pflegerin mit einer Seniorin im Rollstuhl: Erst Ende 2008 hatte die große Koalition die jüngste Überholung der Pflegeversicherung abgeschlossen - nun fehlt schon wieder das Geld. (Foto: ag.ap)

Bereits im kommenden Jahr seien die Rücklagen in den Pflegekassen vollständig aufgebraucht, sagte der Pflegeexperte im Vorstand des Verbandes, Gernot Kiefer, am Dienstag. Die Einschätzung des Kassenverbandes gründet nicht auf einer besonders pessimistischen Beurteilung der Lage, sondern deckt sich im wesentlichen mit den Erkenntnissen der Bundesregierung.

Diese geht nach Informationen der Süddeutschen Zeitung davon aus, dass die derzeit gültige Einnahmesituation gerade noch bis zum Frühjahr 2013 reicht.

Zusätzliche Einnahmen

Damit ist eine neue Finanzreform der Pflegeversicherung deutlich schneller nötig als bislang angenommen. Erst Ende 2008 hatte die große Koalition die jüngste Überholung des Systems abgeschlossen.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hatten verkündet, die Reform werde die Pflegekassen mittelfristig solide finanzieren. Bis Anfang 2015 müsse die Mindestreserve einer Monatsausgabe nicht in Anspruch genommen werden.

Die große Koalition hatte zur Verbesserung der Kassenlage die Beiträge angehoben. Für Eltern stiegen die Abgaben von 1,7 auf 1,95 Prozent des Bruttolohns, für Kinderlose von 1,95 auf 2,2 Prozent. Ein Plus von 0,1 Prozentpunkte beschert den Pflegekassen zusätzliche Einnahmen von 1,06 Milliarden Euro. 2009 erwirtschafteten sie noch einen Überschuss von einer Milliarde Euro.

Erneute Reform im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen

Nach Einschätzung der Bundesregierung erwiesen sich die Annahmen aus dem Jahr 2008 vor allem wegen der Zuspitzung der Krise im Jahr darauf als zu positiv. Weil das Bruttoinlandsprodukt um fünf Prozent schrumpfte, seien auch weniger Einnahmen in die Pflegekassen geflossen.

GKV-Experte Kiefer bezifferte den derzeitigen Anstieg der Einnahmen auf jährlich etwa 0,8 Prozent. Im Vergleich dazu läge das Ausgabenplus jedoch jährlich bei 1,3 Prozent. Zudem würden nach geltender Rechtslage im Jahr 2012 die Leistungen ansteigen, die die Bedürftigen erhielten - darunter das Pflegegeld und die Beträge für die stationäre Betreuung von stark pflegebedürftigen Patienten.

Die Entwicklung in der Pflegeversicherung stellt die schwarz-gelbe Koalition vor eine neue Herausforderung. In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich Union und FDP lediglich darauf verständigt, die langfristigen Finanzierungsprobleme der Pflegekassen bis zum Jahr 2030 angehen zu wollen.

Dazu soll es nach ihrem Willen ein Kapitalstock gebildet werden, der die höheren Kosten abfangen soll, die durch die älter werdende Gesellschaft entstehen. Darüber wollten die Gesundheits- und Pflegeexperten jedoch erst in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode beraten. Eine erneute Finanzreform war im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen.

Zahlungen für besonders schwere Fälle

Nach Berechnungen des GKV-Spitzenverbandes könnte die demografische Entwicklung die Pflegekassen weniger stark belasten als bislang angenommen. So sei beispielsweise die Zahl der Angehörigen, die sich zu Hause um die Pflegebedürftigen kümmerten weiter sehr hoch und werde vermutlich bis 2030 auf diesem Niveau bleiben.

Auch die Regierung sieht den Anstieg der Nachfrage nach Plätzen in Pflegeheimen vorerst gestoppt. "Eine Ausgabenexplosion wie in der gesetzlichen Krankenversicherung wird es nicht geben", sagte Kiefer. Nach seinen Worten werde der Beitrag bis 2030 lediglich auf rund drei Prozent anwachsen.

Jedoch gebe es die Notwendigkeit eines finanziellen Ausgleichs zwischen den Pflegekassen der gesetzlichen und der privaten Anbieter. Es stelle sich die Frage, ob es nicht Zahlungen für besonders schwere Pflegefälle geben müsse, die es in der GKV häufiger gebe, sagte Kiefer.

© SZ vom 30.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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